Seit einigen Stunden warten Journalisten nun darauf, dass Horst Seehofer in München seinen Rücktritt erklärt. Vielleicht tut er es, vielleicht auch nicht. Das spielt nur keine Rolle.
Noch immer merken die naiven Medien nicht, welches Schauspiel an diesem Sonntag schon wieder aufgeführt wird. Sie rennen wie die Blöden los, weil einer der Schauspieler eine persönliche Erklärung ankündigt. Dabei genügt es, Heiner Bremer auf n-tv zuzuhören. Der angebliche Politikexperte ist empört über Seehofer, weil der offenbar ignoriere, was Angela Merkel in Brüssel Tolles erreicht habe. Nicht weniger als eine maximale Bewegung, so Bremer fast schon huldigend.
Genau so soll die Debatte auch laufen. Merkel, die Erfolgreiche, die sogar in Bayern beliebter ist, als der Ministerpräsident aus den Reihen der CSU. Es ist kein Zufall, dass sich die Kanzlerin von Frau Schausten im ZDF interviewen lässt (Ausschnitte laufen sogar auf n-tv rauf und runter). Wieso stellt nicht mal Herr Walde die Fragen oder darf der nur Sahra Wagenknecht vor laufender Kamera permanent unterbrechen?
Der angebliche Showdown ist natürlich inszeniert, um die Medien mit ihrer Berichterstattung in eine bestimmte Richtung zu lotsen. So quatscht Frau Schausten in 20 Minuten mit der Kanzlerin wie auf Bestellung nur über Flüchtlinge und den Asylstreit innerhalb der Union. Zu wichtigeren Themen wie Pflege, Rente, Armut, Mieten oder Bildung hört man nichts, stattdessen gefällt sich Schausten in ihren Monologen, die ebenfalls viel Lob für die Kanzlerin bereithalten („Sie haben ein Jahrzehnt das Europa mitgeprägt.“)
Je länger dieser angebliche Asylstreit zwischen CDU und CSU andauert, desto besser steht die Kanzlerin mal wieder da und desto mehr blamieren sich die Medien, die vom Endspiel zwischen Berlin und München phantasieren. Um ja nichts zu verpassen, machen die Journalisten auch jede Verlängerung mit. Inzwischen loben sie die Kanzlerin sogar für die inhumanen Gipfelbeschlüsse. Horst Seehofer hilft dabei in seiner Rolle als bockiges Kind, das Merkels Ergebnisse als nicht wirkungsgleich bewertet haben soll.
Die Streitsimulation wird daher wie erwartet fortgesetzt. Nur mit ihr beschäftigen sich die Medien, nicht aber mit der weiteren Verschiebung des politischen Koordinatensystems nach rechts, das sogar Teilen der CSU ganz gut gefällt („Klar ist, Europa ist in Bewegung. Die CSU hat in den letzten Wochen Europa gerockt“). Weiterhin nicht gesprochen und geschrieben wird über Maßnahmen zur Bekämpfung von Fluchtursachen. Was ist mit einem Stopp von Waffenexporten, fairen Handelsbeziehungen und humanitären Hilfen vor Ort? Da gibt es offenbar keinen Redebedarf.
JUL
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.