Ein Mangel an Teamwork sei nun ursächlich für das schlechte Abschneiden der SPD bei der Bundestagswahl gewesen. Zu diesem Ergebnis kommt die SPD-Parteiführung nach Studium einer Wahlanalyse, die eine externe Arbeitsgruppe angefertigt und heute vorgelegt hat. In den bisherigen Verlautbarungen findet sich allerdings nichts, was auch nur den Ansatz einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Wahlergebnis erkennen ließe. Vielmehr werden leicht verdauliche Sprechblasen präsentiert, die niemanden wirklich wehtun, mit Ausnahme von Sigmar Gabriel vielleicht, auf den man als Geschassten gern draufhauen mag.
Statt sich mit der inhaltlichen Positionierung und den Aussagen von Führungspersönlichkeiten im Wahlkampf und danach zu beschäftigen, wird die Schuldfrage auf das unbestimmte Ganze oder eben Sigmar Gabriel verlagert, dessen Alleingänge der Partei geschadet haben. Die Teamarbeit sei auf der Strecke geblieben. So müsse sich die SPD von unten bis oben angesprochen fühlen, meint Nahles. Auf diese Weise lenkt sie aber von den konkreten Verantwortlichkeiten ab und erstickt eine längst überfällige Personaldebatte im Keim. Dabei war es der gesamte Parteivorstand, der den Schlingerkurs von Sigmar Gabriel wie auch Martin Schulz stets mitgetragen hatte.
Inszenierung
Da kann man doch nicht von fehlenden Führungsstrukturen und zu wenig Teamwork sprechen. Eher von Panik einerseits und Machtkalkül andererseits. Dass die SPD bei der Bundestagswahl schlecht abschneiden würde, war gerade von der Führungsspitze bewusst eingepreist worden. Der damalige Fraktionschef Thomas Oppermann stellte das nach der Wahl in der Sendung Markus Lanz im ZDF klar, als er zur gerade ausgeschlossenen Großen Koalition befragt wurde. In einem Bericht des Handelsblatt steht dazu der bemerkenswerte Absatz:
Die SPD wäre nach seinen Worten bei einem Wahlergebnis von 23 Prozent zu einer Neuauflage der großen Koalition bereit gewesen. In der SPD-Spitze sei man sich einig gewesen: „Wenn wir unter dieses Ergebnis fallen, dann bedeutet das, dass wir nicht wieder in eine große Koalition gehen sollten.“
Der gesamte Wahlkampf war damit eine unverschämte Inszenierung, bei der der Spitzenkandidat, der jetzt im Europawahlkampf die Sozialdemokraten wieder anführen darf, bis zum bitteren Ende so tat, als könne er das Kanzleramt ganz sicher erobern. Geschockt waren die Sozialdemokraten eigentlich nur, dass es tatsächlich noch tiefer in den Keller ging, als 2009, was eine unangenehme Kettenreaktion hätte auslösen können. Doch wie 2009, als der Wahlverlierer Steinmeier umgehend die Fraktion kaperte, überraschte Schulz mit der gesamten Führungsspitze im Rücken die Genossen mit der Ankündigung, auf jeden Fall in die Opposition gehen zu wollen.
Da brandete wieder dieser unverständliche Jubel im Angesicht größter Niederlagen auf. Ein kalkuliertes Manöver, das nur dem Zweck diente, eine größere Revolte zu verhindern, an deren Ende möglicherweise ein paar mehr Führungsköpfe gerollt wären, als bei den folgenden Verteilungskämpfen in Fraktion und Bundestagspräsidium. Thomas Oppermann ist beispielsweise als frisches, junges und vor allem weibliches Gesicht Bundestagsvize geworden. Andrea Nahles wurde Fraktionschefin und dafür Hubertus Heil für Carsten Schneider geopfert, der zum parlamentarischen Geschäftsführer aufstieg, um den Seeheimern einen einflussreichen Posten zu sichern. Als Entschädigung bekam der zunächst schmollende Niedersachse Heil später das Arbeitsministerium und wird es vermutlich auch behalten, obwohl der Bericht gerade ihm als Wahlkampfleiter ein miserables Zeugnis ausstellt.
Übrigens war Heil auch 2009 für die desaströse Kampagne verantwortlich und 2013 riss die damalige Generalsekretärin Andrea Nahles die Leitung kurz vor Schluss an sich, verlor schließlich dennoch und wurde zum Dank mit dem Arbeitsministerium belohnt. Schnee von gestern, obwohl der Bericht noch einmal darauf hinweist, dass die Fehler von 2013 auch 2017 begangen worden seien. Woran sonst, als an den immer noch verantwortlichen Personen in der Parteiführung könnte das wohl liegen? Sie haben damit mehrfach bewiesen, dass sie es nicht können und auch nicht anders machen wollen. Trotzdem soll die Öffentlichkeit jetzt auf eine Art Lernfähigkeit dieser Leute vertrauen.
Leer ging hingegen Sigmar Gabriel aus, nachdem er sich mit Martin Schulz um das Außenministerium stritt. Dabei beklagte sich Gabriel über einen respektlosen Umgang. Schließlich, aber das war leider nur eine Randnotiz, hatte der Ex-Parteichef dem Ex-Außenminister versprochen, dass er sein Amt behalten dürfe, was wiederum auf die abgekartete Wahlkampfinszenierung hindeutet, bei der am Ende lediglich ein Weiter so in der Großen Koalition herauskommen sollte. Nur lief es, wie oben schon erwähnt, nicht ganz nach Plan, was den beschwerlichen Umweg über die kollektive Oppositionserklärung und Jamaika-Verhandlungen erforderlich machte.
Chuzpe
Inzwischen passt das Ergebnis. Die SPD regiert als Juniorpartner wieder mit und kämpft wie eh und je um Aufmerksamkeit. So hätte man schon wieder Erfolge vorzuweisen, die aber diesmal nicht vom politischen Gegner vereinnahmt, sondern eher vom eigenen Parteivolk zerredet würden, was dem Image wiederum schade.
Es liegt nämlich nicht immer an den anderen, wenn unsere Botschaften nicht klar sind. Das liegt auch an uns selbst. Es tut der SPD nicht gut, wenn in der eigenen Partei immer nur Misstrauen herrscht gegenüber jenen von uns, die regieren. Etwas mehr Zutrauen, bitte!
Die Chuzpe muss man erst einmal haben, die Verantwortung für das politische Desaster jetzt den eigenen Anhängern in die Schuhe zu schieben, die vielleicht noch an so etwas wie eine Erneuerung glauben. Die soll aber allein dadurch entstehen, dass man ständig darüber spricht. Wenn es dann aber konkret wird, antwortet die Parteiführung entweder mit einer Fortsetzung der bisherigen Politik, siehe Finanzminister Scholz, der nun mit roter Null Schäuble nacheifert oder man ist gelangweilt, wie Generalsekretär Lars Klingbeil bei der Debatte um die Agenda 2010. Dabei hatten während des Schulz-Hypes genau die Wähler kurzzeitig zur SPD zurückgefunden, die wegen der Agenda Politik geflüchtet waren. Doch statt dieses Potenzial für sich zu nutzen, machte die Parteiführung jede Hoffnung gleich wieder zunichte mit der Klarstellung, am großen rot-grünen Reformwerk in jedem Fall festhalten zu wollen.
Gründe für eine Personaldiskussion gebe es also genug, doch die Parteispitze will diese gar nicht führen, dafür aber den nächsten Kanzlerkandidaten früher benennen. Gleichzeitig wird ein neues Teamspiel gelobt, das am Ende auch zu klareren Botschaften beitrage, mit denen der Wähler mehr als bisher anfangen könne. Dabei musste der irrlichternde Außenminister gerade erst noch daran erinnert werden, dass die Entspannungspolitik doch zum Markenkern der Sozialdemokratie gehört und Botschaften wie die, dass Russland zunehmend feindselig agiere, diesem Anspruch eindeutig zuwider laufe. Dazu gehört auch das Ausweisen von Diplomaten aufgrund von vagen Mutmaßungen einer anderen Regierung sowie die Bewertung von völkerrechtswidrigen Angriffen auf Syrien als erforderlich und angemessen.
Unterm Strich bleibt der Eindruck, dass die SPD-Parteiführung auch weiterhin Gefallen am Niedergang findet. Trotz des Erneuerungsprozesses zeigen die Umfragen noch klarer nach unten. Dagegen stehen jetzt Durchhalte-Floskeln wie „Weniger Taktik, mehr Haltung“ und auch wieder die altbekannten Positionen, die schon längst in die strategische Sackgasse geführt haben. So bleibt die Parteivorsitzende wie gewohnt skeptisch, was eine linke rot-rot-grüne Machtoption anbelangt. Im Bund ist diese ja schon passé, was Nahles mit einer gewissen Erleichterung goutiert. Wie aber werden das die Wähler finden, wenn die SPD auch in Zukunft nur Große Koalitionen anzubieten hat? In einigen Bundesländern ist ja nicht einmal mehr diese Konstellation noch möglich.
JUN
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.