Ja, ein Fliegenschiss bestimmt die Nachrichten, dabei sollte doch vielmehr das interessieren, was bei der Großen Koalition unter dem Stichwort sozial gerechte Steuerpolitik geplant ist. Da hieß es ja zunächst, man wolle „gezielt kleinere und mittlere Einkommen entlasten“. Doch laut eines Referentenentwurfs aus dem Bundesfinanzministerium würde eine Familie mit zwei Verdienern und einem Bruttojahresgehalt von 60.000 Euro im kommenden Jahr mit 251 Euro entlastet und eine Familie mit 120.000 Euro brutto mit 380 Euro.
Damit fiele die steuerliche Entlastung bei den Besserverdienern um 50 Prozent höher aus. Das geplante Modell ist damit doch keine gezielte Entlastung von kleineren und mittleren Einkommen, sondern wieder nur ein Geschenk an die Reichen.
Dieser Befund ist auch logisch, wenn man sich einen Satz aus dem Koalitionsvertrag noch einmal in Erinnerung ruft. Er lautet:
„Wir werden die Steuerbelastung der Bürger nicht erhöhen.“
Das heißt im Umkehrschluss, dass jede Steuerentlastung auch zwangsläufig zu einer deutlich höheren Ersparnis bei Besserverdienern führt. Denn alle Einkommensbezieher profitieren beispielsweise vom höheren Grundfreibetrag, dessen Anpassung an die Preisentwicklung laut Verfassung vorgeschrieben ist. Damit zahlen auch die Spitzenverdiener auf die ersten 9000 Euro und künftig 9408 Euro im Jahr 2020 keine Steuern. Es werden also gerade auch die oberen Einkommen durch einen höheren Grundfreibetrag entlastet. Nur ist das ja laut Regierungserklärung nicht das Ziel. Doch eine notwendige Kompensation, etwa durch die Anhebung des Spitzensteuersatzes, der nur für eine bestimmte Einkommenszone greift, findet nicht statt. Das würde aber die automatische Entlastung ganz unten wieder ausgleichen oder zumindest so abmildern, dass am Ende nicht mehr Ersparnis für die Wohlhabenderen herauskommt als für die Normalverdiener, die doch das eigentliche Ziel der Steuerreform sein sollen.
Doch genau darauf läuft es mal wieder hinaus, wenn es, wie im Koalitionsvertrag ausdrücklich festgehalten, keine Steuererhöhungen geben darf, auch dann nicht, wenn damit gar keine Erhöhung verbunden wäre, sondern nur eine Absicherung der Abgaben des Personenkreises, den man gerade nicht gezielt entlasten will. Natürlich schlägt auch dieser Finanzminister vor, gleichzeitig die kalte Progression (Steuerbauch) abzumildern. Doch auch davon profitieren in erster Linie die Besserverdiener, da in der Regel die Eckwerte der jeweiligen Progressionszonen einfach nach oben (eigentlich nur nach rechts) verschoben werden, um die Kurve unten zu glätten. Das Ende liegt aber beim Spitzensteuersatz von derzeit 42 Prozent ab einem zu versteuernden Einkommen von 54.951 Euro. Eine Erhöhung des Grenzsteuersatzes, zum Beispiel auf Kohls 53 Prozent sowie eine deutliche Verschiebung der Progressionszone nach oben, etwa auf ein Jahreseinkommen von 70.000 Euro, ist politisch nicht gewollt und daher kategorisch ausgeschlossen.
Das bedeutet wiederum, dass vor allem die Spitzenverdiener von den flacheren Progressionszonen unten, in denen geringere Steuersätze gelten, deutlich mehr überbehalten, weil sie ja oben entsprechend weniger zahlen müssen. Das zeigen schließlich auch die Zahlen des Referentenentwurfs. Wie man dann aber immer noch behaupten kann, untere und mittlere Einkommen würden gezielt entlastet, ist nicht so recht zu verstehen. Vielmehr bezahlen die unteren und mittleren Einkommen durch einen weiteren Verzicht auf öffentliche Leistungen die Ersparnis der Reichen mit. Der Staat wird schließlich insgesamt weniger aus der Einkommensteuer erzielen, als er theoretisch könnte, wenn er fair besteuern würde. Der Finanzminister wird die Ausgaben dann entsprechend anpassen und sich bei seinen blumigen Erklärungen darin sonnen, doch gerade die unteren und mittleren Einkommen spürbar entlastet zu haben.
Billige Tricks
Um diesen Eindruck zu verstärken, wird einerseits auf die ständig steigenden Steuereinnahmen verwiesen, was aber vollkommen normal ist, wenn auch die Preise in einer Volkswirtschaft zulegen. Andererseits wird das Ergebnis der Entlastung auch gern in Prozent angegeben. Und siehe da, bei 60.000 Euro Jahreseinkommen wären es 9,36 Prozent und bei den 120.000 Euro „nur“ 1,8 Prozent. Die prozentuale Entlastung anzuführen, ist allerdings ein beliebter wie billiger Trick, der belegen soll, dass die Reichen ja gar nicht so gut wegkommen, wie die bösen Linken immer behaupten. Nur zahlen vermutlich alle Menschen ihre Rechnungen nicht in Prozenten, sondern mit Euro. Und da ist es nun einmal so, dass die Besserverdienenden nach dieser beabsichtigten Steueränderung der Großen Koalition eben mehr Geld in der Tasche behalten als die unteren und mittleren Einkommensbezieher. Gerecht ist das somit nicht. Vor allem auch dann nicht, wenn man den Koalitionsvertrag und das Regierungsprogramm weiterliest.
Mit der schrittweisen Absenkung des Solidaritätszuschlages ist nämlich ein weiteres dickes Geschenk für Besserverdiener geplant. Rund zehn Milliarden Euro Entlastung soll das bringen. Der Soli wird aber bekanntlich an der festgesetzten Einkommensteuer und nicht am zu versteuernden Einkommen bemessen. Die zehn Milliarden Euro würden also ziemlich sicher dem wohlhabenderen Teil der Bevölkerung zugute kommen, da die Gering- und Normalverdiener schon jetzt eher wenig Einkommensteuer zahlen und damit auch einen vergleichsweise geringen oder gar keinen Solidaritätszuschlag entrichten müssen. Trotzdem plant die Bundesregierung die schrittweise Abschaffung des Zuschlags explizit nur für die unteren und mittleren Einkommen, was den Verdacht aufkommen lässt, dass mit dieser Gruppe gar nicht die gemeint sind, an die alle denken, sondern die, die eigentlich schon viel haben. Nur klingt es eben blöd und nicht so sehr nach Erneuerung, wenn man korrekterweise über eine Entlastung für Unternehmen und Bezieher von Kapitaleinkommen sprechen würde.
Den Solidaritätszuschlag noch schneller abschaffen will übrigens auch die AfD, was dann wieder zurück zum Fliegenschiss führt, der doch aber viel weniger interessieren sollte, als die Politik, über die sich die Rechten im Bundestag, angefangen von AfD über FDP, CSU und CDU bis hin zu weiten Teilen der SPD doch erschreckend wie grundsätzlich einig sind. Sie alle halten eine höhere Besteuerung von Spitzeneinkommen oder Kapitaleinkünften für mehr oder weniger überflüssig, sie lehnen auch Steuern auf Vermögen ab oder geben sich mit faulen Kompromissen bei der Erbschaftsteuer zufrieden. Kurzum: Sie alle wollen an der Verteilung des Reichtums, der sich immer mehr in immer weniger Händen konzentriert nicht wirklich etwas ändern.
JUN
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.