Das Kalenderblatt ist ja eine beliebte Rubrik. Heute ist ein besonderer Tag. Denn vor genau acht Jahren trat Horst Köhler mit sofortiger Wirkung von seinem Amt als Bundespräsident zurück. Grund war eine anhaltende Kritik an Äußerungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Liest man sich das Statement des damaligen Staatsoberhauptes, das für viel Aufregung sorgte, noch einmal durch, wird klar, wie wichtig Aufklärung heute immer noch ist.
Denn inzwischen wird immer lauter gefordert, dass Deutschland mehr militärische Präsenz überall auf der Welt zu zeigen und vor allem mehr Geld in die Aufrüstung zu stecken habe. So soll der Bundestag zum Beispiel noch im Juni über die Beschaffung von bewaffnungsfähigen Drohnen entscheiden. Auch der Glaube, ein Recht auf dauerhafte Exportüberschüsse zu haben, spiegelt sich in den Aussagen Köhlers wider. Dessen Rücktritt hat daher nichts geändert, sondern im Gegenteil den Trend zur militärischen Aufrüstung und die Entwicklung zur marktkonformen weiter beschleunigt.
Horst Köhler hatte damals auf einem Rückflug aus Afghanistan gesagt:
Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen. Alles das soll diskutiert werden und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg.
Bemerkenswert war damals schon der Bezug auf die einseitige Exportabhängigkeit, die Köhler als quasi gottgegeben und damit als unveränderbar betrachtete. Diesem Glauben hängt die Bundesregierung auch heute noch an, obwohl das einseitige Wirtschaftsmodell durch die Trump-Administration gerade sturmreif geschossen wird. So ist der Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier wieder ohne Ergebnisse aus Verhandlungsrunden mit den Amerikanern zurückgekehrt. Seine Sorgen seien „nicht entkräftet“, sagte Altmaier am Mittwoch nach Gesprächen mit US-Handelsminister Wilbur Ross in Paris. Dabei war auch nichts anderes zu erwarten. Es sind ja nicht die USA, die sich stur verhalten, sondern die Deutschen, die meinen, ein Recht auf dauerhafte Exportüberschüsse zu besitzen.
Alles wartet jetzt auf Tweets des US-Präsidenten. Dabei sollte die Bundesregierung mit Nachdruck dazu gedrängt werden, endlich das umzusetzen, was nicht nur die USA seit Jahren, sondern eine übergroße Mehrheit der G20 immer wieder fordern. Mehr Investitionen und höhere Löhne in Deutschland sowie das Ende einer erfolglosen Austeritätspolitik, die Berlin und Brüssel gegenüber dem Süden Europas per Diktat und Erpressung seit Jahren praktizieren. Aber das wird nicht passieren. Neuerdings will der EU-Abgeordnete Markus Ferber (CSU) mit der Troika in Rom einmarschieren und dort das Finanzministerium übernehmen, damit sich ja nichts an der Kürzungspolitik ändert, die allerdings eindeutig zur Abwahl der bisherigen Regierung in Italien geführt hat.
Verbale Aufrüstung
Ob er dabei auch an die entsprechende Luftunterstützung durch den Einsatz von Drohnen dachte, können bestimmt die Satiriker im Moment noch besser beantworten. Jedenfalls verläuft die militärische Bewaffnung parallel zur verbalen Aufrüstung. Deutschland ist wie im Fall Griechenlands nämlich nicht bereit, den Wählerwillen in einem anderen europäischen Land zu akzeptieren. Der in Brüssel endgelagerte Günther Oettinger brachte es ja diese Woche auf den Punkt, als er klarmachte, dass nicht die Demokratie, sondern die Märkte das Sagen haben. Damit befürwortete er wie viele andere hierzulande auch, einen marktkonformen Putsch von oben. Das Ergebnis solcher Einmischungen von außen wird nur jene Instabilitäten weiter verstärken, die man aus rein ökonomischen Gründen doch gerade verhindern will.
Die Abschaffung der Demokratie nützt also niemandem. Horst Köhler lag damals schon total daneben, als er mehr militärische Interventionen, die der Sicherung von Interessen und der Versorgung dienen, für vertretbar hielt. Er hätte mit dieser Haltung nie Bundespräsident werden dürfen. Immerhin gab es damals wenigstens Kritik, die zu seinem Rücktritt führte, auch wenn Köhler dafür eine andere Begründung angab. Köhler hatte sich nichts vorzuwerfen. Er war vielmehr empört darüber, dass seine Sicht der Dinge anscheinend noch nicht die breite Resonanz fand, wie einige Zeit später. Dafür sorgten schließlich die Reden auf Münchner Sicherheitskonferenzen und ein Bundespräsident, der sich für Auslandseinsätze der Bundeswehr noch viel stärker engagierte.
Joachim Gauck bemängelte sogar eine gewisse Distanz der Bürger zu den Streitkräften. Bekannt wurde er aber mit dem Satz: „Und noch viel weniger gerne denken wir daran, dass es wieder deutsche Gefallene gibt, das ist für unsere glückssüchtige Gesellschaft schwer zu ertragen.“ Damit qualifizierte er all diejenigen mal eben ab, die sich nicht nur grundsätzlich gegen Militäreinsätze aussprechen, sondern die auch keinesfalls akzeptieren können, die schwer erarbeitete Diplomatie einer neuen zerstörerischen Konfrontationslogik zu unterwerfen. Den Gipfel dieser Entwicklung bildet nun ausgerechnet ein Außenminister der SPD, der von einer zunehmend feindseligen Haltung spricht, gleichzeitig aber gönnerhaft Dialogbereitschaft signalisiert.
Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat die Parteispitze mit Heiko Maas am Montag über dessen Haltung zu Russland gesprochen. Grund war ein merkliches Unbehagen bei den Genossen, die eine Entsorgung der erfolgreichen Ostpolitik Willy Brandts befürchteten. Einen Rüffel gab es natürlich keinen, jedenfalls nicht öffentlich, vielmehr volle Rückendeckung und eine Floskel, die den Dialog mit Russland in den Vordergrund rückte. Eine hohle Phrase blieb das deshalb, da Maas seine bisherige Haltung im Parteivorstand verteidigte und klarmachte, auch künftig eine Doppelstrategie aus „deutlicher Kritik in Einzelfragen“ und Dialogbereitschaft zu fahren.
Wider die Logik mit der Sondernull
Beim Global Solutions Summit hielt sich Maas zwar mit aggressiven Äußerungen gegenüber Russland zurück, er sprach aber dennoch von Machtkonkurrenzen und einer neuen Weltordnung, so als ob er und die Bundesregierung keine Verantwortung dafür trügen. Die anderen benehmen sich halt daneben und Deutschland reagiere nur.
Das Völkerrecht wird relativiert, gar gebrochen. Das internationale Handelssystem und seine Institutionen stehen vor ernsthaften Bewährungsproben. […] Mit anderen Worten: Das Recht des Stärkeren hat wieder Konjunktur, nicht die Stärke des Rechts.
Maas setzt auf Europa, das seiner Ansicht nach immer noch stark genug sei, um andere zu überzeugen. Dafür müsse es nur zusammenstehen. Wie das aber gelingen soll, wenn die Troika unter deutschem Oberbefehl irgendwo einmarschieren soll, scheint Maas noch nicht richtig durchdacht zu haben. Hat es etwa nichts mit einem Recht des Stärkeren zu tun, wenn Deutschland in Europa weiterhin den Ton angeben will und auf die Einhaltung von Regeln pocht, obwohl sich die Bundesregierung selbst nicht an diese hält (O-Ton Altmaier: „Wir sollten uns nicht dafür entschuldigen, dass wir wettbewerbsfähig produzieren.“)?
Und international will der Außenminister in der ersten Liga mitspielen. Die Wahl zum Sicherheitsrat steht an. Deutschland ist ein Kandidat für einen freien Sitz. Dort will die Bundesregierung wichtige Impulse in kleiner Runde setzen. In der Syrienpolitik zum Beispiel.
Der politische Prozess in Syrien benötigt dringend neue Impulse. Wir werden alles dafür tun, um im Rahmen der sogenannten Small Group voranzukommen, d. h. mit den USA, Großbritannien, Frankreich, Jordanien und Saudi-Arabien. Gemeinsam suchen wir nach einem Weg, wie wir den VN-geführten Genfer Prozess stützen können, um endlich die Voraussetzungen für echte inner-syrische Gespräche unter VN-Ägide zu schaffen.
Wo bleibt hier eigentlich die Dialogbereitschaft mit Russland oder eine kritische Selbstreflexion, was Völkerrechtsbrüche in jüngster Zeit anbelangt? Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hilft da sicherlich gern. Es ist wohl nicht gewollt. Wie vieles andere im übrigen auch. So klammert sich auch Heiko Maas an den Exportüberschuss wenn er sagt:
Der Welthandel bleibt für uns kein globales Nullsummenspiel.
Das reicht leider nicht für den Nobelpreis, eher für die Kategorie dümmster Satz des Jahres, da es logisch nicht gelingen kann, was Maas hier behauptet. Die Welt kann keinen Überschuss haben. Die Summe aller Ein- und Ausfuhren ist immer null, die Bilanz also ausgeglichen oder ein Nullsummenspiel. Das ist auch logisch, wenn man sich klarmacht, dass man nur auf dieser Welt Handel betreiben kann. Andere Himmelskörper stehen einfach noch nicht zur Verfügung. Das heißt aber umgekehrt auch, dass die Überschüsse des einen Landes zwingend zu Defiziten in einem anderen Land führen.
Um diesen Konflikt geht es schließlich auch im Augenblick. Da dauerhafte Ungleichgewichte zwischen einzelnen Staaten zu schwerwiegenden Verwerfungen führen, kommt es zu Auseinandersetzungen, die nun immer härter geführt werden. Doch Heiko Maas erkennt das nicht. Er bleibt somit eine politische Sondernull. Er verstand als Justizminister schon nichts vom Recht und versteht als Außenminister noch weniger von Diplomatie oder volkswirtschaftlichen Zusammenhängen. Kurzum: ein Totalausfall und eine Peinlichkeit für die SPD, die das früher alles mal viel besser konnte. Jedenfalls wäre Horst Köhler, wenn er heute noch Bundespräsident wäre, wohl nicht zurücktreten.
MAI
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.