Es haben alle Beteiligten nach den Luftschlägen eingesehen, dass es so nicht weitergehen könne. Daher müsse es jetzt eine Neuauflage des politischen Dialogs geben, ist aus Berlin und Paris zu hören. Wie vor einem Jahr, als die USA Syrien mit Luftschlägen schon einmal bestraften, wird das völkerrechtswidrige Eingreifen des Westens als eine Art „Warnschuss“ verkauft. Bomben für die Diplomatie bleibt aber eine inakzeptable Haltung.
„Ich hoffe, dass die Militärschläge nun allen deutlich gemacht haben, dass es die Notwendigkeit gibt, den politischen Dialog wieder aufzunehmen“, sagte Bundesaußenminister Heiko Maas gestern im Ersten wie auch im Zweiten.
Auch Russland solle mit einbezogen werden, so Maas im #berichtausberlin. Unter dem Dach der #UN müssten alle versuchen, eine Lösung im #Syrienkonflikt zu finden. pic.twitter.com/hZZnMvPNu1
— tagesschau (@tagesschau) April 15, 2018
Einen politischen Dialog herbei bomben zu wollen, kann doch wohl nicht wirklich ernst gemeint sein. Es ist erstaunlich, dass man einem Außenminister und dazu Sozialdemokrat eine solche Wortwahl einfach durchgehen lässt. Aber das hat speziell mit Blick auf Syrien schon Tradition. Vor einem Jahr galt dieselbe Sprachregelung. Assad bricht das „humanitäre Völkerrecht“, dagegen kann der Bruch des offenbar einfachen Völkerrechts durch den Westen eben nur als „erforderlich und angemessen“ bezeichnet werden, zumal der UN-Sicherheitsrat ja permanent von Russland blockiert werde.
Es gibt aber einen Unterschied zu den Ereignissen vor einem Jahr. Die Amerikaner haben eine weitere Eskalationsstufe gezündet. Präsident Trump, der längst beschlossen hatte, das Abenteuer Syrien zu beenden, ließ sich zu einer unbedachten wie irrsinnig gefährlichen Äußerung über Twitter hinreißen, die ihn wie auch Russland in eine sehr schwierige Lage manövrierte. Die Lösung des Problems mittels Marschflugkörpern auf mehr oder weniger unbedeutende Ziele spielte den Transatlantikern in Washington wiederum in die Karten, die einen Abzug der Amerikaner aus Syrien nicht wollen.
Die neue Erzählweise lautet jetzt so: Wir als Westen haben sieben Jahre lang gar nichts gemacht, jetzt müssen wir endlich wieder diplomatisch handeln und vor Ort präsent bleiben, weil Assad und Russland nicht aufhören, gegen das syrische Volk Krieg zu führen, sogar mit chemischen Waffen. Immer und immer wieder. Der Russe schreckt sogar vor dem Einsatz von Gift in einem (Noch-) Staat der Europäischen Union nicht zurück. Da dürfen wir uns nicht länger zurückhalten.
Gewollte Amnesie
Da herrscht wohl gewollte Amnesie. Vor sieben Jahren erklärte doch der Friedensnobelpreisträger Barack Obama der Weltöffentlichkeit, dass Assad gehen müsse. Er drohte auch Konsequenzen für den Fall an, dass rote Linien überschritten würden. Ob Assad oder seine Gegner diese Drohung mit Giftgas dann austesteten, sei einmal dahingestellt, jedenfalls verstand die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton diese Ankündigung als Aufforderung, Assads Gegner, die sie immer nur als Freiheitskämpfer, Rebellen oder Aufständische bezeichnete, mit ausreichend Waffen zu versorgen. Das ist so ziemlich das Gegenteil von einem Nichtstun, das heute behauptet wird, um Russland, das erst später in den Konflikt eingriff, für sein Handeln in Syrien zu verurteilen.
Die Waffen für die Aufständischen, die im irakischen Mosul übrigens Islamisten heißen, stammten unter anderem aus libyschen Beständen, die gesichert werden konnten, nachdem die kleine westliche Koalition aus USA, Frankreich und Großbritannien schon einmal aktiv wurde und das Land Gaddafis mit Luftangriffen überzog. Damit gelang es ja bekanntlich, den Diktator zu stürzen. Na ja, gestürzt wurde er nicht, sondern eher massakriert, das macht aber nichts. Hillary Clinton verkündete mit einem Lachen dennoch stolz: „We came, we saw, he died.“ Der bekannte Journalist Seymour Hersh hat den Weg der Waffen von Libyen über die Türkei nach Syrien in der Reportage „Die Akte Assad“ nachgezeichnet.
<Ironie> Heute ist Libyen, wir wissen es genau, ein blühendes Land mit gleich mehreren Regierungen (mehr Demokratie geht nun wirklich nicht) und geschützten Ferienanlagen für Flüchtlinge an der Mittelmeerküste, mit einem lustigen Animationsprogramm wie Vergewaltigung, Mord und Sklavenmarkt inklusive. Das ist das Ergebnis einer umsichtigen, im Einklang mit dem Völkerrecht stehenden, westlichen Interventionspolitik, die man auch in Syrien erwarten darf, wenn es doch nur endlich zum Sturz des schrecklichen Machthabers Assad kommt. </Ironie>
Die Transatlantiker im Edelzwirn scheint es nicht sonderlich zu interessieren, wie eine Ordnung nach Assad aussehen könnte, sonst würden sie das abschreckende Beispiel Libyen nicht völlig ignorieren. Ihnen geht es lediglich darum, ihre Vormachtstellung im Nahen Osten nicht an neue Allianzen wie die zwischen Russland, Türkei und Iran zu verlieren. Dabei sind diese Bewegungen der Einflusssphären erst entstanden, weil der Westen mit seiner Politik des Regime Change komplett gescheitert ist, angefangen beim Irak, über Libyen bis Syrien. An den Verschiebungen im Machtgefüge haben aber auch andere regionale Mächte, mit denen wir als Westen verbunden sind, kein Interesse.
In diesem Zusammenhang ist es schon erstaunlich, das kaum einer Notiz von der Reise eines saudischen Kronprinzen nahm, der selbst einen fürchterlichen Krieg im Jemen führt und bereit für einen direkten Konflikt mit Iran ist. Kurz vor dem mutmaßlichen jüngsten Giftgasangriff in Syrien besuchte Mohammed bin Salman al-Saud erst London, dann Washington und schließlich Paris, wie der ehemalige britische Botschafter Craig Murray auf seiner Seite schreibt. Da entstanden übrigens auch tolle Selfies mit dem Hoffnungsträger der Europäischen Idee (also Menschenrechte, Rechtsstaat, Freiheit und so ein Zeugs), Emmanuel Macron. Aber lassen wir das, kann ja nur eine wilde Verschwörungstheorie sein.
APR
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.