Am Ende einer turbulenten Woche mit gegenseitigen Wortgefechten und einer Kriegserklärung per Twitter hat nun, wie zu erwarten war, ein Angriff auf Syrien stattgefunden. Dieser Militärschlag diente lediglich dazu, gesichtswahrend aus einer selten dämlichen Ankündigungsspirale herauszukommen. Donald Trump musste seinen unbedachten Worten natürlich Taten folgen lassen, um nicht als ein noch größerer Idiot dazustehen.
Gleichzeitig schlossen sich der französische Präsident Macron und die britische Premierministerin May dem US-Präsidenten an, in der Hoffnung, mit einer Aggression nach außen, von ihren innenpolitischen Problemen ablenken zu können. Die Bundesregierung hat in dieser gefährlichen Situation vollkommen versagt.
Erst schloss Außenminister Heiko Maas bei seinem Antrittsbesuch in Großbritannien keine Optionen aus. Er ließ eine Beteiligung an einem Militärschlag gegen Syrien offen und forderte ganz grundsätzlich ein härteres Vorgehen gegen Russland. Seinen Amtskollegen Boris Johnson beeindruckte das kaum. Der hatte wenig Zeit für die deutsche Fehlbesetzung im Außenamt. Gleichzeitig schloss Merkel in Berlin eine Beteiligung an einem Militäreinsatz aus, um nun, am heutigen Samstag mit einer schriftlichen Erklärung, die Angriffe der letzten Nacht dann doch gutzuheißen. Dazu ein paar Anmerkungen:
Bundeskanzlerin Merkel zu den Militärschlägen der USA, Großbritanniens und Frankreichs in Syrien
Im syrischen Duma sind vor wenigen Tagen durch einen abscheulichen Chemiewaffenangriff zahlreiche Kinder, Frauen und Männer ums Leben gekommen. Alle vorliegenden Erkenntnisse weisen auf die Verantwortung des Assad-Regimes hin, das auch in der Vergangenheit vielfach Chemiewaffen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt hat. Zum wiederholten Mal hat Russland auch im vorliegenden Fall durch seine Blockade im UN-Sicherheitsrat eine unabhängige Untersuchung der Geschehnisse verhindert.
Im Hinblick hierauf haben unsere amerikanischen, britischen und französischen Verbündeten heute Nacht gezielte Luftschläge gegen militärische Einrichtungen des syrischen Regimes durchgeführt. Dieses Vorgehen hat zum Ziel, die Fähigkeit des Regimes zum Chemiewaffeneinsatz zu beschneiden und es von weiteren Verstößen gegen die Chemiewaffenkonvention abzuhalten.
Wir unterstützen es, dass unsere amerikanischen, britischen und französischen Verbündeten als ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrats in dieser Weise Verantwortung übernommen haben. Der Militäreinsatz war erforderlich und angemessen, um die Wirksamkeit der internationalen Ächtung des Chemiewaffeneinsatzes zu wahren und das syrische Regime vor weiteren Verstößen zu warnen. 100 Jahre nach Beendigung des Ersten Weltkrieges sind wir alle aufgerufen, einer Erosion der Chemiewaffenkonvention entgegenzuwirken. Deutschland wird alle diplomatischen Schritte in diese Richtung entschlossen unterstützen.
Die Begründung der Kanzlerin ist schwach. Ob ein Chemiewaffenangriff in Syrien überhaupt stattgefunden hat, ist nach wie vor ungeklärt, was die Regierung ja auch selbst indirekt einräumt, wenn sie sich über die Blockade der Russen im UN-Sicherheitsrat beschwert. Das ist gleichzeitig die zweite Rechtfertigung für den Angriff. Russland habe eine unabhängige Untersuchung der Geschehnisse verhindert. Das ist leider nur ein Drittel der Wahrheit. Fakt ist, dass im UN-Sicherheitsrat ganze drei Resolutionsentwürfe Syrien betreffend in der letzten Woche gescheitert sind, einer von den USA und danach zwei von Russland. Die russischen Entwürfe schlugen eine Unterstützung der Arbeit der OPCW vor Ort vor.
Das sei wiederum unnötig, meinte die britische UN-Botschafterin Karen Pierce. Sie sagte, ihr Land habe gegen die Resolution gestimmt, weil ein OPCW-Ermittlerteam bereits auf dem Weg nach Syrien sei. Dieses würde auch nur untersuchen, ob Giftgas eingesetzt wurde, aber nicht, wer für den Einsatz verantwortlich sei. Den Einsatz von Giftgas hält der Westen schon für erwiesen, zumindest hat Macron das behauptet, ohne entsprechende Belege zu präsentieren (inzwischen ist klar, dass auch Frankreich sich nur auf Bilder, Videos und Augenzeugenberichte des Angriffes in Duma selbst stützt, die in sozialen Medien verbreitet wurden). Kanzlerin Merkel sagte einschränkend: „Ich glaube, dass die Evidenz, dass dort Chemiewaffen eingesetzt wurden, sehr, sehr klar und sehr deutlich ist.“ Der US-Verteidigungsminister Mattis hatte im Kongress am Donnerstag wiederum erklärt, endgültige Beweise für den Chemiewaffeneinsatz der syrischen Regierung würden noch gesucht.
Die Russen bestreiten den Einsatz von Giftgas überhaupt, weshalb eine offizielle Feststellung durch die OPCW wesentlich sinnvoller und glaubhafter wäre, als auf angebliche Beweise zu vertrauen, die nicht vorgelegt werden oder auf Mitteilungen aus den sozialen Medien von Gruppen, die den Dschihadisten nahestehen. Fakt ist, dass die OPCW heute mit ihrer Arbeit vor Ort beginnen will. Kanzlerin Merkel sagte dazu vor ein paar Tagen: „Das kann auch meinetwegen noch mal nachgeprüft werden. Aber das hilft uns bei der Verurteilung des Falles jetzt nicht weiter.“ Mit anderen Worten: Eigentlich müsse gar nichts nachgeprüft werden, weil die Regierung bereits von dem Tatvorwurf restlos überzeugt sei. Nur warum sollte es dann eine Rolle spielen, welche Form der unabhängigen Untersuchung Russland im Sicherheitsrat behindert?
Das Recht des Stärkeren
Die Erklärung der Bundeskanzlerin zeugt von einer Haltung, die sie den Russen bislang immer vorgeworfen hatte, wenn es um die Lage in der Ukraine und auf der Krim ging. Der Vorwurf lautete, Russland halte sich nicht an das internationale Recht. Doch dieses müsse immer gelten und nicht etwa das Recht des Stärkeren. Doch auf welch anderem Recht als dem des Stärkeren basiert der militärische Angriff von gestern Nacht samt Erklärung der Kanzlerin? In den USA wie auch in Großbritannien gibt es Diskussionen, ob die jeweiligen Regierungschefs überhaupt die Befugnis hatten, militärische Angriffsoperationen gegen Syrien zu befehlen. Der Verstoß gegen die jeweils eigenen Gesetze und gegen das Völkerrecht ist offenkundig, wird aber mit der Formulierung erforderlich und angemessen einfach beiseite gewischt.
Bislang gekannte demokratische Spielregeln und Zuständigkeiten werden zunehmend übergangen. So hat sich auch EU-Ratspräsident Tusk im Namen der Europäischen Union einfach solidarisch mit den Angriffen erklärt und sich hinter die völkerrechtswidrigen Handlungen von zwei einzelnen Mitgliedsstaaten gestellt. Was wohl der Rest der EU davon hält, fragt Eric Bonse auf Lost in Europe? Und noch etwas. Wenn der Gebrauch von Chemiewaffen gegen die Zivilbevölkerung angeblich so abscheulich ist, wieso sollte es dann weniger abscheulich sein, Einrichtungen, in denen der Kampfstoff gelagert wird und die in der Nähe von Wohngebieten liegen, zu bombardieren? Nun brüstet sich die französische Seite damit, einen Großteil der Chemiewaffen in Syrien zerstört zu haben. Freilich nicht alle, sonst hätte man künftig ja keinen Grund mehr, Militärschläge anzuordnen.
Dass die Kanzlerin mit ihrem Statement daneben gegriffen hat, beweist die Erklärung der Verteidigungsministerin von der Leyen, die inzwischen nachgeschoben worden ist. Darin heißt es:
Der Angriff von Assad gegen seine Bevölkerung mit Giftgas ist nicht nur abscheulich, sondern auch ein schwerer Bruch des humanitären Völkerrechts.
Chemiewaffen sind zu Recht von der Weltgemeinschaft ganz besonders geächtet und der Einsatz von Chemiewaffen darf nicht hingenommen werden. Das ist die Weltgemeinschaft auch den Opfern schuldig.
Der Weltsicherheitsrat ist in dieser Frage seit Tagen blockiert. Deshalb ist es richtig, dass die USA, Frankreich und Großbritannien wohlüberlegt Maßnahmen ergriffen haben.
Ich wurde in dieser Nacht von meinem amerikanischen Kollegen und meiner französischen Kollegin unterrichtet. Gemessen an der Abscheulichkeit des Chemiewaffenangriffs von Assad sind die Maßnahmen der drei Mitglieder des Weltsicherheitsrates, die ausdrücklich gegen die Chemiewaffen Assads gerichtet waren, verhältnismäßig und erforderlich.
Jetzt muss alles getan werden, damit endlich der politische Prozess der Genfer Gespräche wiederbelebt wird und das Leiden der Bevölkerung in Syrien ein Ende findet.
Was sollen diese beiden Erklärungen? Ursula von der Leyen erweckt den Eindruck, als sei es ein schwerer Bruch des „humanitären Völkerrechts“ gewesen, der zum „wohlüberlegten“, „erforderlichen“ und „verhältnismäßigen“ Handeln zwang. Die Luftschläge heißen nicht mehr so, sondern „Maßnahmen“, so als ob es sich dabei um den Straßenausbau in einer Kommune handelt. Dabei war ganz klar ein unüberlegter, nicht erforderlicher und unverhältnismäßiger Tweet von Präsident Trump der unmittelbare Auslöser für diese idiotische militärische Show-Veranstaltung. Das das ganze total übertrieben war, wird auch dadurch deutlich, dass von Leyen am Ende ihrer Erklärung plötzlich die Wiederbelebung eines politischen Prozesses ins Spiel bringt. Dabei hatten sich eigentlich alle und insbesondere die USA aus diesem längst verabschiedet.
Als Ergänzung:
Nahost-Experte Lüders: Angriff war abgekartetes Spiel https://t.co/pTXHsnEdMU
— André Tautenhahn (@adtstar) 15. April 2018
APR
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.