Damit es nicht gleich einen Krach zum Start der Großen Koalition gibt, stellte die SPD-Bundestagsfraktion auf Betreiben von Andrea Nahles hin, letzte Woche einen Gesetzentwurf zurück, der die Streichung des Paragrafen 219a (Werbe- und Informationsverbot für Abtreibungen) vorsieht (siehe hier im Blog). Im Bundestag hätte es vermutlich eine Mehrheit für den Antrag der Sozialdemokraten gegeben, allerdings gegen die Stimmen der Union.
Als Grund für die kurzfristige Zurückstellung des Gesetzentwurfes behauptete Andrea Nahles, dass sich die Union auf die SPD zubewegt habe. In Wirklichkeit schreiten Union und SPD aber Seit an Seit: Und zwar stramm in Richtung AfD.
In der Bild am Sonntag ließ sich Jens Spahn zum Thema Abtreibungen mit folgenden Worten zitieren: „Mich wundern die Maßstäbe: Wenn es um das Leben von Tieren geht, da sind einige, die jetzt für Abtreibungen werben wollen, kompromisslos.“ Da bewegt sich einer zumindest verbal konfrontativ auf die Sozialdemokraten zu. Aber deren Gegenreaktion bleibt weitestgehend aus. Mit eher harmlosen Worten schreibt Ralf Stegner auf Twitter, dass die SPD einen Rechtsruck schon nicht dulden werde.
Versuche der Herren Seehofer und Spahn, sich nach rechts zu profilieren, zeigen die Unterschiede der Volksparteien deutlich auf. Das ist durchaus auch in unserem Sinne. Versuche die Statik der Koalition nach rechts zu rücken, wird die SPD dagegen sicher nicht dulden.
— Ralf Stegner (@Ralf_Stegner) 18. März 2018
Im Übrigen begrüßt Stegner die Äußerungen Spahns, weil sie die Unterschiedlichkeit der „Volksparteien“ belegen würden, was wiederum ganz im Sinne der SPD wäre. Spahn hatte auch eine Debatte um Hartz IV angestoßen sowie vorgeschlagen, dass Pflegekräfte künftig auch Ärzteaufgaben übernehmen könnten, vermutlich weil sie noch so viele Kapazitäten frei haben. Die neue Justizministerin Katarina Barley (SPD) ist dagegen noch zahmer und appelliert als Regierungsmitglied an eine Art Gemeinschaftssinn innerhalb der Großen Koalition.
Es geht nicht um Werbung, es geht um Information. Ärztinnen und Ärzte brauchen Rechtssicherheit. Betroffene Frauen brauchen Unterstützung in einer persönlichen Krisensituation. Daran muss die gesamte Bundesregierung jetzt arbeiten – wie vereinbart. #219a https://t.co/bhKktQtmJ7
— Katarina Barley (@katarinabarley) 18. März 2018
Ohne Obergrenze
Neben Gesundheitsminister Spahn machte auch Horstminister Heimat Seehofer mit einem Masterplan für schnellere Abschiebungen in den vergangenen Tagen auf sich aufmerksam. Der Plan sieht aber zunächst rund 100 neue Stellen in der Abteilung „Heimatbezogene Innenpolitik“ vor. Eine Obergrenze gibt es bei Seehofers Personalpolitik offenbar nicht. Der nach Berlin abgeschobene Bayer legte aber auch fest, was alles zu und was nicht zu Deutschland gehöre. Außerdem forderte der neue Innenminister eine Ausweitung von Grenzkontrollen.
Die erste Woche GroKo hat damit also schon für ordentlich Krach bzw. einen Holperstart gesorgt, heißt es in den Medien. Doch soviel Dissens gibt es eigentlich gar nicht. Die SPD will nicht nur verteidigen, sondern mitmachen. Die Islam-Debatte bringe zwar niemanden weiter, wird Andrea Nahles in der Rhein-Neckar-Zeitung zitiert. Gleichzeitig nimmt sie Seehofer aber in Schutz, der sicherlich nicht an einer Spaltung der Gesellschaft arbeite, weil er doch auch den Koalitionsvertrag unterzeichnet hat.
Im Übrigen müsse auch die SPD mehr über das Flüchtlingsthema diskutieren, um es den „Rechtspopulisten“ nicht zu einfach zu machen. Gemeint ist wohl eher eine Vereinfachung für die SPD, auf die sich die Union verlassen könne, so Nahles weiter. Die wirklich wichtigen Themen, wie eine Debatte um den Fetisch schwarze Null bleibt dagegen aus. Aus Nahles‘ Sicht bestehe kein Grund, diese in Frage zu stellen. Auch sie sieht damit nicht, welch katastrophalen Schaden die anhaltend hohen deutschen Exportüberschüsse in Europa und der Welt bereits angerichtet haben.
Nein, dann lieber einen kollektiven Schwenk nach rechts. Das muss diese Erneuerung sein, von der alle reden.
MRZ
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.