Wer gedacht hatte, der SPD-Mitgliederentscheid könnte anders ausfallen, war von Anfang an auf dem falschen Dampfer unterwegs. Mit rund 66 Prozent stimmten die Mitglieder für den Koalitionsvertrag. Das entspricht auch der Voraussage in diesem Blog zum Start des Mitgliedervotums, das durch die Parteispitze wie nicht anders zu erwarten, massiv beeinflusst war. Die Nachrichten sprechen nun aber von einem unerwarteten Ergebnis. Das ist es mit Sicherheit nicht.
Mitglieder, die bis zuletzt Wahlkampf für einen Kandidaten machten, dessen Absturz weit vor dem 24. September absehbar war und die außerdem für ein Programm warben, in dem kaum ein Stück Sozialdemokratie steckt, müssen schon mehr als einen guten Grund haben, nicht nach der Pfeife der Parteiführung zu tanzen. Das peinliche Hin und Her der SPD-Spitze, das erbärmliche Verhandlungsergebnis mit der Union und nicht zuletzt die katastrophalen Personalentscheidungen in bekannter Hinterzimmertradition hätten genügend weitere Gründe liefern können, doch am Ende war die Angst vor möglichen Neuwahlen größer, als der Biss in den vermeintlich sauren Apfel Große Koalition.
Nachgerechnet
Wer sich das Ergebnis nun aber genauer anschaut, stellt zunächst einmal fest, dass sich 100.789 von 463.722 stimmberechtigten Mitgliedern gar nicht an der Abstimmung beteiligten. Das entspricht einem Nichtwähleranteil von rund 22 Prozent. Von den 378.437 Mitgliedern, die schließlich ihre Stimme abgegeben haben, stellten wiederum 15.504 unter Beweis, dass sie gar nicht wählen können. Ihre Stimmen waren ungültig. Bleibt ein Rest von 362.933 gültigen Stimmen, von denen 66,02 Prozent auf „Ja“ entfielen. Die 239.604 Mitglieder, die mit Ja stimmten, entsprechen aber nur 51,67 Prozent aller stimmberechtigten SPD-Mitglieder.
So deutlich, wie die Parteiführung behauptet, ist das Ergebnis damit am Ende dann doch nicht. Das ist aber auch vollkommen egal. Mehrheit ist schließlich Mehrheit und die SPD bleibt sich treu. Treu deshalb, weil es ja nicht um Erneuerung geht oder um ein Zusammenwachsen der Partei, wie Olaf Scholz den zurückliegenden Diskussionsprozess charakterisierte, sondern schlicht, man muss es einfach immer wiederholen, um ein Weiter-so. Was in der GroKo längst zusammengewachsen ist, will sich nicht mehr trennen. Schauen Sie beispielsweise auf die Tagesordnung des Bundestages, der am Mittwoch, den 14. März wieder zusammentritt.
Festgezurrt
Die Plenarwoche steht ja nicht im Zeichen der Kanzlerinnenwahl, der Punkt muss ja erst noch drauf, sondern vielmehr im Zeichen der Bundeswehrmandate, die das Parlament im Dezember nur vorläufig um drei Monate verlängerte. Es werden weitere Marschbefehle erteilt (siehe auch hier) und damit noch mehr Soldaten in Einsätze geschickt, von denen man bisher annahm, sie würden allmählich beendet. An diesem Mittwoch will das alte Kabinett die Marschroute für das neue festzurren und den Auslandseinsätzen in Afghanistan und Irak, aber auch anderswo grünes Licht geben. Das Ganze heißt dann verharmlosend Ausbildungsmission, um die Aufstockung von Mensch und Material weniger skandalös erscheinen zu lassen.
Am Rande sei nur erwähnt, dass die Bundesregierung, die weiterhin fleißig Menschen nach Afghanistan abschiebt, als Begründung für die Aufstockung der Bundeswehrpräsenz eine deutlich verschlechterte Sicherheitslage im Land am Hindukusch anführt. Alles wie gehabt also. Darüber kann auch eine von der SPD durchgesetzte, angebliche „Notbremse“ nicht hinwegtäuschen, die das Mandat zunächst bis Oktober begrenzt. Die Verlängerung der Militäreinsätze ist hinter den Kulissen sorgfältig vorbereitet und ausgehandelt worden, während die Öffentlichkeit noch darüber spekulierte, welchen Marschbefehl die SPD-Basis ihrer Parteispitze erteilen und wie genau die Erneuerung der Sozialdemokraten wohl ausfallen würde.
Abgehakt
Erstaunlich ist die Entscheidung der Bundesregierung aber auch deshalb, da es gerade erst eine große Debatte um den „dramatisch schlechten Zustand“ der Bundeswehr gegeben hat. Damit will sich aber auch die neue GroKo nicht länger beschäftigen und die „Kraft für den Prozess der Erneuerung“ vermutlich in einen anderen „Raum für Zukunftsdebatten“ verlagern. Oder wie Volker Kauder gestern im Bericht aus Berlin treffend und unter zustimmenden Nicken von Andrea Nahles sagte: „Was in Parteien geschieht ist das eine, was in Regierung und Parlament geschieht, das andere.“ Die SPD könne also ruhig frecher auftreten, entscheidend sei ja ohnehin, dass man sich einig sei.
Mit anderen Worten: Die Sache mit der Erneuerung ist abgehakt, weil es nun ums Regieren gehen müsse. Die Vorlagen liegen schließlich schon fertig ausgearbeitet in der Schublade und die feststehenden Termine geben das Tempo vor. Das Weiter-so bestimmt das Sein. Zum Glück hat die SPD noch nicht die Besetzungsriege für die ihr zustehenden Minister- und Staatssekretärsposten öffentlich gemacht. Mit der Frage, wer was wird, dürfte die Presse in den kommenden Tagen erschöpfend beschäftigt sein. Und wenn dann das Geheimnis gelüftet sein wird, fallen so nebensächliche Entscheidungen des Parlaments, wie der Aufbruch zu neuen militärischen Abenteuern vermutlich unter den Tisch.
MRZ
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.