Bis Ostern soll die Regierungsbildung nun noch dauern. Dabei ist das Wesentliche bereits im Sondierungspapier vereinbart worden. Man müsste nur noch Koalitionsvertrag darüber schreiben. Doch die SPD-Spitze tut lieber so, als sei noch gar nichts vereinbart, will sich Zeit lassen, auch um den Eindruck zu vermeiden, hinter den Kulissen mit der Union die Weichen schon längst gestellt zu haben.
Martin Schulz sagte nach dem Sonderparteitag der SPD in Bonn, die Sondierungen seien noch keine Koalitionsergebnisse. Man habe lediglich herausfinden wollen, ob sich Verhandlungen über eine Regierungsbildung mit der Union überhaupt lohnen. Diese absurden Aussagen, nachdem Nahles schon behauptet hatte, 80 Prozent des SPD-Programms seien umgesetzt, mag nun jeder bewerten wie er will. Aber so zu tun, als seien 28 Seiten bedrucktes Papier, in dem um jede Formulierung bis zuletzt gerungen wurde, keine Vereinbarung, bleibt wohl tatsächlich eine Art Täuschungsversuch.
Die Wahl von Angela Merkel zur Bundeskanzlerin könnte umgehend anberaumt werden, da ja bereits mehr als nur ein paar Eckpunkte für eine neue Regierung beschlossen wurden. Zumindest könnte die SPD-Spitze so ehrlich sein und den Mitgliedern den Koalitionsvertrag, der nichts anderes als das Sondierungspapier sein wird, gleich zur Abstimmung vorlegen, statt wieder ein paar Wochen quietschend mit der CSU über die Zeichensetzung zu streiten.
GroKo-Gegner ohne Gegenentwurf
Eine Zustimmung der Basis wird es so oder so geben, weil auch diejenigen in der SPD, die eine GroKo³ strikt ablehnen, keinen Gegenentwurf ohne Angela Merkel als Regierungschefin zu entwickeln und zu vertreten im Stande sind. Der neue Medienstar der Jusos, Kevin Kühnert, betont immer wieder, auch auf dem Parteitag, dass es ihm nicht um eine Personaldebatte gehe. Er und die Jugendorganisation der SPD haben damit also gar kein Interesse an einer Alternative zum System Merkel, wenn sie hinter dem Personal stehen, das genau dieses System immer wieder stützt.
Die Jusos haben ja nicht einmal ein Interesse an erfolgreicher Sozialdemokratie, wie sie nur noch von Jeremy Corbyn in Großbritannien praktiziert wird. Ihn bezeichneten Teile der Jusos sogar bar jeder Kenntnis als Antisemiten, statt als Beispiel für einen glaubwürdigen Politikwechsel auch für Europa, in dem die rechten Bewegungen immer stärker auf dem Vormarsch sind. Europa könnte ja tatsächlich ein gutes Thema sein, wenn man nicht den Eindruck hätte, es diene dem Parteichef Martin Schulz nur dazu, vom angerichteten Scherbenhaufen zu Hause abzulenken.
Wer also den Neuanfang will, kann doch nicht ernsthaft an Leuten wie Nahles und Schulz festhalten, die in skandalöser Art und Weise behaupten, das Sondierungsergebnis mit der Union sei weitgehend identisch mit dem, was die SPD bei möglichen Neuwahlen wieder in ihr Programm schreiben würde. Wer solche Sätze kaum beachtet durchgehen lässt, kann sich auch die Forderung nach einem Aufbruch oder einer Erneuerung sparen. Statt der Kampagne „Tritt ein stimm mit nein“ müsste die Parole lauten: „Tretet endlich zurück, sonst nie wieder Glück“
JAN
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.