„Die SPD fürchtet Neuwahlen unverändert nicht“, sagte Martin Schulz mehrmals, nachdem er sich diese offenbar nur scheinbar furchtlose Haltung im Vorstand hat einstimmig absichern lassen. Kurz vor dem Parteitag am Wochenende in Bonn ist nun alles anders. Die Mitglieder, die eine Große Koalition aus welchen Gründen auch immer ablehnen – vielleicht weil sie die Sätze des Vorsitzenden noch im Gehörgang haben, der sagte, die Große Koalition sei jetzt beendet oder die SPD stehe für eine Große Koalition nicht zur Verfügung -, sollen sich jetzt genau vor diesen Neuwahlen fürchten. Einfach fürchterlich.
Martin Schulz wirbt jetzt für eine Große Koalition. Nein, er wirbt für Verhandlungen mit der Union über die Bildung einer Großen Koalition, mögen einige korrigierend einwenden. Doch wo liegt der Unterschied? Schließlich warnt Schulz und mit ihm eine Reihe bekannter Quatschköpfe, die sich noch immer als Sozialdemokraten bezeichnen dürfen, vor Neuwahlen, die sehr schnell kommen könnten, wenn es den Parteien nicht gelinge eine Regierung zu bilden. Das heißt, Verhandlungen sind überflüssig, weil Schulz alles zu akzeptieren bereit ist, nur um Neuwahlen zu verhindern.
Ein Scheitern der Koalitionsverhandlungen wird schon gar nicht mehr in Betracht gezogen und der Mitgliederentscheid im Nachgang ist wohl reine Formsache. Es ist ja schon gelungen, Teile der Basis in Furcht zu versetzen. Viele glauben, die GroKo³ sei das geringere Übel und manche denken sogar, die SPD könne immer noch gestalterische Akzente setzen, obwohl sich die ausgehandelten Sondierungsergebnisse kaum von dem unterscheiden, was die Jamaika-Runde zu formulieren bereit war.
Die Union könnte also, nur so zum Spaß, in den Koalitionsverhandlungen noch weitere Kröten auf den Tisch legen, die SPD-Führung würde sie wohl schlucken. Stattdessen verspricht Martin Schulz seinen zweifelnden Genossen, noch einmal alle Themen ansprechen zu wollen.
„Wir werden im Rahmen der Koalitionsverhandlungen noch viele Themen ansprechen, die uns Sozialdemokraten am Herzen liegen.“
Alexander Dobrindt wird es freuen, noch einmal die fürchterlich effektive verbale Keule herausholen und schwingen zu dürfen, nur um den fiktiven Rahmen zu zerdeppern, den die Sozialdemokraten noch irgendwo zu finden glauben. Stephan Weil behauptete gestern bei Maischberger sogar, der Streit in der SPD zeige, dass die Partei eben nicht leicht zu haben sei. Gleichzeitig redete er aber auch davon, dass die SPD noch nie gekniffen habe und es auch jetzt nicht tun sollte.
Fürchterlich sind auch Sätze wie: „Ich will nicht, dass die Altenpflegerin vier Jahre auf bessere Arbeitsbedingungen wartet, nur damit sich die SPD wohlfühlt.“ Selbstverständlich nicht. Nur musste die Altenpflegerin die letzten vier, nein 12 Jahre und noch länger auf bessere Arbeitsbedingungen warten, nur weil die Genossen sich in der Rolle des jammernden Juniorpartners gefielen. Wie oft musste man den Satz hören, dass dies und jenes mit der Union leider nicht gehe. Dabei gab es andere Mehrheiten, die zum Wohle der Menschen durchaus einmal hätten genutzt werden können.
Geschenkt sei an dieser Stelle der Hinweis darauf, dass der Verband der Pflegedirektorinnen und Pflegedirektoren der Universitätskliniken und Medizinischen Hochschulen Deutschlands nach Studium des Sondierungspapiers zu dem Ergebnis kommt, der angekündigte Stellenaufbau weiche Lichtjahre von den tatsächlichen – und allseits bekannten – Bedarfen an zusätzlichen Pflegefachkräften in den Pflegeheimen und Krankenhäusern ab. Die Diskrepanz zwischen Problem und Lösungsansatz sei erschreckend, so das Urteil des Verbandes.
Doch Schulz und seine Fachkräfte für Pflege, wie etwa Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil verteidigen die angeblich so „hervorragenden Ergebnisse“. Sie würden schon für Verbesserungen sorgen. Die Liebe zum Sondierungspapier geht bei diesen falschen Sozialdemokraten sogar so weit, dass sie sagen, man müsse im Falle von Neuwahlen ja ohnehin mit einem Programm in den Wahlkampf ziehen, das in großen Teilen mit dem Sondierungsergebnis identisch sei. „Wie absurd wäre das denn?“, fragt Schulz.
Absurd ist es in der Tat, dass die verbliebenen Sozialdemokraten solche Äußerungen ihres Spitzenpersonals einfach durchgehen lassen und die Parteiführung nicht sofort zum Teufel jagen. Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert wird ja gern als großer Gegenspieler genannt, der den Finger in die klaffende Wunde zu legen versteht. Das mag ja an der ein oder anderen Stelle durchaus zutreffend sein, doch wolle er eben auch nicht mehr erreichen, als eine andere politische Kultur in seiner Partei. Sorry, aber das ist viel zu wenig.
Es hat keinen Sinn, eine andere politische Kultur mit denen zu pflegen, die seit Jahren die SPD in den Abgrund steuern. Die hatten doch ihre Chance. Nun ist es Zeit, dass sie verschwinden. Wer Veränderungen will, muss mit der Kontinuität brechen und die Machtfrage stellen. Aber da ist ja niemand in Sicht, auch Kevin Kühnert nicht. Und das ist nicht nur fürchterlich, sondern furchtbar traurig. Good Bye SPD.
JAN.
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.