Gibt es Alleingänge in der Politik? Natürlich nicht. Der angebliche „Alleingang“ vom geschäftsführenden Landwirtschaftsminister Christian Schmidt beim Thema Glyphosat kann genauso gut abgesprochen sein. Schmidt wird der künftigen Regierung schließlich nicht mehr angehören. Er eignet sich daher trefflich als Buhmann für eine an sich Lobby hörige Regierung.
Um den Verdacht von sich aber abzulenken, haut die eine geschäftsführende Ministerin der SPD ordentlich auf den Putz. Der Herr Schmidt habe sich vorher noch einmal telefonisch nach dem Votum der Ministerin erkundigt und den Dissens beider auch noch per SMS bestätigt. Wen interessiert denn das und warum sollte das wichtig sein? Die Position von Hendricks/SPD ist schon seit Wochen und Monaten klar. Es war nicht die erste Abstimmung zum Thema in Brüssel.
Bislang hat sich die deutsche Regierung stets enthalten, weil es zwischen Union und SPD keine Einigung in Sachen Glyphosat gab, obwohl die SPD nicht grundsätzlich dagegen ist. Nun also ein angeblicher Alleingang, den auch Merkel als solchen betrachtet. Wie sie heute mitteilen ließ, wusste sie natürlich nichts von dem Vorgang und erteilte ihrem Minister daher eine Rüge, wie es heißt. Damit sind doch alle künftigen Regierungsmitglieder aus dem Schneider.
Und noch mehr. Der „massive Vertrauensbruch“, den die offenkundig GroKo willige SPD-Führung (Hendricks fordert nach Glyphosat-Alleingang vertrauensbildende Maßnahme von Union) derzeit in ganz großer Show zelebriert, hilft doch beim Schmieden des neuen Regierungsbündnisses. Vermutlich wird es als Entschädigung für den „Alleingang“ ein großes Zugeständnis geben, das die Sozialdemokraten ihrer GroKo-unwilligen Basis als Schmankerl vorsetzen können.
Wie hat denn Sigmar Gabriel vor vier Jahren an der Basis für die GroKo geworben. Er sagte unter anderem, dass etwa 90 Prozent aus dem 100-Tage-Programm des Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück auch im Koalitionsvertrag mit der Union enthalten seien. Mit der Nummer und der Haltung der neuen Wahlverlierer, die GroKo sei ein Fehler gewesen, kann die SPD-Spitze heute natürlich nicht mehr in eine Mitgliederbefragung gehen. Da muss schon was Handfesteres her.
Eine Grundlage aus dem Nichts
Aber darum geht es eigentlich noch gar nicht, sondern vielmehr um eine schon zerstörte Grundlage, die vorher noch gar nicht existent war. Starte ein Ablenkungsmanöver, um deine wahren Absichten zu verschleiern, lautet ein bewährtes Rezept. Und so ist es auch dieses Mal. Plötzlich reden ja alle darüber, dass Christian Schmidt, der als Minister nie sonderlich aufgefallen ist, die Grundlage für eine GroKo zerstört habe.
Moment mal: Diese Grundlage gibt es doch noch gar nicht. Denn erst hat sich die SPD in die Opposition verabschiedet, um dann nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen den Beschluss „keine GroKo“ noch einmal einstimmig zu bekräftigen. Gestern war schließlich von einer gesamten Bandbreite möglicher Optionen die Rede, von einer GroKo-Grundlage aber explizit nicht („Keine Option ist vom Tisch“ und ergänzend dazu: SPD-Chef Schulz: „Ich strebe gar nix an“).
„Wir gehen in Gespräche, von denen wir noch nicht wissen, wohin sie führen. Keine Option ist vom Tisch“, sagte Schulz am Montag nach einer Sitzung des SPD-Parteivorstands. Doch am Dienstag ist die Grundlage GroKo auf wundersame Weise da. Und zwar in einer konstruktiv zerstörten Form, könnte man sagen. Schließlich müsse die Kanzlerin einen entstandenen „großen Vertrauensverlust“ umgehend heilen, wie die Ministerin Hendricks sagt. Das ist kein sonderlich schlaues Manöver, aber es scheint viele zu beeindrucken.
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Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.