Die Möglichkeiten endlich nutzen

Geschrieben von: am 24. Nov 2017 um 18:27

Quelle: geralt / Pixabay

Es ist falsch gewesen, kurz nach 18 Uhr am Wahlabend zu verkünden, als Fraktion geschlossen in die Opposition zu gehen. Es wäre richtig gewesen, kurz nach 18 Uhr den ein oder anderen Rücktritt zu erklären, um den Weg für eine personelle und inhaltliche Erneuerung der SPD früh zu ebnen. Beides hätte in den Gesprächen um eine Regierungsbildung nützlich sein können. Stattdessen blieben alle im Amt und vergeudeten vor allem viel Zeit. Doch es ist noch nicht zu spät.

Es wird ja viel über die Jamaika-Sondierer geredet – auch hier im Blog – die nach wochenlangen Wegbeschreibungen und Winke, Winke Spielchen nichts zustande brachten. Doch was hat die SPD in dieser Zeit getan? Hat sie die versprochene Erneuerung inzwischen auf den Weg bringen und brauchbare Gedanken entwickeln können? Nein. Thomas Oppermann wurde zum neuen jungen weiblichen Gesicht der SPD, mit Lars Klingbeil droht ein Rüstungslobbyist als neuer Generalsekretär und das Duo Schulz & Scholz lieferte bislang eher dürftige Positionspapiere ab.

Die verspielte Chance

Diese werden vermutlich auch die Grundlage von Koalitionsverhandlungen bilden und dann zu dem führen, was viele schon jetzt befürchten. Ein Weiter so. Doch genau das wäre fatal. Noch besteht die Chance, dass sich die Sozialdemokraten wieder auf Sozialdemokratie konzentrieren. Vielleicht haben sie in ihrer acht Stunden langen Sitzung gestern über das 9-Punkte-Papier von Albrecht Müller diskutiert. Es enthält die zentralen programmatischen Grundsätze, die nötig sind, um einen wirklichen Kurswechsel einzuleiten.

Die Sozialdemokraten könnten sich auch noch einmal die Spiegel Reportage über ihren Parteichef zur Hand nehmen und die einzig interessante Stelle aufschlagen, an der vom Meinungsforscher Richard Hilmer die Rede ist, wie er den Genossen im Willy-Brandt-Haus den Schulz-Hype erklärt. Demnach wollten zu diesem Zeitpunkt vor allem die Menschen für Schulz stimmen, die der SPD nach der Agenda 2010 das Vertrauen entzogen hatten. Das heißt, viele ehemalige SPD-Wähler sahen in Schulz und seiner zunächst Agenda kritischen Haltung einen Hoffnungsschimmer.

Doch statt diesen positiven Impuls aufzunehmen und eine Revision der Agenda-Politik ernsthaft ins Auge zu fassen, schlug die SPD einen anderen Weg ein. Eilig versuchten die SPD-Spitzenfunktionäre in Interviews klarzustellen, dass an der Agenda 2010 selbstverständlich nicht gerüttelt werde. Offenbar war man wieder beeindruckt von den marktkonformen Kreisen, die ihr vergiftetes Lob aussprachen und das ein wenig mit gespielter Empörung verbanden, als sie fragten, ob sich denn die Sozialdemokraten für ihre „erfolgreiche Reformpolitik“ schämten.

SPD muss die Alternative sein

Vielleicht ist es ja bequemer und das Verhältnis zu den Mächtigen angenehmer, wenn man sich auf deren simples Spielchen einlässt, statt die richtigen Schlüsse aus der Erkenntnis des Wahlforschers Hilmer zu ziehen. Die SPD hätte vielleicht die letzte Große Koalition zum Zeitpunkt des Schulz-Hypes verlassen und die damals noch mögliche eigene Mehrheit für etwas mehr als nur die Ehe für Alle nutzen können. Das eigene Programm, das mehr soziale Gerechtigkeit versprach, wäre dadurch sicherlich glaubwürdiger gewesen.

Diesen Weg ging die Sozialdemokratie aber nicht und die hoffenden Wähler wandten sich erneut enttäuscht ab. Es ist also bekannt, wie man Wahlen für die Sozialdemokratie gewinnt. Man hätte das vor der Bundestagswahl sogar noch einmal in Großbritannien studieren können, als Jeremy Corbyn mit seinem Programm „For the many, not the few“ über 40 Prozent der Stimmen holte und damit die absolute Mehrheit der Tories brach. Doch die SPD ignorierte den Erfolg von Labour weitestgehend, hielt stattdessen stur am eingeschlagenen Kurs fest und steuerte damit direkt in die absehbare Niederlage.

Nun haben andere im Bundestag die Mehrheit. Zur festen Zusammenarbeit sind Union, FDP und AfD aber noch nicht bereit. Das muss die SPD nutzen, wenn sie tatsächlich ein „Bollwerk der Demokratie“ sein will. Sie muss die Alternative sein und das Thema soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellen, das nach der Wahl urplötzlich in völlige Vergessenheit geriet. Sie muss die Abkehr von der Agenda-Politik endlich einleiten und sich inhaltlich wie personell so aufstellen, dass auch im Falle von Neuwahlen ein politisches Angebot jenseits vom Weiter so nicht nur erkennbar, sondern auch glaubwürdig ist.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Hartmut Schwarz  November 24, 2017

    Was für eine Steilvorlage für die SPD endlich mal wirklich gebraucht zu werden.
    Aber die Vorlage ging an die SPD !
    Und was jetzt noch vermasselt werden kann, wird ins Seitenaus befördert. Und auf solch eine Partei sollen wir warten ?
    Bevor da überhaupt etwas draus werden kann, sollten einige Aktere das Spielfeld verlassen und durch Sozialdemokraten ersetzt werden.

  2. michael müller  November 25, 2017

    <>

    Und genau das wird mit dieser rotlackierten, neoliberalen „verseeheimerten“ Agenda 2010 Sturmtruppe nicht passieren.Die gesamte Führungsriege darunter auch die Ex-Linke und jetzige Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles,kommen ja zum großen Teil noch aus der „Schröder-Ära“ und es sollte sich niemand der Illusion hingeben, die Sozen würden nur einen Deut von dieser unsäglichen Agendapolitik abweichen.
    Allein schon wegen des Hartz IV-Regimes im Allgemeinen und des Hartz IV-Sanktionsterrors im Besonderern, gehören die rotlackierten Neoliberalen unter die 5% Hürde !
    Manchmal habe ich wirklich den Eindruck, die Sozen haben die Lust am Untergang entdeckt, anders kann ich mir diese völlige Ignoranz und Naivität, oder ist es eine Mischung aus beidem, bezüglich der Lebensrealität der Menschen in unserem Lande nicht erklären.
    Die SPD als Partei kann sich nur, wenn überhaupt, von der Basis her erneuern, das heißt, Austausch des gesamten Führungspersonal, am besten mit Leuten von der Basis.Ich weiß, ist leichter gesagt als getan.

    • Derweg  November 25, 2017

      Die haben jetzt 20 Jahre CDU-Politik gemacht haben trotzdem wieder über 9Mio Wähler gehabt. Schaut man bei den Erststimmen sogar über 11Mio und das reicht immer und sei es nur zum mitregieren.

  3. Jarek Majchrzyk  November 25, 2017

    Das Hauptproblem der SPD ist das fast untrennbare Verhältnis zwischen der Programmatik und dem Personal. Auch wenn man von den Seeheimern absieht, sind alle handelnden Akteure mehr oder weniger dem (post) Schröderschen Reformkurs verbunden.

    Wir haben einen Parteichef, der Europa in einer Großen Koalition im Parlament neoliberale geprägt hat, der im Trilog außerdemokratische Formen der Entscheidung unterstützt hat, der die Verfolgung der Steuermachenschaften seines Kommissionskollegen verhindert hat, der letztendlich vehement für die Handelsverträge einstand.

    Wir haben einen Bundespräsidenten, der einer der Architekten der Agenda 2010 war, einer der Befürworter der GroKo und der sich 2013 auf dem Arbeitgebertag bei den milde lächelnden Wirtschaftsbossen mit den SPD-Steuerreformen eingeschleimt hatte, die den besseren x% dieser Republik 60.000.000.000 p.a. eingebracht haben.

    Wir haben mit der Fraktionsvorsitzenden eine Frau, die unerklärlicherweise als Linke galt und, kaum in der Ministerlimusine, schnell ihre Tarnung ablegte und mit etlichen Gesetzen (Rente, Leiharbeit, Hartz IV, Gewerkschaften) bewiesen hatte, dass die SPD nicht nur von 20% gewählt wird, sondern auch für 20% Politik macht. Die Deckungsmenge dieser Gruppen dürfte nicht allzu groß sein.

    Nun, woher soll jetzt die Umorientierung kommen? Pessimistisch stimmt mich, dass die SPD-Führung, nach eigenen Aussagen, vor der WAhl beschlossen hatte, bei einem Ergebnis nicht schlechter als 2009 wieder in die GroKo zu gehen. Also anscheinend spielt (spielte?) man doch mit dem Gedanken, sich dauerhaft als 20+x%-Partei, die als Partner der Union deren Politik betreibt, einzurichten.

  4. Derweg  November 25, 2017

    Es ist das was ich immer wieder gesagt habe:
    Es gibt keine Parteien! Es gibt nur Personen und diese Personen bestimmen wo es lang geht.

    Das wäre nicht so schlimm wenn die SPD eine innnerparteilich eine demokratische Struktur hätte. Die hat sie aber nur auf dem Papier. In der Praxis ist sie ein streng hierarchisch organiserter Verein wo Chef und Vorstand etwas beschliessen und der Rest nur abnicken darf. Zwar kennt das Statut das Instrument der Urabstimmung(§13) aber dazu braucht es erstmal 10% der Mitglieder und wer aus der Basis hat schon die Möglichkeit sowas anzuleiern? Dazu kommt, dass der Vorstand(siehe §13 und 14) weitreichende Möglichkeiten hat, den Initiatoren Knüppel zwischen die Beine zu werfen. gleichzeitig verbietet das Statut auch eine Änderung des Statuts durch Mitgliederentscheid. Wirklich sehr demokratisch. Das mag jetzt alles wie Juristenlatein klingen, ist aber in der Konsequenz, warum die SPD genau der Verein ist, der er ist.

    • Hartmut Schwarz  November 26, 2017

      In Tat sieht es nicht so aus, als würden uns die Parteien regieren.
      Vermutlich gibt es einen vorgegebenen Rahmen, in dem einige Regierende agieren ?
      Jedenfalls könnte man so denken, wenn ich mir Ernst Wolff anhöre.

  5. Jörg Wiedmann  November 25, 2017

    Die Rede von Jermey Corbyn hat mich begeistert. Aber als SPD von Labour lernen? Frau Nahles hat -darauf angesprochen- gesagt: „Wir ticken anders.“ Chance verpasst. Leider. Deutschland braucht dringend eine glaubhafte!! sozialdemokratische Alternative es scheint aber so als ob die SPD dazu nicht breit wäre. OK, dann bei der nächsten Wahl eben einstellig wie in den Niederlanden oder Frankreich.

  6. Hartmut Schwarz  November 27, 2017

    Die gescheiterten Jamaika Sondierungen können mit dem „Parteienfinanzierungsregress“ ( Der Postillion 22.11. 2017 ) der Großspender, ein Glücksfall für die Öffentlichkeit werden. Zeigt es doch ungeschminkt wie Politik beeinflusst werden könnte und vermutlich auch realisiert wird ?
    Wird die Qualitätspresse den Zusammenhang ungefiltert würdigen ?