Nichts geht mehr in Niedersachsen. Die vorgezogene Landtagswahl hat mitnichten zu jenen stabilen Verhältnissen geführt, die sich alle Beteiligten erhofften, nachdem sie sich ohne mit der Wimper zu zucken in vorgezogene Neuwahlen stürzten, nur weil eine persönlich beleidigte Abgeordnete die Seiten wechselte. Nun ist zu lesen, dass die Liberalen ja eine rot-grüne Minderheit tolerieren könnten, wenn sie schon nicht zu einer Koalition bereit sind. Abenteuerlich.
An dieser Stelle sei noch einmal an das Wahlergebnis erinnert. Zwei Sitze fehlen Rot-Grün zu einer Mehrheit, vor dem Neuwahl-Coup war es nur einer und, ganz wichtig, die Regierung war im Amt und wäre es vermutlich auch geblieben, weil sich Schwarz-Gelb ein Misstrauensvotum nicht zutraute. CDU-Spitzenmann Althusmann erklärt immer wieder, man sei schließlich mit der Entscheidung zu Neuwahlen den verfassungsmäßig korrekten Weg gegangen und habe auf das scharfe Schwert des Misstrauensvotums verzichtet.
Ping Pong mit der Verfassung
Das ist eine reine Schutzbehauptung, bei der mit den Regeln der Verfassung Ping Pong gespielt wird, um die eigene fehlende Courage zu verdecken. Ich schrieb es schon mehrere Male. Das Selbstauflösungsrecht des Parlaments ist nicht das erste Mittel, sondern das Letzte (daher auch Zweidrittelmehrheit notwendig), wenn keine konstruktive Arbeit des Parlaments mehr möglich oder aber die Regierung zerbrochen ist. Beides war nicht der Fall. Die Regierung war und ist intakt und die Arbeitsfähigkeit des Parlaments gewährleistet.
Würde man die schwache Argumentation von SPD, CDU, Grünen und FDP zur Neuwahlentscheidung zum Maßstab nehmen, müssten die gleichen Fraktionen im Angesicht dieses Wahlergebnisses wieder die Auflösung des Landtags fordern, da keine genehme Mehrheit zustande zu kommen scheint, die nun aber notwendig ist, um einen Regierungschef zu wählen. Doch so lange wählen zu lassen, bis es passt, ist kaum vermittelbar. Doch genau dieser Eindruck ist auch mit der vorgezogenen Landtagswahl ein weiteres Mal bedient worden.
Wir müssen wählen, damit es wieder passt, das war der Grund. Dabei hätte die bereits gewählte Regierung die paar Monate bis zum regulären Wahltermin im Januar ohne Probleme überbrücken können, wenn sie verstünde, wie der Parlamentarismus funktioniert und dessen Bedeutung schätzt. In der Verfassung des Landes Niedersachsen steht:
„Der Landtag ist die gewählte Vertretung des Volkes. Seine Aufgaben sind es insbesondere, die gesetzgebende Gewalt auszuüben, über den Landeshaushalt zu beschließen, die Ministerpräsidentin oder den Ministerpräsidenten zu wählen, an der Regierungsbildung mitzuwirken und die vollziehende Gewalt nach Maßgabe dieser Verfassung zu überwachen.“
Nicht die Landesregierung, die die vollziehende Gewalt ausübt, ist die Krone der demokratischen Schöpfung, sondern das Parlament, in dem die Mehrheiten erst gebildet werden müssen. Deswegen heißt es ja auch „Parlamentarische Demokratie“.
Der amtierende Ministerpräsident hätte also unter den gegebenen Umständen mehr mit dem Parlament und dessen Abgeordneten verhandeln müssen, um Mehrheiten zu gewinnen. Die Opposition hätte wiederum die Chance gehabt, in Sachfragen Selbstbewusstsein zu zeigen und mitzugestalten, wenn schon der Mut zur Wahl eines eigenen Regierungschefs fehlt. Das ist Demokratie. Mehrheiten können sich ändern und Regierungen zurücktreten. Doch Stephan Weil wollte Herr des Verfahrens bleiben.
Zu leicht gemacht
Parlamente sollten aber keine Abnickerbuden sein, was sie nur leider immer wieder unter Beweis stellen, wenn sie sich mal eben mit Zweidrittelmehrheit selber auflösen, nur weil die Regierung und führende Parteispitzen es so wollen. Doch die Entwicklungen nach dieser Wahl zeigen, dass der vermeintlich leichtere Weg, sehr viel kompliziertere Folgeerscheinungen mit sich bringt, die nun wiederum mit allerhand Leichtigkeit beiseite gewischt werden sollen.
Als die Grünen-Abgeordnete Twesten die Fraktion wechselte, war das Geschrei noch groß. Der Wählerwille sei auf den Kopf gestellt worden, hieß es da von der SPD, die nun ausgerechnet um eine Koalition mit der FDP ringt, die der Wähler laut Umfragen am wenigsten will. Aber das nur am Rande. Man hätte keinesfalls weitermachen können, da die Regierung ja die Mehrheit verloren habe. Nun soll aber eine noch kleinere Minderheit die Lösung bringen?
Mag ja sein, dass auf diese Weise die Wahl eines Ministerpräsidenten gelingen kann, wie sieht es aber mit der Sacharbeit aus? Dass die CDU inzwischen keine Probleme mehr damit hat, auch mal mit der AfD zu stimmen, sollte inzwischen bekannt sein. Wenn man sich also den Landtag anschaut, gibt es keine Mehrheit für eine rot-grüne Politik, weil sie bei CDU, FDP und AfD immer auf Ablehnung stößt. Man hat sich schlichtweg ins Abseits manövriert. Nun drängt die Zeit.
Eine Reizfigur der letzten Regierung hat bereits ihren Verzicht erklärt. Das könnte natürlich ein weiterer Versuch sein, ein Signal in Richtung Ampel zu setzen. Offiziell lehnt die FDP eine Regierungsbeteiligung in einem Bündnis mit SPD und Grünen aber weiterhin ab. Inzwischen haben auch die Grünen noch einmal bekräftigt, für Jamaika nicht wirklich zur Verfügung zu stehen. Und eine Große Koalition will wiederum die SPD auf jeden Fall vermeiden, weil dies der neuen Parteilinie im Bund widerspricht. Die CDU wirbt wiederum offen um die Grünen.
Das Pokerspiel geht also weiter oder sollte man es absurdes Theater nennen, an dessen Ende wieder Neuwahlen stehen könnten. Der 14. Januar wäre übrigens als Termin wieder frei.
OKT
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.