Ins Abseits gepokert

Geschrieben von: am 22. Okt 2017 um 14:49

Nichts geht mehr in Niedersachsen. Die vorgezogene Landtagswahl hat mitnichten zu jenen stabilen Verhältnissen geführt, die sich alle Beteiligten erhofften, nachdem sie sich ohne mit der Wimper zu zucken in vorgezogene Neuwahlen stürzten, nur weil eine persönlich beleidigte Abgeordnete die Seiten wechselte. Nun ist zu lesen, dass die Liberalen ja eine rot-grüne Minderheit tolerieren könnten, wenn sie schon nicht zu einer Koalition bereit sind. Abenteuerlich.

An dieser Stelle sei noch einmal an das Wahlergebnis erinnert. Zwei Sitze fehlen Rot-Grün zu einer Mehrheit, vor dem Neuwahl-Coup war es nur einer und, ganz wichtig, die Regierung war im Amt und wäre es vermutlich auch geblieben, weil sich Schwarz-Gelb ein Misstrauensvotum nicht zutraute. CDU-Spitzenmann Althusmann erklärt immer wieder, man sei schließlich mit der Entscheidung zu Neuwahlen den verfassungsmäßig korrekten Weg gegangen und habe auf das scharfe Schwert des Misstrauensvotums verzichtet.

Ping Pong mit der Verfassung

Das ist eine reine Schutzbehauptung, bei der mit den Regeln der Verfassung Ping Pong gespielt wird, um die eigene fehlende Courage zu verdecken. Ich schrieb es schon mehrere Male. Das Selbstauflösungsrecht des Parlaments ist nicht das erste Mittel, sondern das Letzte (daher auch Zweidrittelmehrheit notwendig), wenn keine konstruktive Arbeit des Parlaments mehr möglich oder aber die Regierung zerbrochen ist. Beides war nicht der Fall. Die Regierung war und ist intakt und die Arbeitsfähigkeit des Parlaments gewährleistet.

Würde man die schwache Argumentation von SPD, CDU, Grünen und FDP zur Neuwahlentscheidung zum Maßstab nehmen, müssten die gleichen Fraktionen im Angesicht dieses Wahlergebnisses wieder die Auflösung des Landtags fordern, da keine genehme Mehrheit zustande zu kommen scheint, die nun aber notwendig ist, um einen Regierungschef zu wählen. Doch so lange wählen zu lassen, bis es passt, ist kaum vermittelbar. Doch genau dieser Eindruck ist auch mit der vorgezogenen Landtagswahl ein weiteres Mal bedient worden.

Wir müssen wählen, damit es wieder passt, das war der Grund. Dabei hätte die bereits gewählte Regierung die paar Monate bis zum regulären Wahltermin im Januar ohne Probleme überbrücken können, wenn sie verstünde, wie der Parlamentarismus funktioniert und dessen Bedeutung schätzt. In der Verfassung des Landes Niedersachsen steht:

„Der Landtag ist die gewählte Vertretung des Volkes. Seine Aufgaben sind es insbesondere, die gesetzgebende Gewalt auszuüben, über den Landeshaushalt zu beschließen, die Ministerpräsidentin oder den Ministerpräsidenten zu wählen, an der Regierungsbildung mitzuwirken und die vollziehende Gewalt nach Maßgabe dieser Verfassung zu überwachen.“

Nicht die Landesregierung, die die vollziehende Gewalt ausübt, ist die Krone der demokratischen Schöpfung, sondern das Parlament, in dem die Mehrheiten erst gebildet werden müssen. Deswegen heißt es ja auch „Parlamentarische Demokratie“.

Der amtierende Ministerpräsident hätte also unter den gegebenen Umständen mehr mit dem Parlament und dessen Abgeordneten verhandeln müssen, um Mehrheiten zu gewinnen. Die Opposition hätte wiederum die Chance gehabt, in Sachfragen Selbstbewusstsein zu zeigen und mitzugestalten, wenn schon der Mut zur Wahl eines eigenen Regierungschefs fehlt. Das ist Demokratie. Mehrheiten können sich ändern und Regierungen zurücktreten. Doch Stephan Weil wollte Herr des Verfahrens bleiben.

Zu leicht gemacht

Parlamente sollten aber keine Abnickerbuden sein, was sie nur leider immer wieder unter Beweis stellen, wenn sie sich mal eben mit Zweidrittelmehrheit selber auflösen, nur weil die Regierung und führende Parteispitzen es so wollen. Doch die Entwicklungen nach dieser Wahl zeigen, dass der vermeintlich leichtere Weg, sehr viel kompliziertere Folgeerscheinungen mit sich bringt, die nun wiederum mit allerhand Leichtigkeit beiseite gewischt werden sollen.

Als die Grünen-Abgeordnete Twesten die Fraktion wechselte, war das Geschrei noch groß. Der Wählerwille sei auf den Kopf gestellt worden, hieß es da von der SPD, die nun ausgerechnet um eine Koalition mit der FDP ringt, die der Wähler laut Umfragen am wenigsten will. Aber das nur am Rande. Man hätte keinesfalls weitermachen können, da die Regierung ja die Mehrheit verloren habe. Nun soll aber eine noch kleinere Minderheit die Lösung bringen?

Mag ja sein, dass auf diese Weise die Wahl eines Ministerpräsidenten gelingen kann, wie sieht es aber mit der Sacharbeit aus? Dass die CDU inzwischen keine Probleme mehr damit hat, auch mal mit der AfD zu stimmen, sollte inzwischen bekannt sein. Wenn man sich also den Landtag anschaut, gibt es keine Mehrheit für eine rot-grüne Politik, weil sie bei CDU, FDP und AfD immer auf Ablehnung stößt. Man hat sich schlichtweg ins Abseits manövriert. Nun drängt die Zeit.

Eine Reizfigur der letzten Regierung hat bereits ihren Verzicht erklärt. Das könnte natürlich ein weiterer Versuch sein, ein Signal in Richtung Ampel zu setzen. Offiziell lehnt die FDP eine Regierungsbeteiligung in einem Bündnis mit SPD und Grünen aber weiterhin ab. Inzwischen haben auch die Grünen noch einmal bekräftigt, für Jamaika nicht wirklich zur Verfügung zu stehen. Und eine Große Koalition will wiederum die SPD auf jeden Fall vermeiden, weil dies der neuen Parteilinie im Bund widerspricht. Die CDU wirbt wiederum offen um die Grünen.

Das Pokerspiel geht also weiter oder sollte man es absurdes Theater nennen, an dessen Ende wieder Neuwahlen stehen könnten. Der 14. Januar wäre übrigens als Termin wieder frei.

8

Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
  Verwandte Beiträge

Kommentare

  1. Hartmut Schwarz  Oktober 23, 2017

    Größere Teile der Politik haben sich bereits ins Abseits gepokert.
    Man könnte vielleicht auch denken, dass größere Teile der Bevölkerung ins Abseits gepokert wurden und dieses auch so fort geführt werden wird. Nicht nur in Niedersachsen….

  2. Derweg  Oktober 23, 2017

    Genau genommen fehlt Rot-Grün nur ein Sitz, denn 68 ist die Mehrheit. Es wird aber aus einem nichtgenannten Grund keine Neuwahlen geben und das ist die Linke. Deren Ergebnis war viel zu nah an den 5%, als das man sich das trauen würde. In Zahlen ausgedrückt fehlten der Linken gerade mal ca. 14 300 Wähler und das ist statistisch so gut wie nichts. Mit der Linken wäre dann aber nur eine weitere Partei drin, mit der keiner der beiden großen koalieren will. Die Situation für Union und SPD besserte sich dadurch keinen Deut.

    Eine weitere Möglichkeit hat der Autor ebenfalls nicht auf dem Schirm und das ist, dass Abgeordnete der Afd in eines der Lager übergehen. In Thüringen hat die Regierungskoalition nur noch wegen des Übertritts eines afd-lers zur SPD überhaupt noch eine Mehrheit.

    • André Tautenhahn  Oktober 23, 2017

      Genau genommen fehlt Rot-Grün nur ein Sitz, denn 68 ist die Mehrheit.

      Nein, wegen Überhang- und Ausgleichsmandaten hat der Landtag eine Größe von 137 Sitzen. Die absolute Mehrheit liegt demnach bei 69 Sitzen. Rot-Grün kommt zusammen nur auf 67 Sitze. ;-)

      Es wird aber aus einem nichtgenannten Grund keine Neuwahlen geben und das ist die Linke.

      Wieso sollte die Linke eine Bedrohung sein oder gar plötzlich besser abschneiden? Außerdem würde eine weitere Partei im Parlament nichts an der Tatsache ändern, dass zur Mehrheitsbildung entweder eine GroKo oder ein Dreierbündnis nötig ist. Die Situation von Union und SPD wäre also exakt die gleiche wie jetzt.

      Eine weitere Möglichkeit hat der Autor ebenfalls nicht auf dem Schirm und das ist, dass Abgeordnete der Afd in eines der Lager übergehen. In Thüringen hat die Regierungskoalition nur noch wegen des Übertritts eines afd-lers zur SPD überhaupt noch eine Mehrheit.

      Das wäre natürlich äußerst unterhaltsam, wenn es nun zu Übertritten seitens der AfD käme, die eine rot-grüne Mehrheit ermöglichen. Sollten AfDler ins andere Lager wechseln, macht das auch kein Unterschied. Die haben ja schon die Mehrheit. ;-)

      • Derweg  Oktober 23, 2017

        Zitat: Wieso sollte die Linke eine Bedrohung sein oder gar plötzlich besser abschneiden?

        Selbst bei 5% würden den anderen Parteien dann mind. 7 Sitze fehlen und das macht eine Regierungsbildung noch unwahrscheinlichler und es ist zu bezweifeln, dass die SPD dieses Ergebnis nochmnal wiederholen kann. Da würde schon reichen, dass die CDU einen anderen Spitzenkandidaten in’s Rennen schickt, weil Herr Althussmann wieder nach Namibia geht.:)

        • André Tautenhahn  Oktober 23, 2017

          Selbst bei 5% würden den anderen Parteien dann mind. 7 Sitze fehlen und das macht eine Regierungsbildung noch unwahrscheinlichler

          Nein. Die Situation wäre im Prinzip die gleiche. Wenn die Linke den Einzug knapp geschafft hätte, gebe es u.U. eine Option mehr für die SPD (Rot-Rot-Grün), was die Regierungsbildung theoretisch sogar vereinfacht hätte. Eine Koalition mit oder Tolerierung durch die Linke wäre da in jedem Fall besser vermittelbar, als der Quatsch mit einer Rot-Grünen Minderheitsregierung unter Tolerierung der FDP, der aktuell diskutiert wird. Da wir aber wissen, dass die Niedersachsen-SPD mit den Linken eher nicht zusammenarbeiten will, würde auch unter diesen Bedingungen nur über Ampel, Jamaika oder GroKo diskutiert.

          ist zu bezweifeln, dass die SPD dieses Ergebnis nochmnal wiederholen kann.

          Wieso? Die Analyse zeigt, dass die SPD klar punkten konnte. Sie hat der Union 23 Wahlkreise abgejagt. Das spricht eigentlich nicht dafür, dass die Wähler sich bei einem erneuten Urnengang plötzlich anders entscheiden würden.

          Da würde schon reichen, dass die CDU einen anderen Spitzenkandidaten in’s Rennen schickt,

          Wen denn? Althusmann hat sich außerdem gleich an die Spitze der Fraktion gesetzt und damit eine Personaldiskussion zunächst einmal beendet.

  3. Hartmut Schwarz  Oktober 23, 2017

    Twesten hatte mit ihrem Fraktionwechsel ( kleine Rochade ) im Vorfeld diese “ Neuwahlen “ doch erst “ ermöglicht „. Sollte es jetzt zu einer großen Rochade kommen, wäre der kleine Rest an Glaubwürdigkeit in diese Politik verpufft.

    • André Tautenhahn  Oktober 23, 2017

      Twesten war nur der Anlass. Ermöglicht hat der Landtag die Neuwahlen mit denkbar schwachen Argumenten. Er hätte auch anders entscheiden können.

      Man muss sich das noch mal klarmachen. Da gibt es Regeln zur Auflösung des Landtags, die laut „Vorsicht“ schreien. Man braucht ja nicht nur eine Zweidrittel-Mehrheit, sondern muss den Antrag auf Auflösung erst im Plenum diskutieren, dann mindestens 11 Tage warten (man könnte in Klammern auch hinzufügen, damit sich alle klar darüber werden, was sie tun) und dann erst die Auflösung beschließen.

      Dieser laxe Umgang mit der Verfassung zerstört Glaubwürdigkeit, nicht der Wechsel einer Abgeordneten, den die SPD zum ganz großen Skandal aufgeblasen hat. Mag ja sein, dass viele Wähler so ein Verhalten wie das von Twesten furchtbar schrecklich finden, schlimmer ist aber, dass die Politik darauf keine bessere Antwort kennt, als gleich nach Neuwahlen zu rufen.

  4. Hartmut Schwarz  Oktober 23, 2017

    Die meisten Wähler werden sich wohl ins „Fäußtchen“ gelacht haben, als eine Grüne zur CDU gewechselt hat.
    Was dann Politik alles unternommen hat, um vorgezogene Neuwahlen zu starten ist schon mal grenzwertig. Zeigt aber wiederum in welch kurzer Zeit 2/3 Mehrheiten + Antrag auf Auflösung im Plenum arrangiert werden können.
    Aber um Gesetzesnovellen für den Kleinen Mann zum Gesetz gemacht werden zu lassen, dauert es Jahre, wenn sie dann überhaupt kommen.
    Insofern zeigt dieser Fraktionwechsel Twestens einmal mehr, welche Prioritäten Politik setzt.
    Vermutlich ging es nur um die Aussicht auf Posten im neuen Landtag.
    Allein schon solche Überlegungen anzustellen, beschreibt meinen Glaubwürdigkeitsverlust in unsere Politiker.