Der Zeitplan für Sondierungsgespräche im Bund ist streng an den Termin der Landtagswahl in Niedersachsen am kommenden Sonntag gekoppelt. Das ist keine Neuigkeit. Die allgemeine Lähmung wird darüber hinaus aber anhalten, weil auch die Mehrheitsverhältnisse in Hannover alles andere als klar sein werden.
Die SPD befindet sich derzeit im Aufwind und zieht im aktuellen Trend inzwischen an der CDU vorbei, die wiederum seit Wochen an Zustimmung verliert. Derzeit wären die Sozialdemokraten also stärkste Kraft mit einem Ergebnis, dass sie auch bei der letzten Landtagswahl 2013 erreichten. Ein Grund zur Freude ist das aber nicht, denn zum Weiterregieren fehlen die Optionen.
Farbenspiele
Die Grünen verlieren in der Projektion ebenfalls deutlich in der Wählergunst und kämen nur noch auf rund 10 Prozent. Ministerpräsident Stephan Weil benötigt also einen weiteren Partner, um weiterregieren zu können. Die Liberalen haben aber schon abgewunken. FDP-Landeschef Stefan Birkner schloss eine Ampel wiederholt und deutlich aus.
Nun könnte Weil nach einem möglichen „Wahlsieg“ an die staatspolitische Verantwortung der FDP appellieren, was die wiederum mit einem Verweis auf das Verhalten der SPD im Bund quittieren könnte. Mit den Linken wäre eine Koalition tatsächlich möglich, sofern die Partei in den Landtag kommt und dabei ein gutes Ergebnis einfährt. Nur fünf Prozent reichen wohl nicht zu Rot-Rot-Grün.
Die Grünen könnten sich so ein Bündnis vorstellen und auch für Stephan Weil wäre es die einzige Option, weiterhin Ministerpräsident zu bleiben, sofern er eine Große Koalition vermeiden will, bei der nicht klar ist, ob die CDU den bisherigen Regierungschef weiter akzeptiert. Doch statt diese Ausgangslage zu erkennen, wünscht sich Weil lieber, dass die Linke gar nicht erst in den Landtag einzieht und führt damit die SPD in die politische Sackgasse.
Denn neben SPD, CDU, FDP und Grünen, zöge die AfD derzeit sehr sicher in den Landtag ein. Sie blockiert das übliche Farbenspiel. Und da eine Ampel wie oben erwähnt ausgeschlossen bleibt, könnte die CDU ebenfalls Jamaika in Angriff nehmen, auch wenn sie nicht stärkste Fraktion im Landtag wird. Schließlich ist beim letzten Mal Rot-Grün auch gegen die CDU als stärkste Fraktion gebildet worden.
Bernd Althusmann (CDU) hält Jamaika zwar für unwahrscheinlich, aber nicht für ausgeschlossen. Das seien für die CDU nur Gespräche mit Linken und der AfD. Aus Sicht der FDP sei ein Bündnis mit den Grünen „schwierig“, aber ebenfalls nicht ausgeschlossen. Die Grünen wiederum halten Jamaika für jenseits aller Vorstellungskraft, aber ausgeschlossen haben auch die Scheinlinken um Anja Piel nichts.
Also: Konkret ausgeschlossen sind bisher die klassische Ampel und Bündnisse mit der AfD. Damit müsste die SPD eigentlich offensiv für Rot-Rot-Grün werben, statt den gleichen blödsinnigen Fehler wie Martin Schulz zu machen, der immer so tat, als hätte er dann alle Optionen in der Hand, wenn er sich für keine entscheidet.
Inhaltsleere
Bernd Althusmann ist als Herausforderer so erbärmlich schlecht, dass die SPD die Wahl eigentlich locker gewinnen müsste. Doch die Genossen um Stephan Weil haben keine brauchbare Strategie, weshalb der CDU wieder eine simple und in der Konsequenz wohl erfolgreiche Rote-Socken-Kampagne reicht, um an ihr Ziel zu gelangen, eine linke Mehrheit zu verhindern.
Es war keine gute Idee, Neuwahlen mit der Begründung auszurufen, möglichst bald stabile Verhältnisse wiederherzustellen, nachdem eine Abgeordnete die Seiten wechselte. Folgt man den jüngsten Umfragen wird es nach dem 15. Oktober eben eine ähnliche Hängepartie mit „schwierigen Gesprächen“ geben wie im Bund. Aber das ist ja vielleicht auch so gewollt, um über politische Inhalte nicht weiter reden zu müssen.
Die Themen sind nämlich immer dieselben. Bildungspolitik, innere Sicherheit und VW. Dabei tauschen die Kontrahenten wechselseitig Vorwürfe aus. Denn die Herausforderer von heute sind ja immer auch die Vertreter einer Vorgängerregierung. Seit neuestem gesellt sich das Modethema Digitalisierung dazu. So will die SPD den Großteil des zu erwartenden Haushaltsüberschusses in den Ausbau der Digitalisierung investieren.
Rund 800 Millionen Euro aus den voraussichtlichen Mehreinnahmen sollen in ein Sondervermögen „Digitalisierung in Niedersachsen“ fließen. Gleiches verspricht die CDU. Schnelle Internetanschlüsse müssten buchstäblich jede Milchkanne erreichen. Dafür soll es ein rund eine Milliarde Euro großes Programm bis zum Jahr 2022 geben. Der seltsam wirkende Gleichklang bei einem eher sehr speziellen Thema deutet wiederum auf eine Große Koalition und damit eine Fortsetzung der neoliberalen Politik hin.
Über die „Digitalisierung“ wird im Einzelnen noch zu reden sein. Sie wird bundesweit zur ganz großen Nummer aufgeblasen. Vorsicht ist geboten. Sie täuscht offenbar eine Beschleunigung vor, um die dahinter steckende Lähmung weiter zu verbergen.
OKT
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.