Es ist Zeit für die Anstalt

Geschrieben von: am 18. Sep 2017 um 19:25

Am kommenden Sonntag ist Bundestagswahl. An meiner jüngsten Einschätzung hat sich auch nach diesem Wochenende nichts geändert. Im Gegenteil, es scheint sich zu bestätigen, dass die Jamaika-Koalition ausgemachte Sache ist. Die Zeitungen sind heute voll davon, nachdem FDP und Grüne gestern in Berlin jeweils für sich einen Parteitag veranstalteten und dabei so taten, als könnten sie sich gegenseitig nicht leiden.

Dabei zeigte das erbärmlich schlecht zusammengeschnittene Rededuell zwischen Özdemir und Lindner im Bericht aus Berlin ein paar halbherzig konstruierte Unterschiede, die sich bei näherer Betrachtung allesamt in Luft auflösten.

FDP und Grüne haben bereits vor der Wahl eine Geschäftsgrundlage gefunden, die es ihnen erlaubt, auf der Berliner Bühne etwas Demokratietheater vorzuspielen. Das Drehbuch ist dabei ganz einfach zu lesen. An die Stelle der Großen Koalition soll ein scheinbar neues Bündnis treten, das mit etwas anderer Farbe anlackiert von der eintönigen Fortsetzung der neoliberalen Agenda ablenken soll. Die SPD wird mitspielen und die ihr zugedachte Rolle als Oppositionsführerin annehmen, um der AfD als möglicherweise drittstärksten Fraktion das Recht auf die erste Rede nach Mutti zu nehmen.

Dass die AfD so groß wird, dafür legen sich die Medien in dieser Woche noch einmal ins Zeug, die ihr, ähnlich wie der FDP jede Menge Aufmerksamkeit und Sendezeit zu Teil werden lassen. Heute übertrug phoenix eine belanglose Pressekonferenz von Gauland und Weidel live, während eine Erklärung des SPD-Wahlkampfmanagers Hubertus Heil lediglich als Zusammenschnitt lief. Die zahlreich versammelten und auf engstem Raum hockenden Journalisten wollten von den Spitzenkandidaten der AfD unter anderem wissen, wie viele Besucher tatsächlich am ersten Oktoberfestwochenende auf der Wiesn in München unterwegs waren.

Ein bisschen Trump-Niveau ist halt überall. Und das wird diese Woche auch noch so weitergehen, bis zum Wahlabend, an dem es dann wieder nur selbsternannte Gewinner, aber keine Hoffnung auf eine bessere Politik geben wird. Vielmehr werden sich Union, SPD, FDP und Grüne am dankbaren Gegner AfD abarbeiten, eine Front gegen die Rechten begründen, obwohl sie selber schon ganz weit nach rechts gewandert sind, und gleichzeitig der Linken vorwerfen, dass die weiterhin einen Politikwechsel fordert, statt sich dem Bündnis der „anständigen Demokraten“ anzuschließen.

Der Schatten der unnötig vorgezogenen Landtagswahl in Niedersachsen am 15. Oktober tut wohl sein Übriges dazu. Da ist es doch ein Glück, dass die Anstalt am morgigen Dienstag endlich aus ihrer Sommerpause zurückkehrt.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. hrsc  September 20, 2017

    Evtl. bringen die Wahlentscheidungshilfen-UI’s ja einige Nichtwähler zu den Wahlkabinen? Sozialomat, Agraromat, Wahlomat, Musikomat, Steueromat, Science-o-mat, Wahlnavi, Bundeswahlkompass und weitere verlinkt in https://sensiblochamaeleon.wordpress.com/2017/09/12/bundestagswahl-2017/