Die Unterstellungen, mit denen Olaf Scholz in der Sendung Anne Will am gestrigen Sonntag arbeitete, um die Spitzenkandidatin der Linken, Sahra Wagenknecht, zu attackieren, sind wenig überraschend. Als Arbeitsminister war Olaf Scholz im Kabinett Merkel I von 2007 bis 2009 zuständig für das Frisieren der Arbeitslosenzahlen. Scholz ist weder ein Kämpfer für mehr soziale Gerechtigkeit noch ein Sozialdemokrat.
Am 4. Juli 2009 sagte der damalige Bundesminister für Arbeit und Soziales, Olaf Scholz:
„Alles, was an Effekten durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen entsteht, wird jedes Mal zusammen mit der Arbeitsmarktstatistik veröffentlicht. … Ich glaube, dass man sich auf die Seriosität dieses Prozesses verlassen kann. Wer anders rechnen wolle, könne ja „seine Zahl veröffentlichen – und dazu ein Flugblatt drucken.“
Seitdem veröffentlicht die Linke Monat für Monat die tatsächlichen Arbeitslosenzahlen, weil Scholz in seiner Zeit als Arbeitsminister eine Sonderregelung durchsetzte, wonach bestimmte Gruppen von Arbeitslosen nicht mehr als arbeitslos zu zählen seien. Eine Reihe von „linken“ Verschwörungstheoretikern vermuteten schon damals die Absicht der Schönfärberei. Andere stellten gar absurderweise einen Zusammenhang zum Wahlkampf 2009 her.
Heute ist das natürlich auch alles eine Verschwörungstheorie und so eine Sendung wie Monitor gehört vermutlich ebenfalls zum Kreis der Verschwörer, weil sie in der letzten Woche über die Zählweise in der Arbeitsmarktstatistik kritisch berichtet hatte. Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger wird darin als Kronzeuge genannt. Der ist vermutlich auch ein Verschwörungstheoretiker, na klar, schreibt er ja ständig etwas anderes in Frühjahrs- und Herbstgutachten hinein als die vier Kollegen, die sich ungestraft Sachverständige nennen dürfen.
Realitätsverweigerung
Wie schön, dass die Diagnose bei Olaf Scholz da einfacher fällt. Sie lautet schlicht Realitätsverweigerung. Wie bescheuert die SPD-Führungsriege im Wahlkampf auftritt, kann man auch am Grinsen von Armin Laschet ablesen. Die Union muss tatsächlich keinen Wahlkampf betreiben, wenn man das bequem an die SPD und an solche Leuchten wie Olaf Scholz auslagern kann. Alles was die Union zu machen braucht, ist die Wähler nur daran zu erinnern, wer die Agenda 2010 verabschiedet hat, verbunden mit einem Lob und ein wenig gespielter Empörung darüber, dass sich die SPD offenbar dafür schäme. Ein vergiftetes Lob und eine Provokation zugleich, auf das die Sozialdemokraten immer wieder reagieren müssen, obwohl sie den Mist am liebsten vergessen wollen.
Doch vergessen ist nicht, solange Leute wie Scholz es richtig finden, was unter Rot-Grün auf den Weg gebracht worden ist. Irgendwo zwischen der Verteidigung der Agenda 2010 und dem Klagelied über eine soziale Schieflage im Land gehen den Sozialdemokraten nicht nur die Argumente aus, sondern auch die letzten Reste an Glaubwürdigkeit verloren. Weil das so ist, kommt es zum Ende des Wahlkampfes auch wieder zum alten Abwehrkampf, gegen die simple Erkenntnis des Scheiterns und gegen die bösen Linken, die immer wieder darauf hinweisen. Doch hat es etwas mit Verschwörungstheorie zu tun, wenn man von den Sozialdemokraten Sozialdemokratie verlangt? Sicher nicht. Doch die Forderung bedeutet auch, dass sich Leute wie Scholz zwingend verabschieden müssten.
So lange sie aber weiterhin das Sagen in der SPD haben, bleibt es bei einem traurigen Befund. Auf der dunklen Seite der Macht ist kein Platz für die Sozialdemokratie, sondern nur für ein gleichlautendes Anhängsel, das die Mehrheit in einer GroKo für das „Weiter so“ organisiert, zuletzt sogar für mehrere Grundgesetzänderungen, die künftig noch mehr öffentliche Infrastruktur zu Anlageobjekten macht und die SPD erneut zum Adressaten gesellschaftlichen Zorns. Wofür das Ganze? Um später einmal Bundespräsident zu werden oder einen Aufsichtsratsposten zu ergattern? Nein, das kann nur eine Verschwörungstheorie sein.
Übrigens
„Die SPD soll nach den Bundestagswahlen weiter mit regieren, auch als Juniorpartner der CDU.“ Dafür hat sich die Spitzenkandidatin der Berliner SPD für die Bundestagswahl, Eva Högl, gegenüber dem rbb ausgesprochen. Ach was. Das wissen wir schon seit über zehn Jahren. Trotzdem tut die SPD jedes Mal so, als wollte oder könnte sie eine Regierung anführen, die für das „Weiter so“ steht. Übrigens. Der letzte sogenannte Sozialdemokrat vor Scholz, der an Statistiken herum manipulierte und das Sozialdemokratische im Grunde total zum Kotzen fand, war Superminister Wolfgang Clement. Der trat schließlich aus der SPD aus und wandte sich mehr der FDP zu. Vielleicht ist das ja auch eine Option für den ach so seriösen Olaf Scholz.
AUG
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.