Wofür steht die SPD? Für Wechsel und Kontinuität, wie ein Autor meint, dessen Text im vorwärts zu lesen ist. Das ist kein Fehler, sondern ernst gemeint. Sie müssen sich das so vorstellen (geklaut bei Volker Pispers). Union und SPD stehen gemeinsam im Führerhaus. Das bedeutet Große Koalition. Der Zug rollt auf den Abgrund zu und beide stellen den Passagieren am 24. September die Frage, wer als Lokführer künftig die Hupe bedienen und den Dampfkessel weiter befüllen soll. Das bedeutet Wechsel. Zug anhalten und die Richtung ändern, ist nicht vorgesehen. Das bedeutet Kontinuität. Der Griff zur Notbremse wäre aber angebracht.
Drei Gründe führt der Kommentator im vorwärts an, die seiner Meinung nach zeigen sollen, warum die SPD zur stärksten Kraft werden müsse. Sie überzeugen aber alle nicht.
- Die SPD hat die Politik der Großen Koalition geprägt
Eine oft getätigte Behauptung, die allein schon durch das ständige Gejammer der Sozialdemokraten, wonach die Union ja leider vieles blockieren würde, widerlegt wird. Sicherlich sind Dinge wie der Mindestlohn beschlossen worden. Aber diese immer wieder vorgetragene Erfolgsgeschichte ist in Wirklichkeit keine, wenn man bedenkt, dass es rund zehn Jahre und eine Reihe von faulen Kompromissen dafür brauchte, um die Union zur Zustimmung zu bewegen. Das wäre mit eigener durchaus vorhandener Mehrheit viel schneller gegangen. Doch die nutzte die SPD erst zum Schluss dieser Legislaturperiode einmal und dann ausgerechnet für etwas vergleichbar belangloses wie die Ehe für alle (bitte keine Haue). Warum aber nicht für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung? Soll das etwa wieder zehn Jahre dauern? - Merkel zur sozialdemokratischsten Regierungschefin gemacht und gerettet
Na klar, mit allzu forschen Drohungen wollte man die Große Koalition nicht riskieren, sondern, wie der Autor ja selber schreibt, lieber Merkel vor einer Demontage durch die CSU bewahren. Die SPD, ein verlässlicher Partner sozusagen, der es erst ermöglicht habe, dass Merkel gute Politik machen konnte. Soll das jetzt eine Leistung sein, für die man die SPD mit Stimmen belohnen müsse? Und was soll das unangebrachte Lob für Angela Merkel überhaupt, wenn man künftig den Kanzler stellen will? Der Wähler winkt ob dieser albernen wie tragischen Einschätzung vermutlich angewidert ab und hat es längst aufgegeben, bei der SPD nach Resten von Glaubwürdigkeit zu suchen. - Der ideale Kandidat Martin Schulz
Die Glaubwürdigkeit hätte ja wirklich mit ihm zurückkehren können. Nicht nach meiner Einschätzung, aber vielleicht nach Auffassung derjenigen, die zunächst dachten, Schulz meine das ernst mit der sozialen Gerechtigkeit und Korrekturen an einer Politik, für die die Sozialdemokratie trotz aller Wahlschlappen bislang stand. Ein Momentum zeichnete sich ab, dass man durchaus besser hätte nutzen können, als umgehend zurückzurudern und zu versichern, alles bleibe natürlich so, wie es ist. Doch die Position „Keine Experimente wagen“ und „Weiter so“ hat die Amtsinhaberin schon erfolgreich besetzt. Trotzdem tut die SPD weiterhin so, als könne ihr ein Wechsel im Lokführerstand gelingen. Doch die Passagiere im Zug wollen keinen Schulz, der mit der Pfeife spielt und seine Erfüllung darin sieht, Mutti dabei nicht mehr um Erlaubnis fragen zu müssen. Sie wollen in eine andere Richtung. Doch für Fahrplanänderungen ist die SPD augenscheinlich nicht zu haben.
Dafür bekommen wir am 24. September wieder eine Richtungswahl – auf einer einzelnen Schiene, wie Pispers spottete. Denn die Richtung sei ja alternativlos. Also: 993.000 LeiharbeiterInnen, alternativlos. 20 Prozent der Beschäftigten arbeiten im Niedriglohnsektor, alternativlos. 5,7 Millionen Menschen ab 55 Jahren sind von Armut bedroht, alternativlos. Jedes fünfte Kind lebt in Armut, alternativlos. Stattdessen plakatiert die eine Volkspartei „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ und die andere „Zeit für mehr Gerechtigkeit“ mit der Betonung auf Zeit, von der man viel braucht, um irgendwann einmal dem Koalitionspartner, der eigentlich nicht zu einem passt, ein Zugeständnis abzuringen.
AUG
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.