Zum Schluss meines letzten Artikels über die Vorgänge in Niedersachsen schrieb ich:
Schon komisch, dass alle den Landtag so schnell wie möglich auflösen wollen. Der ganze Vorgang scheint wohl sehr gelegen zu kommen.
Je mehr nun über Intrigen und Verrat auf der einen Seite sowie Versagen auf der anderen Seite gesprochen wird, desto klarer ist, dass der Vorgang von SPD und Union als Geschenk betrachtet wird. Der reguläre Landtagswahltermin am 14. Januar liegt ungünstig. Der Urnengang würde stattfinden, nachdem sich im Bund eine neue oder alte Koalition gefunden hat. Vorgezogene Neuwahlen in Niedersachsen passen daher vor allem den Strategen im Bund. Sie können nun einen Wahlkampf und unterschiedliche Lager simulieren, die es eigentlich schon längst nicht mehr gibt.
Es geht nicht um Niedersachsen
Vor dem Seitenwechsel einer Abgeordneten in Niedersachsen drohte der Bundestagswahlkampf zum gewohnten Fiasko zu werden. Merkels Union marschiert unangefochten vorne weg und die SPD ist mal wieder ein Totalausfall, gefangen im 20-Prozent-Turm. Eine Forsa-Umfrage in der letzten Woche eröffnete für die Union sogar die Möglichkeit von gleich mehreren Koalitionsoptionen. Neben Schwarz-Gelb ginge demnach auch Schwarz-Grün, Schwarz-Gelb-Grün und natürlich eine Neuauflage der Großen Koalition.
Schwarz-Gelb scheint allerdings die neue Wunschkoalition zu sein. Zumindest wenn es nach dem Willen der Spender geht, die ihr Geld an die Parteien verteilen. „Das Kapital will Lindner“ meinte Pascal Beucker daher letzte Woche in der taz.
Doch stimmt das wirklich? Dazu unten mehr. Schwarz-Gelb taugt zunächst einmal vor allem als Wahlkampfthema für die SPD, wie sich jetzt zeigt. An einem „Horror für Deutschland“ arbeitet sich ein ansonsten blasser Chefwahlkämpfer Hubertus Heil dankbar ab. Er warnt und formuliert die Verhinderung von Schwarz-Gelb als Wahlziel.
Nur was ist das Gegenmodell? Bislang hatte die SPD nicht viel anzubieten, als eine Fortsetzung der Großen Koalition. Daran hat sich auch nichts geändert. Nur würde eine Neuwahl in Niedersachsen als Ablenkungsmanöver helfen, weil man dort noch einen Lagerwahlkampf inszenieren kann. In Hannover regiert bekanntlich das letzte rot-grüne Bündnis.
Als Juniorpartner unverzichtbar machen
Das eigentliche Wahlziel der SPD lautet aber, sich als Juniorpartner der Union unverzichtbar zu machen. Vor Schwarz-Gelb zu warnen ist daher der eine Teil der Strategie. Der andere liegt wohl darin, den Sinkflug der AfD zu stoppen. Vielleicht hat Martin Schulz ja deshalb die Flüchtlingspolitik zum Wahlkampfthema gemacht und Thomas Oppermann in dieser Woche den „Lager“-Wahlkampf noch einmal befeuert.
Nun fordert auch die SPD Auffanglager in Libyen. Ein Vorschlag, der übrigens aus Niedersachsen stammt. Innenminister Boris Pistorius, ausweislich im Wahlkampfteam von Martin Schulz, hat das Thema Migration neu entdeckt. Wie das Umfrageinstitut Forsa am vergangenen Mittwoch berichtete, habe der Vorstoß aber nicht der SPD, sondern der AfD genutzt.
Die Partei legte als einzige in der wöchentlichen Erhebung einen Prozentpunkt zu. Mit der Flüchtlingspolitik kann die SPD also kaum in der Wählergunst aufholen. Das will sie aber offenbar auch nicht. Um ans Ziel, den Rockzipfel von Kanzlerin Angela Merkel zu gelangen, reicht es ja aus, andere mögliche Konstellationen zu verhindern.
Und das klappt unter anderem, indem man die Partei indirekt stärkt, mit der ohnehin keiner koalieren will. Ist die AfD mit einer entsprechend großen Fraktion im nächsten Bundestag vertreten, dürfte auch die Forderung nach einer sogenannten „stabilen Mehrheit“ in Krisenzeiten, um einem „grassierenden Populismus“ zu trotzen, leichter zu vermitteln sein.
Dennoch droht das Abstellgleis
Dass das Abstellgleis für die SPD dennoch droht, zeigen die jüngsten Vorgänge in Niedersachsen. Die Bild am Sonntag berichtet heute groß über eine Regierungserklärung des Ministerpräsidenten aus dem Jahr 2015 (!), die von VW redigiert („umgeschrieben und weichgespült“) worden sein soll. (Die Story riecht ja nach der berühmten Leiche, die man bei Bedarf aus dem Keller holt.)
Im Mittelpunkt steht wieder die Regierungssprecherin Anke Pörksen, die bereits beim Thema Vergabepraxis ins Zentrum der Kritik geraten ist und zuletzt Fehler vor einem Untersuchungsausschuss einräumen musste.
Es wird also kräftig auf die SPD geschossen. So als wollte man die Partei mit einem Doppelschlag erledigen. Und zwar am 24. September, dem Tag der Bundestagswahl, den übrigens auch die SPD als Termin für die vorgezogene Landtagswahl favorisiert.
Die Sozialdemokraten versprechen sich eine maximale Polarisierung durch die Inszenierung eines Lagerwahlkampfes. Doch die vermeintlichen Lager gibt es nicht. Schwarz-Gelb, als auch Rot-Grün oder Schwarz-Rot verkörpern das schlichte „Weiter so“.
Der SPD wird es also kaum helfen, alles auf eine Karte zu setzen. Vielleicht mag Stephan Weil eine Intrige zu Recht erkannt haben, er und seine Genossen steigen aber voll darauf ein und liefern ein perfektes Ziel. Sie werden daher haushoch verlieren, so dass es am Ende wohl nicht einmal mehr zum Juniorpartner reicht.
AUG
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.