Aus der Pressemitteilung des Ministerpräsidenten Stephan Weil:
Dass eine Abgeordnete aus eigennützigen Gründen eine Fraktion verlässt und damit die von den Wählerinnen und Wählern gewünschte Mehrheit im niedersächsischen Landtag verändert, betrachte ich als unsäglich und schädlich für die Demokratie. Dies gilt umso mehr, als ohnehin in etwas mehr als fünf Monaten Neuwahlen anstehen würden.
Das ist ein seltsames Demokratieverständnis. Mehrheiten stehen nie fest, sondern müssen immer wieder neu gefunden werden. Mehrheiten können auch mal wechseln. Das ist das Wesen von Demokratie und in anderen Ländern völlig normal, ohne dass es ständig Neuwahlen deswegen gibt.
Wenn die CDU sich dieses Verhalten zunutze macht, beteiligt sie sich aktiv an der Missachtung des Wählerwillens.
Falsch. Warum sonst sollte es die Möglichkeit eines Misstrauensvotums in der Verfassung geben? Stephan Weil hätte statt auf einem ominösen Wählerwillen zu verweisen, die Feigheit der CDU thematisieren können, die offenbar einer möglichen eigenen Mehrheit nicht traut.
Die Wählerinnen und Wähler müssen die Möglichkeit haben, darauf zu reagieren.
Das ist schon eine mehr als schräge Begründung. Schließlich ist die Legislaturperiode fast zu Ende, wie der Ministerpräsident selbst feststellt. Es besteht also keine sonderliche Notwendigkeit, die Wähler statt im Januar ein paar Monate früher zur Urne zu bitten. Es sei denn, man möchte von unangenehmen Dingen ablenken, wie dem Abgas-Skandal zum Beispiel oder von Verstößen gegen das Vergaberecht, mit denen ein Untersuchungsausschuss beschäftigt ist.
Ich halte eine kurzfristige Selbstauflösung des Landtags und schnellstmögliche vorgezogene Neuwahlen für unabdingbar. Ich appelliere an die Fraktionen, dafür den Weg freizugeben.
Da ist es wieder, das böse Wort. Unabdingbar, Merkel würde alternativlos sagen. Das ist aber falsch. Die bereits gewählten Mitglieder des Parlaments müssen beweisen, dass sie andere Mehrheiten zustande bringen können. Das würde wiederum ständige Anwesenheitspflicht im Landtag bedeuten, um die Regierung zu einer anderen Politik zu zwingen. Es ist daher falsch zu behaupten, die amtierende Landesregierung könne nicht weiterregieren. Kann sie wohl. Sie ist ja schon gewählt.
In Niedersachsen darf es keine andere Mehrheit geben, als die von den Wählerinnen und Wähler gewollte.
Das ist Unsinn? Der Wähler kreuzt nicht an, welche Mehrheit er gerne hätte (ist ja beim letzten Mal mit dem Stimmensplitting auch schiefgegangen), sondern Kandidaten und Wahllisten der Parteien. Welche Mehrheiten sich finden, entscheiden die gewählten Abgeordneten. Und gewählt ist man solange, bis die Wahlperiode endet und ein anderer gewählt wird. Und bis dahin entscheiden die gefundenen Mehrheiten. Auf diese Weise kam ja auch das Gesetz über die Ehe für alle zustande. Schon vergessen?
Deswegen sind möglichst rasche Neuwahlen das Gebot der Stunde.
Auch das ist falsch. Von allen Möglichkeiten, die die Verfassung bietet, gilt das Auflösungsrecht in Fachkreisen quasi als ultima ratio, wenn alles andere, also eine konstruktive parlamentarische Arbeit nicht mehr möglich ist oder eine Regierungsbildung scheitert. Nun gibt es aber eine Regierung im Amt. Die Exekutive ist also intakt. Die Regierung hat auch noch keine Abstimmung verloren, etwa über den Haushalt.
Würde das gegeben sein oder aber der Ministerpräsident zurücktreten und in der Folge die Wahl eines neuen Regierungschefs scheitern, wäre die Selbstauflösung des Parlaments nachvollziehbar begründet. Stephan Weil will aber nicht zurücktreten. Er wähnt lediglich eine Intrige gegen sich, seine Regierung und eines angeblichen Wählerwillens. Der wolle er nicht weichen, dennoch erfüllt er der Opposition den Wunsch nach Neuwahlen.
Schon komisch, dass alle den Landtag so schnell wie möglich auflösen wollen. Der ganze Vorgang scheint wohl sehr gelegen zu kommen.
AUG
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.