War dieser G20-Gipfel in Hamburg überhaupt nötig? Viele sagen nein, zum einen wegen der erwartbar mageren politischen Ergebnisse, über die schon keiner mehr redet (dazu unten mehr), und zum anderen angesichts des Krawalls, der auf den Straßen herrschte. Kanzlerin Merkel wollte den Gipfel unbedingt in Hamburg haben, direkt neben dem Schanzenviertel in den Messehallen. Ein Wahnsinn, schon auf dem Papier, aber Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz erfüllte der Kanzlerin dennoch ihren Wunsch, sprach lieber von einem Fest der Demokratie und wollte wohl das Signal aussenden, besonders staatstragend und verlässlich zu sein. Doch den schwarzen Peter hat er trotzdem.
Merkel und ihr Prügelknabe
Nicht Merkel, nicht Einsatzleiter Dudde müssen um ihre Posten bangen. Es ist der SPD-Bürgermeister, der die meiste Kritik sowie den Spott ertragen muss und die Suppe nun allein auslöffeln darf. Der tage- und nächtelange Hubschrauberlärm, den die Hamburger über ihren Wohnhäusern und Köpfen ertragen mussten, die Sperrungen und Kontrollen und nicht zuletzt die Krawalle und die Sachbeschädigungen, das alles landet auf dem virtuellen Kerbholz des Bürgermeisters, der schon mal planen kann, welches Amt er in der nächsten Berliner Großen Koalition übernimmt. Hamburg und „Hafengeburtstag“ hat sich für ihn wohl erledigt.
Es ist wie immer: Die SPD hat den Schaden, obwohl sie sich brav an das Protokoll hielt und artig erfüllte, was das konservative Establishment von ihr erwartete. Zur Belohnung gab es zum Abschluss noch ein Foto mit der Kanzlerin, die – ohne selbst Schaden zu nehmen – das Desaster als Erfolg bezeichnen konnte und schnelle Wiederaufbauhilfe versprach. Dank ihres Prügelknaben von der SPD, der von den CDU-Truppen vor Ort ordentlich bearbeitet wird, kann sich die Kanzlerin auch noch als barmherzige Samariterin mit Herz für den bedauernswerten Olaf Scholz inszenieren.
Merkel und ihre Tintenknechte
Und die Linke ist nach G20 in Hamburg sowieso unten durch. Dafür sorgen die Hardliner und deren Tintenknechte, wie bezeichnenderweise die Bild-Zeitungs-Schlagzeile vom Samstag zeigt.
Da machen dann auch einige SPD-Leute fröhlich mit. Ein Johannes Kahrs zum Beispiel, der sich mit den Worten „Die Linke hat sie nicht mehr alle, sie verharmlost die Kriminalität“ in der Welt zitieren lässt. Merkel wird es freuen, so viele Freunde in der SPD zu haben. Dank dieser Reaktionen wird künftig weder über das fatale Weiter so in der Wirtschaftspolitik diskutiert noch über eine konkrete Vorstellung davon, wie eine Alternative zum Weiter so denn vernünftigerweise aussehen könnte. Stattdessen dürfte eine Debatte um die innere Sicherheit und die weitere Einschränkung von Bürgerrechten die Schlagzeilen der kommenden Wochen bestimmen.
Merkel und ihr Duktus
Wer redet schon über die widersprüchlichen Gipfelergebnisse? Allein Merkels Statement auf der Pressekonferenz, wonach es nach stundenlanger Beratung gelungen sei, die bekanntermaßen unterschiedlichen Positionen zum Klimaabkommen auch als solche in Textform kenntlich zu machen, müsste doch zu mehr als einem Kopfschütteln führen. Dass das Abkommen von Paris für andere dann auch noch umkehrbar ist, bewies der türkische Präsident Erdogan im Anschluss an Merkels Duktus-Besprechung quasi im Vorübergehen, was als Retourkutsche für den zuvor ausgesprochenen Maulkorberlass gewertet werden muss.
Noch schlimmer ist die angebliche Einigung beim Welthandel. Demnach sei es gelungen, dass sich alle zum freien Handel und gegen Protektionismus bekennen. Das klappte aber nur zum Schein, da die bösen Strafzölle jetzt einfach als „rechtmäßige Handelsschutzinstrumente“ bezeichnet werden. Das ganze ist also ein Täuschungsmanöver, das sich in einem der widersprüchlichsten Sätze des Abschlussdokuments offenbart:
Wir werden die Märkte in dem Bewusstsein offenhalten, wie wichtig auf Gegenseitigkeit beruhende und für alle Seiten vorteilhafte Handels- und Investitionsrahmen und der Grundsatz der Nichtdiskriminierung sind, werden Protektionismus einschließlich aller unfairen Handelspraktiken weiterhin bekämpfen und erkennen die Rolle rechtmäßiger Handelsschutzinstrumente in diesem Zusammenhang an.
Darüber hinaus bleiben auch in diesem Kommuniqué die stabilitätsgefährdenden Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands unerwähnt. Es findet sich die bekannte Passage, wonach eine Verringerung der globalen Ungleichgewichte zwar angestrebt werde, eine dafür zwingend notwendige Ausweitung der Fiskalpolitik aber nicht infrage komme.
Die Fiskalpolitik wird flexibel und wachstumsfreundlich eingesetzt, wobei gewährleistet wird, dass der Schuldenstand im Verhältnis zum BIP auf einen tragfähigen Pfad gelangt. Wir erneuern unser Bekenntnis zu Strukturreformen. Wir bekräftigen unsere früheren Wechselkurs-Verpflichtungen. Wir werden uns auf eine Weise, die das globale Wachstum unterstützt, um die Verringerung übermäßiger globaler Ungleichgewichte bemühen.
Zu höheren Staatsausgaben sagt Schäuble nach wie vor nein, wie er es bereits vor dem Gipfel ankündigte. Dem deutschen Finanzminister sind tragfähige Schuldenstände und ein neuerliches Bekenntnis zu Strukturreformen eben wichtiger. Damit bleibt die deutsche Bremse weiterhin angezogen. Wie auf Bestellung nehmen auch die Ungleichgewichte weiter zu. So hat die deutsche Wirtschaft heute einen neuerlichen Anstieg des Exportüberschusses im Monat Mai gemeldet. Wenn das so weitergeht, dürfte dann auch der Einsatz „rechtmäßiger Handelsschutzinstrumente“ als wahrscheinlich gelten.
JUL
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.