Das ärgert natürlich die SPD, dass Kanzlerin Merkel quasi beim Kaffeekränzchen das bislang strittige Thema „Ehe für alle“ für völlig unproblematisch erklärt und auch noch behauptet, die Sozialdemokraten hätten es nie ernsthaft verfolgt. Da widerspricht Vizekanzler Sigmar Gabriel in der Bundespressekonferenz und hält ein Schreiben hoch, welches das Gegenteil beweisen soll. Jetzt will die SPD, die in voller Mannschaftsstärke angetreten ist, die Abstimmung über die „Ehe für alle“ erzwingen, liest man überall. Stimmt aber gar nicht. Die SPD wird die Bundesregierung bloß auffordern, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen, wetten? Damit bleibt die SPD dann auch bei ihrer bisherigen Feigheit und natürlich GroKo-kompatibel.
(Edit: Die SPD-Abgeordneten Marco Bülow und Cansel Kiziltepe wollten zunächst einen eigenen Gruppenantrag im Rechtsausschuss am Mittwoch einbringen, den haben sie aber inzwischen wieder zurückgezogen, nachdem die SPD-Fraktion klargestellt hat, für einen von drei vorliegenden Gesetzentwürfen zu stimmen. Das wird der Entwurf des Landes Rheinland-Pfalz aus dem Bundesrat sein. Der Rest des Textes bleibt so stehen.)
Was für ein Kasperletheater heute in der Bundespressekonferenz. Man fühlte sich an den Sommer 2013 erinnert, als Merkel der SPD in einem Interview totale Unzuverlässigkeit in der Eurokrise vorwarf. Damals waren die Sozialdemokraten auch empört und sprachen von Äußerungen, die Brücken zerstören könnten. Steinbrück war sogar so dumm, auch noch aufzuzählen, was man doch alles verlässlich an der Seite der Union mit beschlossen habe, obwohl doch Schwarz-Gelb regierte. So viel war dann doch nicht kaputt. Diesmal ist es die „Ehe für alle“, die als Sau durchs Dorf getrieben wird, um Wahlkampf zu simulieren.
Dabei ist das Merkel-Manöver nicht nur mit Seehofer, sondern vermutlich auch mit den Seeheimern abgesprochen, es kostet die Union ja auch nix. Die SPD kann vor der Wahl noch einmal einen vermeintlichen Erfolg gegen die Union verkünden und die letzten Abstimmungen vergessen machen, die allesamt gegen die eigenen Überzeugungen gerichtet waren. Sie möchte ihren Kritikern auch zeigen, dass es sich eben doch lohne, in einer Großen Koalition zu sein. Es reichten aber schon ein paar Fragen der Journalisten aus, um das Theater der GroKo zu entlarven. So habe Thomas Oppermann heute beim Koalitionsfrühstück einen Vorschlag unterbreitet, der von der Union zunächst abgelehnt worden sei. Was für ein Scheiß.
Natürlich will die SPD die Koalition auch nicht platzen lassen, wie Schulz und Gabriel mehrfach betonten. Aber das muss sie mit ihrem sparsamen Antrag dann auch gar nicht. Die SPD will sich nur gegen den Eindruck wehren, auf Merkels Erlaubnis angewiesen zu sein. Klappt aber nicht, wenn man ständig die eigene Feigheit als Verlässlichkeit verkauft. Merkel belohnt die Nibelungentreue der SPD eben nicht, sondern macht das, was sie immer macht. Sie setzt sich selbst an die Spitze der Bewegung und sammelt im Rahmen einer Plauderstunde die Sympathiepunkte ein. Sie spricht von eigenen Erfahrungen und gereiften Überlegungen. Ach wie toll. Der mürrische Gabriel hat dagegen nur ein aufgesetztes Schreiben, das er in die Kamera halten kann.
Nützen wird das Manöver daher auch nur der Union, die ein hübsches aber in der Sache eher belangloses Wahlkampfthema aus dem Schaufenster der anderen genommen hat und damit alle Koalitionsoptionen weiter in der Hand behält. Die SPD kann sich wieder über asymmetrische Demobilisierung beschweren und hofft wohl, einer Debatte um ihr eigenes Programm, das nur zur Fortsetzung der Großen Koalition taugt, aus dem Weg zu gehen. Es ist ja auch peinlich, ein Steuerkonzept zu verteidigen, dass eher die Besserverdienenden begünstigt und für ein Rentenkonzept zu werben, dass den katastrophalen status quo konserviert, statt Altersarmut wirksam zu bekämpfen.
JUN
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.