„Macronmania“, „Macron triumphiert“ und „Klarer Sieg für Macron“, so lauten die Titelschlagzeilen heute, einen Tag nach der 1. Runde der Parlamentswahl in Frankreich. Dabei gaben gerade einmal knapp 49 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Ein historischer Tiefstwert und damit eigentlich kein Grund, sich als Sieger zu fühlen oder zu verkünden, La République en marche! Eine Republik in Verzweiflung wäre wohl treffender.
Man kann das Wahlergebnis eben auch so interpretieren, dass eine Mehrheit der Franzosen nicht mehr daran glaubt, dass Wahlen an den herrschenden politischen Verhältnissen etwas zu ändern vermögen. Das Programm der Grausamkeiten ist ja bereits festgelegt. Der seit 2015 geltende Ausnahmezustand soll per Gesetz zum Normalzustand erklärt und eine neoliberale Agenda, die bereits unter Hollande begonnen worden ist, noch schärfer und zügiger vorangetrieben werden.
Es fehlen die Alternativen
Dazu gibt es keine Alternative mehr. Die politischen Lager haben sich aufgelöst. Die Sozialisten sind aus der Regierungsverantwortung heraus ähnlich abgestraft und in die Bedeutungslosigkeit geschickt worden, wie die Genossen in den Niederlanden. Die Konservativen fallen ebenfalls aus oder können Erfolge nur dann noch verbuchen, wenn sie die Parolen der Rechtsradikalen kopieren. So wird die französische Nationalversammlung aller Voraussicht nach keine nennenswerte Opposition mehr haben, wenn die zweite Runde am kommenden Wochenende gelaufen ist.
Bedauern löst das aber kaum aus. Macron wird schließlich immer noch als eine Art Hoffnungsträger bewundert, obwohl er eine Politik fortsetzen und sogar noch verschärfen will, die geradewegs in die Repräsentationskrise geführt hat. Macron sei „Hollande in schlimmer“ hat der französische Soziologe Didier Eribon vor kurzem einmal gesagt. Hinter dem Etikettenschwindel eines angeblichen Aufbruchs verbirgt sich das bekannte „Weiter so“, das viele französische Wähler bereits durchschaut zu haben scheinen und deshalb mit einer Wahlenthaltung in Runde eins reagierten.
Lieber im Abseits
Frankreich stehen harte Zeiten bevor. Nicht die Republik ist auf dem Vormarsch, sondern der Neoliberalismus und das mit viel Tempo. Applaus gibt es dafür von deutscher Seite. Vor allem Sozialdemokraten senden Glückwünsche und sehen in Macrons Sieg eine Art positiven Impuls. Dabei hat die Verbeugung vor dem Neoliberalismus die französische Sozialdemokratie ins politische Abseits geführt. Den Kanzlerkandidaten der SPD, Martin Schulz, scheint das aber nicht weiter zu stören. Er sieht in Macrons Politik einen Wechsel, den auch er gern verkörpern will.
Nur ist ein Weiter so eben kein Wechsel und somit wird die SPD auch nach der nächsten Wahl allenfalls ein Anhängsel der Union bleiben, sofern die keinen besseren Partner findet. Albern ist daher das Geschwätz von Unterschieden und Alternativen, die Sozialdemokraten angeblich anzubieten hätten. Wer in schöner Eintracht mit der Union den angekündigten neoliberalen Kahlschlag in Frankreich beklatscht, sollte sich noch einmal fragen, woraus der Kern sozialdemokratischer Politik eigentlich besteht. Statt Neoliberale wie Macron zu bejubeln, sollte sich die SPD, wenn sie nicht irgendwann selbst im Abseits stehen will, lieber an Sozialdemokraten wie Jeremy Corbyn ein Beispiel nehmen.
JUN
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.