Bundestag und Bundesrat (einstimmig) haben ein dickes Paket mit Grundgesetzänderungen zur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen im Eiltempo beschlossen, damit Ruhe im Wahlkampf herrscht. Die Regierung und Teile der Opposition lobten sich dabei wechselseitig. Man sei vorangekommen und habe Planungssicherheit geschaffen. Das alles wäre aber gar nicht nötig gewesen, wenn Bund und Länder vor sieben Jahren auf die Einführung einer Schuldenbremse verzichtet hätten.
Warum das Ganze Theater? Die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen ist nötig, weil der bisherige Finanzausgleich zwischen den Ländern ersetzt werden soll und einzelne Regelungen auslaufen. Das ist aber gar nicht so entscheidend. Bemerkenswerter ist die Begründung Schuldenbremse, die von einigen Landes- und Bundespolitikern immer häufiger ins Feld geführt wird. Die steht inzwischen in allen Verfassungen drin und muss ab 2020 irgendwie eingehalten werden. Damit ist ein Handlungsdruck entstanden, weil die Länder nicht mehr wissen, woher sie die Gelder nehmen sollen, um ihre ebenso verfassungsrechtlich gebotenen Aufgaben zu erfüllen.
Zitat Thomas Oppermann (SPD-Fraktionschef):
…denn wir wollen, dass auch nach dem Auslaufen des Solidarpakts die finanzielle Handlungsfähigkeit aller Länder gesichert ist, dass die Länder die Schuldenbremse einhalten können, ohne ihre Aufgaben zu vernachlässigen.
Es wird also über einen Zustand gejammert, der durch die Föderalismusreform II im Jahr 2009, ebenfalls durch Große Koalition und mit Zweidrittelmehrheiten in Bundestag und Bundesrat, mutwillig hergestellt worden ist, weil man glaubte, damit Generationengerechtigkeit schaffen zu können. Die negativen Folgen dieser finanzpolitischen Kastration wie marode Brücken, Straßen und Schulen (kurz: gigantischer Sanierungsstau) waren absehbar und mündeten schnurstracks in der heutigen Grundgesetzänderung, die im Prinzip regelt, wie Bund und Länder die Schuldenbremse wieder umgehen können. Das Schlimme daran ist, dass sich private Investoren, also Versicherungen und Banken, nun in einem noch viel größeren Ausmaße an der öffentlichen Infrastruktur bereichern dürfen.
Damit Bund und Länder die Schuldenbremse einhalten und schwarze Nullen schreiben können, haben sie ihre öffentlichen Haushalte wie auch das Personal in den Verwaltungen heruntergefahren. Gleichzeitig entstand ein Wettbewerb zwischen den Gebietskörperschaften um Verwaltungsfachkräfte, Lehrer et cetera pp. Überall herrscht Mangel, den die Befürworter der jüngsten Grundgesetzänderungen wiederum als Begründung für die Notwendigkeit einer Neuordnung der Finanzbeziehungen in ihrem Sinne anführen. Dabei haben die Haushälter mit ihren schwarzen Nullen diesen erbärmlichen Zustand erst heraufbeschworen.
Wenn Gras über die Entscheidungen von gestern und heute gewachsen und der Zustand öffentlicher Einrichtungen noch schlechter geworden ist, wird man daher die ÖPP-Karte ganz locker spielen. Vermutlich ohne Widerspruch und mit dem Unwort alternativlos auf den Lippen. Denn die Schuldenbremse gilt inzwischen auch als akzeptiert, obwohl es sie noch gar nicht so lange gibt und zum Zeitpunkt ihrer Einführung höchst umstritten war. Man könnte in diesem Zusammenhang von einem Siegeszug des Neoliberalismus sprechen, der nach einem jahrelangen Transformationsprozess gerade auf die Zielgerade einbiegt.
JUN
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.