Unzufriedenstellend

Geschrieben von: am 29. Mai 2017 um 17:24

Ich habe jetzt noch einmal im Duden nachgeschlagen. Das Wort „unzufriedenstellend“ gibt es nicht. Trotzdem ist es seit dem G7-Gipfel in Taormina in aller Munde. Bundeskanzlerin Angela Merkel soll damit ihre Enttäuschung oder sogar einen Kurswechsel gegenüber den USA zum Ausdruck gebracht haben. Aus dem bayerischen Bierzelt hörte man dann noch, dass Europa sein Schicksal nun wirklich in die eigene Hand nehmen müsse. Sieht so aus, als würde der nichtssagende Sprechblasenautomat mal wieder in den Himmel gelobt.

Europa ist eine Werte- und Schicksalsgemeinschaft, hatte Merkel schon gesagt, als es noch einen anderen amerikanischen Präsidenten gab. Schauen Sie in den Wortbeiträgen der Kanzlerin seit Ausbruch der Finanzkrise nach. Das Gesagte im Bierzelt nun zu einer historischen Rede aufzublasen, ist grotesk, aber sicherlich eine willkommene wie beabsichtigte Wahlkampfhilfe für die CDU-Chefin. „Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen.“ Dieser Satz wirft zumindest die Frage auf, wessen Hand das Schicksal aller anderen Europäer bestimmen darf. Schäubles Hand etwa?

Nach Nato- und G7-Gipfel hätte Merkel auf tatsächlich existierende Adjektive wie unbefriedigend, ungenügend, inakzeptabel oder unannehmbar zurückgreifen können, um einer klaren Haltung Ausdruck zu verleihen, die ihr durch zahlreiche Medien nur angedichtet wird. Doch wie immer blieb Merkel reichlich unkonkret. Oder hat das „sehr unzufriedenstellende“ Gefühl nun beispielsweise zu einer Abkehr vom angekündigten Rüstungswettlauf geführt? Nein, das Bekenntnis zum Zwei-Prozent-Ziel blieb nach Nato-Gipfel und G7-Treffen unangetastet. Trotzdem wird Merkels Statement, „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei“, als große Nummer zelebriert.

Enttäuschungen

Einige amerikanische Medien verstiegen sich sogar zu der Behauptung, Merkel habe gesagt, dass man sich dank Trump nicht mehr auf die USA verlassen könne. Eine bewusste Übertreibung, die durch den andauernden Kampf der amerikanischen Presse gegen Trump erklärbar ist. Weshalb aber deutsche Medien diese täglich wiederkehrende Seifenoper aus den Staaten nicht zu erkennen vermögen, sondern Merkel lieber zu einem positiven Wahlkampfmoment verhelfen wollen, ist enttäuschend wie typisch zugleich. Da wird die dünne G7-Gipfel-Erklärung als Beleg herangezogen. „Wir haben keine Einigung erzielt“, heißt es etwa beim Thema Klimawandel.

Das habe es noch nicht gegeben. Denn früher stand da immer etwas von „Fortschritten“, „allseitigem Bemühen“ oder einer „guten Grundlage“. Übersetzt also: „Wir haben keine Einigung erzielt.“ Was ist also anders? Erst einmal nichts. Nur das die gesamte Welt den amtierenden amerikanischen Präsidenten irgendwie total doof findet, er auf der anderen Seite als Reizfigur aber prima taugt, um von den Problemen abzulenken, die schon seit Jahren bestehen und eine deutsche Ursache haben. Wer großspurig über ein europäisches Schicksal redet, will vom eigenen Beitrag an der Zerstörung Europas wohl nichts mehr wissen. Trump ist eine Enttäuschung? Ja sicher, aber Merkel und Schäuble sind es schon lang.

So nutzen die beiden das schlechte Image des amerikanischen Präsidenten aus, um ihre desaströse Austeritätspolitik in ein besseres Licht zu rücken. Zur Dialektik der Totengräber Europas gehört ja folgendes: Auf der einen Seite wird Trumps berechtigte Kritik an den exorbitant hohen deutschen Leistungsbilanzüberschüssen in Bausch und Bogen verurteilt, um ihm auf der anderen Seite bei seinen absurden Vorgaben zur Steigerung der Rüstungsausgaben bereitwillig entgegen zu kommen. Trotzdem schafft es Merkel an der Seite Obamas mit dem Begriff Abrüstung auf dem Kirchentag zu punkten. Bietet diese Verlogenheit nicht Anlass für eine deutliche Kritik an der Kanzlerin? Nein. Sie wechselt einfach nur den Blazer und alle sind zufrieden.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. Hartmut Schwarz  Mai 30, 2017

    Zur Bierzeltrede Frau Merkels,
    wer glaubt denn daran, dass diese Rede so spontan aus ihrem Mund kam ? Nichts was Frau Merkel sagt kommt so aus ihrem Gefühl heraus. Darf auch nicht. Immerhin ist sie Bundeskanzlerin, da darf so ein Bierzelt, im Beisein der Qualitätspresse, auch schon mal genutzt werden, um etwas zu sagen.Hat sie ja gemacht. Für die Qualitätspresse war das eine Steilvorlage um einen Hype los zutreten.
    Gabriel legt nach.