An die GroKo gewöhnt

Geschrieben von: am 17. Mai 2017 um 12:39

Jetzt hat die NRW-SPD entschieden, keine Große Koalition machen zu wollen, und schon hagelt es in den Medien heftige Kritik. So als ob man sagen wolle, auch wenn die SPD eine krachende Niederlage hat einstecken müssen, so hat sie doch gefälligst erst den Spott zu ertragen und schließlich als Juniorpartner zur Verfügung zu stehen. Von Verantwortungslosigkeit und einem würdelosen Verhalten ist da plötzlich die Rede. Da haben sich wohl einige zu sehr an eine GroKo gewöhnt.

Der Chefredakteur des Tagesspiegel, Stephan-Andreas Casdorff, schreibt in einem Kommentar:

Staatsbürgerliche Verantwortung müsste eine Partei treiben, die stolz darauf ist, mehr als 150 Jahre immer auf der richtigen Seite gestanden zu haben, auf der Seite der Demokratie.

Sieht so aus, als hätte der Berliner Kollege Angst davor, dass die SPD als Juniorpartner und etatmäßiger Prügelknabe in der Großen Koalition tatsächlich ausfallen könnte, dass der Automatismus, wonach eine GroKo immer gehen müsse, plötzlich durchbrochen sein könnte. Das geht sogar soweit, dass andere hinter der Entscheidung der NRW-SPD, keine GroKo machen zu wollen, schon wieder das linke Schreckgespenst vermuten (siehe hier). Offenbar blenden sie alle das Wahlergebnis aus.

Mehrheiten sind klar

Demnach hat die SPD verloren, auch die CDU hat nicht wirklich gewonnen, sondern ihr zweitschlechtestes Ergebnis bei Wahlen in NRW eingefahren, stellt aber dennoch die größte Fraktion im neuen Landtag. Die Linke hat den Einzug ins Parlament verfehlt und auch die Grünen haben nicht überzeugt. Dafür hat die AfD den Einzug deutlich geschafft. Bei nüchterner Betrachtung ist von linken Mehrheiten weit und breit keine Spur. Eindeutig gewonnen hat hingegen die FDP, die in ihrem Wahlprogramm festhielt. „Wir finden: NRW ist ein starkes Land. Aber es wird seit Jahren schwach regiert. Wir wollen das ändern.“

Nun ist eine klare rechnerische Mehrheit mit der CDU da, aber alles konzentriert sich auf die SPD, weil die zunächst einmal keine Lust auf GroKo hat. Das ist doch schon sehr seltsam. Über ein ebenso rechnerisch mögliches Ampelbündnis redet hingegen niemand. Warum eigentlich nicht? Ach ja, das hat der liberale Sunnyboy, Christian Lindner, der eigentlich gar nicht in NRW bleiben möchte, vor der Landtagswahl formal kategorisch ausgeschlossen. Und da man ja in einer Demokratie hinterher nur das macht, was man vor der Wahl versprochen hat, ist ein solches Verhalten vermutlich sehr verantwortungsvoll.

Es spricht auch niemand davon, dass die FDP mit ihrer Ampel-Absage Union und SPD in eine Koalition zwingen würde. Nun soll aber umgekehrt die SPD mit ihrer Absage an eine Große Koalition CDU und FDP in ein Bündnis zwingen, schreibt der Chefredakteur des Tagesspiegel. Wie soll man denn das nun wieder verstehen? Hilfe, wir haben ja die Mehrheit bekommen und müssen sie jetzt auch noch nutzen? Sind kleine Koalitionen, die auch mal knapp sein können, inzwischen so sehr aus der Mode gekommen? Warum soll die SPD nicht in die Opposition gehen dürfen, wenn sie selbst keine Mehrheit organisieren kann und Schwarz-Gelb laut Umfragen in NRW sogar beliebter wäre, als die Große Koalition?

Plötzlich fehlt die Exit-Strategie

Müssen nicht vielmehr CDU und FDP nun ihrer Verantwortung gerecht werden und zeigen, dass sie die Dinge auch umsetzen können, für die sie im Wahlkampf geworben haben? Und ist es nicht dann die Aufgabe der SPD, die Regierenden aus der Opposition heraus zu kritisieren? Es ist doch gut, wenn Union und FDP jetzt mit dem Ziel verhandeln müssen, auch zu einem Ergebnis zu kommen, weil die übliche Exit-Strategie, Große Koalition, diesmal fehlt. In Schleswig-Holstein ist das noch anders. Da darf ein Kubicki Optionen ausschließen wie er will und dann auch noch sagen, Opposition sei ja für seine FDP kein Beinbruch. Da redet komischerweise niemand über würdeloses Verhalten und Verantwortungslosigkeit.

Der NRW-FDP-Generalsekretär Johannes Vogel darf, obwohl seine Partei die Wahl mit der Ausschließeritis und dem Ziel Rot-Grün abzuwählen, gewonnen hat, den Sozialdemokraten ebenfalls Vorhaltungen machen. „Nach der Wahl wollen sie nicht einmal sondieren, nur weil sie nicht mehr den Ministerpräsidenten stellen würden – staatspolitische Verantwortung sieht anders aus.“ Er ermahnte die SPD sogar, dass Reden und Handeln vor und nach der Wahl identisch sein sollten. Im Grunde fordert er die Sozialdemokraten also auf, in eine Große Koalition zu gehen, damit die Liberalen nicht regieren müssen, weil sie offenbar wissen, dass ihr eigenes Programm in Wirklichkeit nichts taugt?

Gerade diejenigen, die immer wieder betonen, die Große Koalition dürfe nur die Ausnahme sein, müssten sich doch jetzt freuen, dass die Landes-SPD in NRW dem Modell eine Absage erteilt hat. Stattdessen hagelt es Kritik. Vermutlich weil sich schon viele zu sehr an die GroKo und an eine SPD gewöhnt haben, die darin freiwillig den Part des Mehrheitsbeschaffers und des Sündenbocks übernimmt. Dabei ist es zunächst einmal richtig, sich aus der strategischen Umklammerung der Union zu befreien. Schön wäre es, wenn das auch im Bund vorzeitig geschehe. Viel wichtiger ist aber, sich auch programmatisch von den Konservativen und Rechten in den eigenen Reihen zu emanzipieren, statt dem neoliberalen Weltbild, des Applauses wegen, weiter hinterherzulaufen.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. markus  Mai 23, 2017

    Das Ablehnen der NRW-SPD sich an einer Koalition zu beteiligen, klingt schlicht nach einem eingeschnapptem kleinen Kind. Es fällt einfach zu schwer keinen gehässigen Kommentar darüber zu schreiben.
    Ah, und jetzt ist es mir auch passiert.