Die Prediger des Neoliberalismus

Geschrieben von: am 09. Mai 2017 um 9:52

Vorfahrt für Investitionen, fordert Martin Schulz vor Unternehmern in Berlin und klagt über den enormen Sanierungsstau von knapp 140 Milliarden Euro bei den Kommunen. Die Gelder werden ja zur Verfügung gestellt, von den Landesregierungen nur nicht abgerufen, erwidert Angela Merkel von anderer Stelle aus. Doch keiner fragt nach, woran das eigentlich liegt, das es erstens so einen enormen Investitionsrückstand gibt und zweitens so wenig Bereitschaft, das Geld des Bundes auch zu nehmen. Es liegt am neoliberalen Weltbild, dem sich Schulz wie auch Merkel in großkoalitionärer Eintracht verpflichtet fühlen.

Die Geschichte geht so: Erst werden Stellen und Mittel im öffentlichen Dienst über Jahre hinweg gestrichen, weil die Prediger des Neoliberalismus meinen, der öffentliche Dienst wäre viel zu aufgebläht und verschwende unnötig die Ressourcen der Steuerzahler. Dann wird die Schuldenbremse ins Grundgesetz wie auch in die Verfassungen der Länder hineingeschrieben und schwarze Haushaltsnullen zum unverrückbaren Ziel erklärt, weil die Prediger des Neoliberalismus meinen, das hätte irgend etwas mit Gerechtigkeit zu tun. Dann fangen Schulen, Straßen und Brücken beinahe gleichzeitig an zu bröckeln. Nun schimpfen die Prediger des Neoliberalismus über den Staat, weil der seine Aufgaben nicht mehr erfüllt.

Dabei sind die verbliebenen Mitarbeiter in den jeweiligen Verwaltungen mit dem Erhalt der öffentlichen Infrastruktur unter der Bedingung des neoliberalen Weltbildes schlichtweg überfordert. Das bringt wiederum private Geldgeber ins Spiel, denen sich mit Verträgen im Rahmen von öffentlich privaten Partnerschaften (ÖPP) lukrative Anlagechancen bieten. Mit der systematisch betriebenen Zerstörung öffentlicher Einrichtungen haben die Prediger des Neoliberalismus für vermögende Kapitalgeber eine dauerhaft sprudelnde und gut abgesicherte Quelle des Profits erschlossen. Demnächst wird die Gründung einer Infrastrukturgesellschaft, die nur so tut, als sei sie unter Kontrolle der öffentlichen Hand, den skandalösen Transformationsprozess zum Abschluss bringen und somit für noch mehr Umverteilung von unten nach oben sorgen.

Vor diesem Hintergrund nutzen auch die zusätzlichen Mittel nichts, die der Bundesfinanzminister den Ländern zur Verfügung stellt. Wenn das Personal und damit Planungskapazitäten fehlen, können Mammutaufgaben, wie die Beseitigung eines gigantischen Investitionsstaus überhaupt nicht mehr bewältigt werden. Mehr Personal im und eine Aufwertung des öffentlichen Dienstes wäre eine logische Konsequenz. Doch über unterbesetzte wie systematisch kaputt gesparte Verwaltungen redet kaum noch ein Politiker. Wenn überhaupt wird vor dem Hintergrund der Schuldenbremse ein weiterer Abbau von Bürokratie empfohlen und so getan, als sei der öffentliche Dienst noch immer ein riesiger und schwer zu steuernder Tanker, dem man nur mit dem dynamischen Auftreten privater Akteure begegnen könne.

Realpolitiker werden zu Bettvorlegern

Damit wirkt die Gehirnwäsche der Prediger des Neoliberalismus bis heute nach, wenn einerseits über ausgeglichene Haushalte gejubelt und andererseits die Privatisierung öffentlicher Aufgaben als irgendwie vernünftige Alternative gepriesen wird. An diesem Prinzip will auch Martin Schulz nichts ändern, der das gestern bei einer wirtschaftspolitischen Grundsatzrede vor Arbeitgebern noch einmal deutlich machte. Unter seiner Führung werde es nur eine Koalition geben, die pro-europäisch ist und die ökonomische Vernunft walten lässt, so Schulz. „Unerfüllbare Sozialversprechen“ werde es mit ihm als „Realpolitiker“ nicht geben. Dieser Verbeugung vor den Unternehmern folgte noch ein Kniefall vor der Kanzlerin. Mit einem neuerlichen Lob für ihre Politik bewirbt sich Martin Schulz um den Platz als Juniorpartner an ihrer Seite. Als die TV-Sender das erkannten, schalteten sie weg, um Angela Merkels Auftritt in Berlin in voller Länge zu zeigen.

Die hat sich noch nie mit dem aktuellen Zählkandidaten der SPD beschäftigt. Ihre Aufmerksamkeit gilt Frankreich, wo am Wochenende mit Emmanuel Macron ein neuer Präsident gewählt worden ist. Der wurde als pro-europäischer Hoffnungsträger beschrieben und hierzulande sowohl von der Union wie auch von der SPD unterstützt. Pro-europäisch heißt allerdings, das zu tun, was in Berlin und Brüssel für richtig erachtet wird. Es ist erstaunlich, mit welch rücksichtslosem Tempo sich die deutschen Besserwisser schon wieder in Stellung gebracht haben. „Was Frankreich braucht, das sind Ergebnisse“, sagte Merkel gestern und meinte damit Reformen nach deutschem Vorbild. Der neue französische Präsident ist noch gar nicht im Amt, da hat sich bereits die gesamte Riege der deutschen Politik mit neoliberalen Forderungen zu Wort gemeldet und erbitterten Widerstand gegen die kleinste Abweichung vom Dogma angekündigt.

Da wirkt die Stimme des deutschen Außenministers schon sehr verloren oder sollte man sagen verlogen, wenn der mahnt, den Franzosen nicht ständig mit dem erhobenen Zeigefinger gegenüberzutreten. Doch was oder wen will Sigmar Gabriel damit eigentlich noch beeindrucken, hat er doch mit der Großen Koalition und der Festlegung auf einen streng neoliberalen Kurs mit flächendeckenden Spardiktaten und strikter Haushaltsdisziplin in ganz Europa schon längst bewiesen, wie man sich als Realpolitiker zum Bettvorleger der Prediger des Neoliberalismus macht. Das Traurige an Gabriel, Schulz und Co ist doch, dass sie sich immer noch für sozialdemokratisch und pro-europäisch halten, obwohl sie eine anti-europäische Regierungspolitik seit Jahren mittragen, nur um ihr Bedürfnis nach Anerkennung zu befriedigen.

 

Überschuss-Sünder attackieren Macron

3

Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
  Verwandte Beiträge

Kommentare

  1. M.Müller  Mai 9, 2017

    Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis das Ende der deutschen Sozialdemokratie auf dem geschichtlichen Schafott seinen endgültigen Niedergang findet. Da sind schon unsere Peripherieländer weiter. Der Anfang vom langsamen aber sicheren Ende der rotlackierten Neoliberalen wurde ja schon mit der AGENDA 2010 eingeleitet !

  2. Hartmut Schwarz  Mai 9, 2017

    Tatsächlich scheint der SPD das Wahlvolk zur Last zu werden. Verhökern Bürgereigentum unter einem selbst konstruierten Vorwand. Verwechselt die SPD Europa als Kontinent, mit der €ropäischen Union ? Oder soll ich Bewusst die €päischeUnion mit Europa gleichsetzten ? Auch das ist möglich. Getäuscht und gelogen wurde wohl schon immer, auch in Wahlzeiten. Wir arbeiten uns, an der inzwischen bedeutungslos werdenden SPD ab. Das ist jetzt schon Zeitverschwendung.
    Kaum jemand kommt auf die Idee sich an der CDU zu versuchen.

  3. Hartmut Schwarz  Mai 9, 2017

    Zum Thema : Arte Dienstag 20.15 – 21.45 / Das Geschäft mit der Entwicklungshilfe.
    Folgerichtig – Die staatliche Entwicklungshilfe setzt zunehmend auf die Privatwirtschaft…..- mit allen“ Annehmlichkeiten“…..