Über den Schulz-Effekt wird viel geredet. Verflogen sei er inzwischen, doch das stimmt nicht. Er erfüllt seinen Zweck und stärkt die Union.
Der Schulz-Effekt ist eine Erfindung der Medien. Sie schrieben den Kandidaten der SPD erst hoch und damit auch die Umfragen, von denen die Sozialdemokraten plötzlich glaubten, sie würden bis zum Wahltag halten. Doch weit gefehlt. Die Medien meiden inzwischen Martin Schulz. Er findet kaum noch statt, wie Katarina Barley durchaus zurecht beklagt. Und zum Hohn werden die Wähler dann auch noch danach gefragt, ob sie finden, dass sie lange nichts mehr von Schulz gehört hätten. Das ist ja wirklich sehr bitter für die SPD.
Wer zum Teufel denkt sich solche Umfragen und Antwortmöglichkeiten aus? https://t.co/OekdmKkawy
— Tilo Jung (@TiloJung) May 7, 2017
Zum zweiten Mal gratulierte Martin Schulz dem politischen Gegner zu einem Wahlerfolg und verband das sogar mit einem Lob für den mehr oder weniger unbekannten Gegenkandidaten. Die übertrieben devote Haltung, versteckt hinter der Floskel vom demokratischen Anstand, ist nicht ungewöhnlich, sondern symptomatisch für einen Kanzlerkandidaten, der lediglich als bessere Merkel wahrgenommen werden will. Denn inhaltlich hat Martin Schulz nichts anzubieten als ein Weiter so. Daher ist es auch leicht für die Medien, die Partei durch Nichtbeachtung oder einfache Stiche, die die Glaubwürdigkeit erschüttern, wieder dahin zu befördern, wo sie im Januar schon stand. Im Keller.
SPD muss jetzt Reißleine ziehen
Es wäre an der Zeit, dass die Strategen im Willy-Brandt-Haus das endlich einmal erkennen. Die SPD muss begreifen, dass sie nur dann Wahlen gegen die Macht der Medien, die nie von der Seite Merkels gewichen sind, gewinnen kann, wenn sie konsequent auf einen Politikwechsel setzt und sich dem zu erwartenden Gegenwind mit gestärkter Glaubwürdigkeit entgegenstellt. Sobald die Union es kann, wird sie auch ohne die SPD regieren. Möglicherweise ist das in Schleswig-Holstein schon der Fall. Es hat also keinen Sinn, auf die Karte des verlässlichen Partners zu setzen und dabei alles zu verraten, was einmal als sozialdemokratisch gegolten hat.
Am 19. Mai hätte die SPD wieder die Chance zu beweisen, dass es auch anders gehen könnte, wenn sie bei der Abstimmung im Bundestag über eine Änderung des Grundgesetzes, die auf skandalöse Weise die Privatisierung der Autobahnen erlauben würde, die Reißleine zieht. Doch wenn die SPD ein weiteres Mal dabei mitmacht, eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit zu ermöglichen, um diesmal dem Ausverkauf öffentlichen Eigentums den Weg zu bereiten, der wiederum einer neuerlichen Umverteilung von unten nach oben Vorschub leistet, werden die Wahlniederlagen noch sehr viel bitterer für die SPD sein.
MAI
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.