Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) stellt eine Studie vor, in der die Behauptung vertreten wird, die Umverteilung über Steuern laufe im Grunde prima und viele Medien plappern es ohne kritische Anmerkung einfach nach.
Insgesamt erziele das Steuersystem die geplante Wirkung, schreiben die Autoren. „Starke Schultern tragen nicht nur bei der Einkommensteuer deutlich mehr als schwache – die gewünschte Umverteilung funktioniert also“, sagt IW-Finanzexperte Tobias Hentze. Das ist eine grobe Irreführung der Öffentlichkeit. Denn Menschen, die ihr Einkommen aus vorhandenem Vermögen erzielen und es weitgehend auch abgabenfrei behalten dürfen, tauchen in der Betrachtung mal wieder nicht auf.
Reiche zahlen eher Nullkommanix
Dabei dürfte hinlänglich bekannt sein, dass Kapitalerträge seit 2009 nicht mehr dem persönlichen Einkommenssteuersatz (also den maximal 42 Prozent) unterliegen, sondern einer pauschalen Abgeltungssteuer von 25 Prozent. Der Skandal dabei ist, dass Einkünfte aus Erwerbsarbeit in diesem Land höher besteuert werden als leistungslose Einkünfte aus Vermögen. Der größte sozialdemokratische Finanzminister aller Zeiten, Peer Steinbrück, verteidigte die Einführung der Abgeltungssteuer aber einst mit dem Satz: „Es ist besser 25 Prozent auf X zu haben, als 42 Prozent auf gar nix.“
Das ist natürlich grober Unfug, wenn man sich vorstellt, dass reiche Menschen auch rechnen können und sich sagen, dass 0 Prozent auf X in irgend einer anderen Steueroase noch viel viel besser sind. Manchmal lassen sich Vermögende auch Steuern zurückerstatten, die sie nie gezahlt haben. Das Ganze nennt sich dann etwas umständlich Cum-Ex oder Cum-Cum Geschäfte, die jahrelang, trotz zahlreicher Warnungen, unter den Augen der Finanzminister Eichel, Steinbrück und Schäuble munter vor sich hin liefen. Diesem Thema stellt sich die Politik nur widerwillig, wie jüngst ein Untersuchungsausschuss des Bundestages ergab. Weitere Meldungen dazu, wie diese Woche, schlagen aber immer noch hohe Wellen.
Doch das Steuersparmodell der Reichen, dass zu Milliardenverlusten auf Seiten des Fiskus führte, wie auch die immer noch vorhandene Steuerflucht oder die weitgehend verlustfreie Übertragung von hohen Erbschaften von der einen an die nächste Generation interessiert das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft herzlich wenig. Die Hälfte bekommt der Saat, steht da, so als sei die Steuerbelastung schon jetzt viel zu hoch. Zwischen den Zeilen lässt sich sogar der Vorwurf herauslesen, dass die starken Schultern tendenziell noch viel zu viel trügen und entlastet werden müssten. „Immer wieder kommen Forderungen auf, hohe Gehälter stärker zu besteuern. Doch die oberen Einkommensschichten leisten bereits sehr hohe Abgaben […].“
Ungleichheit nimmt weiter zu
Die Absicht dahinter ist klar. Unter Ausblendung der wirklich Vermögenden in diesem Land sollen untere und mittlere Einkommensschichten gegeneinander ausgespielt werden, ansonsten alles so bleiben wie es ist und die bestehende Verteilungsungerechtigkeit, die man einfach leugnet, fortgeschrieben werden. Dabei ist es an der Zeit die sichtbar aufgegangene Schere zwischen Arm und Reich wieder zu schließen. Selbst die jüngst von der Bundesregierung verabschiedete geschönte Fassung des 5. Armuts- und Reichtumsberichts kommt zu dem Schluss, dass die Ungleichheit zwischen Einkommen und Vermögen weiter zugenommen hat.
Lösungen, wie man dem begegnen könnte, sucht man in dem Papier allerdings vergebens. Es gilt das Prinzip Hoffnung und die Maßgabe, bloß nicht zu viel zu unternehmen. Eine Haltung, die durch Studien wie die vom IW gestützt wird. Dabei müssten gerade diejenigen, die mit dem Thema Gerechtigkeit auf Stimmenfang gehen konkrete Vorschläge unterbreiten. Dazu gehört die immer noch geltende Bevorzugung von Kapitaleinkommen bei der Besteuerung zu beenden. Und was ist eigentlich mit der Börsenumsatzsteuer? Da geht es ähnlich zügig voran wie bei der Schließung der bekannten Gesetzeslücken, die Cum-Ex und Cum-Cum Geschäfte ermöglichten.
Unterm Strich müsste ein Programm stehen, das eine höhere Besteuerung von Unternehmen, Superreichen und Großerben fordert. Wer übrigens die unteren und mittleren Einkommen bei der Einkommenssteuer entlasten will, muss den Spitzensteuersatz anheben und die wirklich Reichen und Vermögenden in diesem Land mehr zur Kasse bitten. Doch dazu wird es nicht kommen, weil es zu leicht ist, Studien wie die vom IW dank ahnungsloser Medien in Umlauf zu bringen und damit eine sachliche Diskussion im Keim zu ersticken. Es gilt eben ein Satz des Armuts- und Reichtumsbericht, der dort inzwischen nicht mehr steht: „Die Wahrscheinlichkeit für eine Politikveränderung ist wesentlich höher, wenn diese Politikveränderung von einer großen Anzahl von Menschen mit höherem Einkommen unterstützt wird.“
APR
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.