„Der Giftgasangriff bei Idlib ist das dominierende Thema bei den Syrien-Gesprächen in Brüssel heute“, lautete eine Anmoderation im Radio. Die Formulierung klingt so, als hätte jemand die Absicht verfolgt, die Tagesordnung zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Die Frage ist natürlich, wer daran ein Interesse haben könnte. Ein Großteil der Medien hat sich bereits festgelegt. Assad ist es gewesen und muss weg. Nur warum sollte der syrische Präsident dafür sorgen, dass seinem Land möglicherweise Milliardenhilfen der internationalen Gemeinschaft durch die Lappen gehen?
Denn das, was in Brüssel stattfindet ist ja im Grunde eine weitere Geberkonferenz. Gesprochen wird nämlich über Milliardenhilfen für die vom Bürgerkrieg betroffenen Menschen, die in und um Syrien auf der Flucht sind. Es geht um 2,3 Milliarden Euro, die bereits in London beschlossen wurden und noch einmal um rund 1,2 Milliarden Euro, die Deutschland oben drauf packen will, wie Außenminister Sigmar Gabriel ankündigte.
Allerdings soll das Geld nur fließen, wenn Assad verschwindet, so lautet die Bedingung der Europäer und inzwischen auch wieder der Amerikaner, die nach den Meldungen über einen Giftgasangriff sehr schnell Assad die Schuld zuwiesen, ohne dafür Belege zu nennen. Er muss es aber gewesen sein, weil er schon einmal Giftgas gegen die eigene Bevölkerung einsetzte. Dabei fehlen auch dafür bis heute die Belege.
Erschreckend sind die Reaktionen der Kommentatoren, die es offenbar bedauern, dass Obama seinerzeit nicht militärisch eingriff, sondern lieber hinter die roten Linien zurück kroch, die Assad angeblich bereits 2013 überschritten haben soll. Nur stimmt das überhaupt, wenn klar ist, dass Assad nur einer unter vielen ist, die in Syrien Krieg führen und über entsprechende Waffen verfügen? Der Journalist Seymour M. Hersh schrieb in einer Reportage für den Cicero über die roten Linien von 2013:
„Doch nachdem Assad im August 2013 angeblich Nervengas gegen seine eigene Bevölkerung eingesetzt und damit die von Obama zuvor festgelegte „Rote Linie“ überschritten hatte, befahl er trotzdem keine Luftangriffe gegen Syrien.
Der Präsident entschied sich unter anderem dagegen, weil es keine verlässlichen nachrichtendienstlichen Informationen gab, die dieses spezielle, in dem Angriff eingesetzte Nervengas mit dem Giftgas in Verbindung bringen konnte, das bekanntermaßen in syrischen Arsenalen lagert – ein Umstand, der in der US-amerikanischen Presse weiterhin ignoriert wird. Obama handelte in diesem Fall völlig richtig, aber er sagte den Amerikanern nicht, warum. Und er verschärfte den Ton, als sich Russland im letzten September nach US-amerikanischer Sicht über Washington hinwegsetzte, indem es auf Drängen der syrischen Regierung zur Unterstützung Assads in den Krieg eingriff. Trotz der harten Präsidentenworte führte sein Militär koordinierte Luftangriffe mit den Russen durch und tauschte gelegentlich Informationen über Ziele aus.“
Leider scheinen deutsche Journalisten zu glauben, auf die Kenntnis versierter Kollegen, die nachweislich wissen, worüber sie schreiben und reden, verzichten zu können. Wem nützt also das neuerliche Assad-Bashing, berechtigt oder nicht? Vielleicht den gönnerhaften Geldgebern, die auch immer Kriegstreiber waren? Über ihr finanzielles Engagement redet inzwischen keiner mehr. Also zum Beispiel darüber, dass bisher nur ein Bruchteil der benötigten und zugesagten Gelder bei Hilfsorganisationen eingegangen ist. Dieses Versagen der internationalen Gemeinschaft hätte eigentlich die Tagesordnung bestimmen sollen.
APR
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.