Glaubt man den Umfragen, ist die SPD derzeit nah dran oder bereits vorbei an der Union. Wäre sie schlau, würde sie die Bundesregierung jetzt platzen lassen und eine andere Mehrheit im Bundestag nutzen, um zunehmendes Vertrauen in sie auch mit konkreten Taten zu rechtfertigen. Doch Martin Schulz will erst ab dem 24. September etwas anders machen und bis dahin lieber über die Blockade des politischen Gegners jammern, der bis zum Wahltermin Koalitionspartner bleibt.
Heute hat Martin Schulz auf der SPD-Arbeitnehmertagung in Bielefeld gesprochen und ausgeführt, was bereits vorab via Bild-Zeitung verbreitet worden war. Demnach kündigt Schulz unter anderem an, die sachgrundlose Befristung abschaffen und sich ganz allgemein für weniger befristete Arbeitsverträge einsetzen zu wollen. Aber erst nach dem 24. September, wie er betonte und auch nur für den Fall, dass er Bundeskanzler wird. Er macht einen „Vertrauensvorschuss der Wähler“ bei der Bundestagswahl zur Voraussetzung für eine Umsetzung seines Katalogs für mehr soziale Gerechtigkeit in Deutschland.
Das heißt, vorher wird die SPD nichts unternehmen, um an der von Schulz diagnostizierten Ungleichheit im Lande etwas zu ändern. Und das, obwohl sie eine Mehrheit dafür jetzt noch organisieren könnte. Die SPD müsste nicht mal in eine neue Regierung eintreten, sondern könnte per Abstimmung so kurz vor der Bundestagswahl unter anderem für ein Verbot der sachgrundlosen Befristung sorgen, eine Verlängerung des Arbeitslosengeldes I erwirken oder die Manager-Boni begrenzen. Die SPD könnte damit ein Signal aussenden, dass die gewählten Worte des Kanzlerkandidaten ernst gemeint und nicht bloß billige Wahlkampfrhetorik sind.
Das alte Lied
Denn die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung stand auch schon im Wahlprogramm der SPD 2013 (Die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen wollen wir abschaffen, den Katalog möglicher Befristungsgründe überprüfen). Seit dem sitzen Sozialdemokraten mit in der Regierung. Doch geändert hat sich nichts, trotz einer Arbeitsministerin, die auch ein SPD Parteibuch trägt. Martin Schulz entschuldigt das, macht der Ministerin keinen Vorwurf, lobt sie vielmehr über den grünen Klee und verweist stattdessen auf den Widerstand der Unionsparteien, die es in der Gerechtigkeitsfrage noch zu überzeugen gilt.
Das ist das alte Lied. Die anderen mauern und blockieren, während die SPD alles Menschenmögliche unternimmt. Weil Schulz das genauso verkauft wie vor ihm Sigmar Gabriel, muss man an den Absichten des neuen SPD Kanzlerkandidaten weiterhin zweifeln. Denn welchen Sinn soll es eigentlich haben, die Schuld bei einem politischen Gegner zu suchen, mit dem man regierungsamtlich seit Jahren gemeinsame Sache macht? Liegt nicht vielmehr eine Blockadehaltung auf Seiten der SPD vor, wenn sie die vorhandenen Mehrheiten links der Union wegen angeblicher Regierungsunfähigkeit immer wieder ungenutzt im Parlament herumliegen lässt?
So hätte es den Mindestlohn, dessen Einführung Martin Schulz als großen Erfolg seiner Partei in dieser Legislaturperiode herausgestellt hat, schon zehn Jahre früher geben können, wenn die SPD damals doch ihrem eigenen Antrag zugestimmt hätte, statt darauf zu hoffen, dass eine Einigung mit der Union gelingt. Warum sollten die Wähler also bis zum 24. September Geduld aufbringen und der SPD einen Vertrauensvorschuss gewähren, wenn doch die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass es hinterher wieder nur heißt, wir wollten ja, aber mit den Schwatten war leider nicht mehr drin?
Die neuen Spielräume
Martin Schulz gesteht Fehler ein, die nun korrigiert werden müssen, er spricht vom neoliberalen Mainstream, dessen kritiklose Übernahme ein schwerer Irrtum war. Das ist ja schon der richtige Ansatz, doch Schulz nimmt die Große Koalition explizit davon aus. Denn sie betreibe seiner Meinung nach schon jetzt eine sozialdemokratische Politik. Die Fortsetzung des Bündnisses wäre daher aus seiner Sicht auch kein Fehler. Insofern ist es nur logisch, wenn Schulz die Zeit bis zur Bundestagswahl lieber mit emotionalen Wahlkampfreden und dem Gejammer über die Blockaden des Koalitionspartners zu überbrücken versucht.
Im Sinne der hart arbeitenden Menschen ist das aber sicher nicht. In ihrem Interesse ist es vermutlich auch nicht, wenn die geschätzten Kollegen aus der Union bereits das Budget der kommenden Jahre verplanen. So müsse mehr für Rüstung ausgegeben werden, wie an diesem Wochenende auf der Münchner Sicherheitskonferenz noch einmal bekräftigt wurde. Und dabei geht es nicht um Peanuts, sondern um Milliardenbeträge. Der sonst so sparsame Bundesfinanzminister spricht wie selbstverständlich von Spielräumen, die eine kontinuierliche Erhöhung des Verteidigungsetats (als wichtige Aufgabe) über Jahre hinweg ermöglichen würden.
Wo ist da die Empörung der SPD und ihres Kanzlerkandidaten, der sich wortreich über die Folgen des neoliberalen Zeitgeists und die zunehmenden Ungerechtigkeiten beklagt. Hätte er heute nicht deutlich sagen müssen, jetzt ist Schluss? Hätte er nicht sagen müssen, die Spielräume der Zusammenarbeit sind aufgebraucht, weil die SPD die Sorgen der Menschen erkannt hat und es für richtiger und wichtiger hält, mehr Geld für die Rente, statt für Rüstung auszugeben? Nein, er tut es nicht, weil Schulz als Fan der Großen Koalition nichts Ehrenrühriges an den Fehlern von heute finden mag. Es reicht ja, sie Jahre später zu erkennen.
FEB
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.