Kanzlerin Angela Merkel hat die letzte Bundestagswahl 2013 mit dem einfachen Satz gewonnen: „Sie kennen mich!“ Martin Schulz probiert es jetzt mit der gleichen Strategie, aber einer entgegengesetzten Aussage. Sein Wahlspruch müsste lauten: „Sie kennen mich nicht!“
Wie inzwischen bekannt geworden ist, hat Schulz seine Partei darum gebeten, das Wahlprogramm erst später festzulegen, ganz nach dem Motto, was der Wähler nicht weiß… Genau wie Merkel möchte damit auch Schulz in die Rolle eines Puddings schlüpfen, der schwerlich an die Wand zu nageln ist.
Ohne selbst konkrete Inhalte anzubieten, lässt es sich übrigens auch leichter über „Fake News“ klagen. Aber das ist ein anderes Thema. Zu den Fakten gehört ganz offensichtlich, dass sie stören, weil sie das Bild des Wählers über welchen Kandidaten auch immer nur unnötig verzerren. Daher verzichten beide Seiten auf selbige und führen lieber Kindergartenschaukämpfe auf, wie Stephan Hebel in der FR schreibt.
Wenn die eine Seite der anderen Trump-Methoden unterstellt, kontert diese mit dem Vorwurf des Trump-Niveaus. Erkenntniswert gleich null. Dabei ging es doch konkret um einen Befund, die Spaltung der Gesellschaft, die es für die eine Seite aber gar nicht zu geben scheint. Hier hätten die Gefolgsleute des Kämpfers für mehr soziale Gerechtigkeit doch einmal sachlich darlegen können, wie es ihrer Ansicht nach dazu kam und mit welchen Vorschlägen ihr Spitzenkandidat daran etwas zu ändern gedenkt.
Man belässt es aber lieber bei der gespielten Empörung. Von Martin Schulz selber ist auch nur die verräterische Aussage überliefert, dass Frau Merkel als geschäftsführende Vorsitzende einer stark sozialdemokratisch geprägten Bundesregierung sozialdemokratische Politik betreibe und das doch schön sei. Die Bürger sollten aber besser das Original wählen, also ihn. Mit anderen Worten: Martin Schulz wäre der bessere Kanzler für eine Politik, die es unter Merkel schon gibt.
Vorsicht Linksfront
Das sind keine guten Aussichten für all diejenigen, die in dem Aufschwung der SPD auch die Möglichkeit eines Politikwechsels sehen. Dieser bleibt höchst fragwürdig, angesichts der Scheu von Martin Schulz, sich inhaltlich klar zu positionieren. Nun wird wegen aktueller Umfragewerte frohlockt, eine linke Mehrheit für Schulz sei möglich. Von Treffen zwischen SPD, Grünen und Linken wird berichtet und von einem CSU-Generalsekretär, der, es ist so komisch, mal wieder vor einer Linksfront warnt:
„Jetzt ist es amtlich: Seit Schulz da ist, werden die Planungen für die rot-rot-grüne Linksfront intensiviert. Die meinen es ernst.“ Die Union werde nicht zulassen, „dass Rot-Rot-Grün Deutschland herunterwirtschaftet“.
Dabei kann man Scheuer beruhigen. Die Union braucht überhaupt nichts zu verhindern, das macht die SPD doch von allein. Seit fast vier Jahren schon. Oder wie ist es sonst zu erklären, dass die vorhandene „Linksfront“ im Bundestag mit sage und schreibe 320 Sitzen kein einziges Gesetz zustande bringt, das Deutschland herunterwirtschaftet? Gerade jetzt wäre ja Gelegenheit, nachdem die Union den Kanzlerkandidaten der SPD mit Zitat: „Dreck“ bewirft.
Die Linke hat daher bereits angekündigt, die Probe aufs Exempel zu machen und Anträge ins Plenum einzubringen, die es der SPD erleichtern soll, eine Änderung der Politik zu erwirken. So soll es zum Beispiel eine Initiative geben, in der die Bundesregierung aufgefordert wird, einen Gesetzentwurf zur Begrenzung von Managerboni vorzulegen. Die SPD hätte damit die einmalige Chance, noch vor einer Wahl mit ungewissem Ausgang, die Union zu einer Regelung zu zwingen, welche Kanzlerkandidat Martin Schulz bei seinen bisherigen öffentlichen Auftritten immer wieder eingefordert hat.
Doch vermutlich wird es wieder so laufen, wie beim letzten Mal, als eine „Linksfront“ den Bundestag beinahe beherrschte. Zwischen 2005 und 2009 war das. Da hatte die Linke einen Antrag zum Mindestlohn eingebracht, der wörtliche Formulierungen aus SPD-Papieren enthielt. Doch die SPD stimmte dagegen mit der Begründung, keine Schnellschüsse abgeben zu wollen, da man mit dem Koalitionspartner Union kurz vor dem Abschluss konstruktiver Gespräche stand. Stimmt. Eine Einigung mit der Union beim Thema Mindestlohn sollte es schon knapp zehn Jahre und eine schwarz-gelbe Bundesregierung später geben.
PS: Wer Martin Schulz übrigens ein wenig besser kennenlernen möchte, dem sei ein aktueller Artikel von Fabio De Masi und Constantin Braun ans Herz gelegt.
FEB
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.