Gibt es einen Martin Schulz-Effekt? Die SPD will eine Aufbruchstimmung vermitteln und berauscht sich an ihrem Kandidaten. Die Medien steigen darauf ein, helfen der Partei und ihrem Spitzenmann mit Wohlwollen und viel Sendezeit. Das bedingt wiederum die Hochstimmung auf Seiten der SPD, wenn ihr Kandidat unter anderem auf dem Spiegel Titel als der neue Messias prangt.
Bereits nach einer Woche zeichnet sich eine breite Medienkampagne ab, die Martin Schulz zur Alternative von Merkel erklärt. Ein sehr durchschaubarer Täuschungsversuch.
Abrissbirne Schulz
Merkel ist unpopulärer geworden, Schulz hingegen wirkt frisch und unverbraucht. Wenn die SPD mit ihm ein wenig zulegen könnte, bleibt Merkel sicher im Amt. Ziel der Kampagne ist daher, den Eindruck zu erwecken, als hätten die Menschen wieder eine Wahl, nachdem die AfD zuletzt erfolgreich das Bild von unwählbaren „Altparteien“ vermitteln konnte. Die Strategie der Protestpartei ging auf und brachte ihr viel Zustimmung bei allen Wählerschichten ein. Außerhalb Deutschlands eilen die Anti-System-Kandidaten ebenfalls von Erfolg zu Erfolg.
Nicht umsonst kreist Schulz Populisten und Nationalisten als klares Feindbild ein. Ihnen sagt er den Kampf an. Er nennt Trump einen Präsidenten, der mit der Abrissbirne gegen Grundwerte vorgeht und die AfD eine Schande für Deutschland. Das gefällt den medialen Spindoktoren, die enttäuscht die Niederlage ihrer Favoritin Clinton bei den Präsidentschaftswahlen in den USA hinnehmen mussten und mit Schrecken den Aufstieg der AfD hierzulande verfolgen. Sie arbeiten daher bereits an der Formel „Demokratie oder Populismus“.
Schulz wird hier als ein Kämpfer für das Gute, die Demokratie, inszeniert, der als ehrlicher Politiker erscheint und sich für den Zusammenhalt der Gesellschaft und ein intaktes Haus Europa einsetzt. Dabei müsste seine Tätigkeit auf EU-Ebene kritischer beleuchtet werden. Denn Schulz ist alles andere als ein Kämpfer für die Demokratie. Er hat sie in Brüssel ausgehöhlt und da mit Füßen getreten, wo es im Sinne deutscher Interessen opportun erschien, etwa beim Umgang mit Griechenland oder bei den Rechten des EU-Parlaments.
Schulz stand mehr an der Seite der Bundesregierung und an der Seite von Konzernen, als an der Seite jenes Plenums, dessen Präsident er war. Um dies ein wenig zu verschleiern, wird seine Bürgermeistertätigkeit in Würselen nun besonders betont. Ein Mann, der die Sorgen der Menschen vor Ort versteht, lautet die Botschaft. Dies soll die Glaubwürdigkeit von Schulz als Kanzlerkandidaten unterstreichen, dessen Partei, die SPD, in Berlin an der Seite der Union ja so weitermacht wie bisher.
Ladenhüter soziale Gerechtigkeit
Nun tritt Schulz für mehr soziale Gerechtigkeit ein und nennt dabei die Zielgruppe seiner Politik. Im Mittelpunkt des SPD-Wahlkampfs sollen die hart arbeitenden Menschen (die Mitte mal wieder) stehen, die sich an die Regeln halten und Kinder wie Jobs unter einen Hut bringen. Das ist so nichtssagend wie verräterisch, weil es wieder einmal die Rolle der SPD als verantwortliche Regierungspartei unterschlägt. Lästige Fragen danach wehrt er mit Verweis auf seine Rolle als eine Art außerparlamentarischer Oppositionskandidat ab.
Statt Selbstkritik gibt es dann auch wieder nur lobende Worte für die Agenda-Macher, die noch immer Ministerposten bekleiden und demnächst sogar im Amt des Bundespräsidenten als geistig-moralische Autorität auftreten dürfen. Und so ist es im Grunde auch nicht verwunderlich, dass die Kernbotschaft von Martin Schulz an die eines Agenda-Hardliners erinnert, der mal als großer Krisenmanager und letzter Kanzlerkandidat der SPD gefeiert wurde, am Ende aber auch kläglich scheiterte.
Peer Steinbrück schrieb 2003 in der Zeit über die Aufgabe von Politik:
„Der Staat hat die Aufgabe, für eine gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung zu sorgen. Soziale Gerechtigkeit muss künftig heißen, eine Politik für jene zu machen, die etwas für die Zukunft unseres Landes tun: die lernen und sich qualifizieren, die arbeiten, die Kinder bekommen und erziehen, die etwas unternehmen und Arbeitsplätze schaffen, kurzum, die Leistung für sich und unsere Gesellschaft erbringen. Um die – und nur um sie – muss sich Politik kümmern.“
Schulz würde ihm heute wohl immer noch zustimmen und damit fortsetzen wollen, was die guten Parteifreunde einst begonnen haben. Und so bleibt bei der SPD auch in diesem Wahljahr alles so, wie es bislang war, nur mit dem Unterschied, dass die Medien dem Kandidaten zunächst noch ein bisschen mehr Sympathie entgegen bringen und damit ein Gefühl des Aufbruchs befeuern. In dessen Aufmerksamkeitsschatten aber hat die amtierende Kanzlerin wieder Zeit, sich zu verstecken. Wahlkampf liegt ihr ja ohnehin nicht sonderlich.
JAN
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.