Warum wird nichts gegen Gefährder getan? Die sind doch gefährlich. Das Unwort „Gefährder“ und in seiner absurden Steigerungsform „potenzieller Gefährder“ zeigt schon das ganze Ausmaß des sprachlichen Dilemmas im Anti-Terrorkampf. Der Begriff, der keiner ist, wird heute wie selbstverständlich für eine Gruppe von Menschen verwandt, die rechtsstaatlichen Grundsätzen folgend, eigentlich unschuldig sind. Unter Gefährder verstehen die Behörden Personen, die ja im juristischen Sinne nicht als Verdächtige bezeichnet werden dürfen, da es eben keine Verdachtsmomente oder Beweise gegen sie gibt, sondern nur die Annahme, dass sie etwas Böses tun könnten.
Das Wort Gefährder wird dennoch in der öffentlichen Debatte so gebraucht, als sei es ein offizieller Begriff für Kriminelle, die gefühlt hinter Gitter gehören. Doch eine rechtliche Grundlage fehlt dafür bis heute.
Ex-Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hat einmal gesagt, Gefährder seien „Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie erhebliche Straftaten begehen könnten“. Das ist natürlich grober Unfug und widerspricht der Unschuldsvermutung, die gerade jenem Rechtsstaat zu Grunde liegt, den Innenpolitiker mit Verve verteidigen wollen. Tatsachen, die die Annahme einer Straftat untermauern würden, müssten zweifellos zu einem Verdachtsmoment führen, den es aber bei Gefährdern offensichtlich nicht zu geben scheint, sonst wären sie ja auch keine Gefährder, sondern Beschuldigte.
Also was ist ein Gefährder? Ein Gefährder könnte auch jemand sein, der wissentlich rechtsstaatliche Grundsätze missachtet und oder immer neue Begrifflichkeiten erfindet, um diese zu umgehen. Gefährder könnten demnach auch Innenminister sein, die dem Publikum eine Art von Sicherheitspolitik jenseits des Grundgesetzes unterzujubeln versuchen. Allerdings ist das nach dem jüngsten Anschlag in Berlin mal wieder in sich zusammengefallen.
Gedankliche Einbahnstraße
Das Problem mit dem letzten Gefährder, der als Täter schon überführt zu sein schien (und inzwischen tot ist), ist etwas ganz anderes. Das ist die Sache mit der nichterfolgten Abschiebung. Ein Skandal, rufen viele, weil plötzlich deutlich geworden ist, dass Abschiebungen nur dann gelingen, wenn es auch aufnahmebereite Staaten gibt. Das war aber schon lange vorher klar, als noch über Transitzonen und sichere Herkunftsländer im Zuge der mehrfach erfolgten Asylrechtsverschärfungen in diesem Jahr gestritten wurde.
Und noch heute wird so getan, als seien Abschiebungen problemlos möglich, wenn man es denn politisch nur wollte und der Bundesrat etwa ein bislang blockiertes Gesetz über sichere Herkunftsländer endlich verabschieden würde. Das ist aber auch nicht mehr als eine Irreführung. Denn ohne eine bilaterale Vereinbarungen mit dem angeblich sicheren Herkunftsland geht das nun einmal nicht. Die Folge sind daher oftmals zweifelhafte Deals, wie das zunächst unter Verschluss gehaltene Abkommen der EU mit Afghanistan belegt.
1,2 Milliarden Euro pro Jahr soll das Land am Hindukusch dafür erhalten, dass es seine Bürger wieder aufnimmt. Die Versuche der Bundeskanzlerin, neben der Türkei auch mit afrikanischen Staaten Vereinbarungen in der Flüchtlingsfrage zu treffen, sind ein weiterer Beleg. Deren Machthaber sollen schon im Vorfeld dafür sorgen, mit welchen Mitteln auch immer, dass sich nicht so viele Menschen auf den Weg nach Europa begeben. Insofern ist es doch naheliegend, dass auch Staaten wie Tunesien versuchen werden, eine Gegenleistung für ihre Aufnahmebereitschaft zu verlangen.
Doch das Denken in Einbahnstraßen verhindert das Verständnis für diese Perspektive. Deshalb ist auch Tunesien allein Schuld an der ungelösten Abschiebefrage. Es könne schließlich nicht sein, „dass manche Länder über Unterstützung dankbar sind, aber sich weigern, Verbrecher aus ihren Ländern wieder aufzunehmen“, meint etwa Grünen-Chef Cem Özdemir. Solche Äußerungen mit indirekter Drohung sind natürlich wenig hilfreich, wenn nicht sogar dumm. Denn was hindert Tunesien daran, eine ähnlich trotzige Haltung einzunehmen wie die Türkei das heute schon tut.
Untaugliche Schnellschüsse
Wenn Abschiebungen nun nicht so leicht sind, könnte man ja noch Gefährder einfach länger als ein paar Tage in Abschiebehaft einsperren oder einen auf Gefährder zugeschnittenen Straftatbestand schaffen. Nur wie soll das gehen, wenn der Begriff Gefährder selbst nur eine alberne Hilfskonstruktion ist, die einen Straftatbestand auf der Grundlage von Vermutungen bloß unterstellt?
Es steht auch außerhalb jedes Rechtsverständnisses, Gefährdern oder Nicht-Gefährdern eine Duldung nur deshalb zu verweigern, weil der Betroffene keinen Pass mehr besitzt oder das Herkunftsland einen Passersatz verweigert, so wie das Innenminister de Maizière nach den Feiertagen gerne durchsetzen möchte. Die Betroffenen würden vermutlich alle Prozesse gewinnen, weil man ihnen das Verhalten ihres Heimatlandes einfach nicht zum Vorwurf machen kann.
Es ist doch offensichtlich, dass sich der Terror hierzulande nicht durch solche unüberlegten Schnellschüsse verhindern lässt. Die besinnlichen Tage sollten deshalb einmal dazu benutzt werden, um darüber nachzudenken, was Terror eigentlich ist und wie es sein konnte, dass seit 2001, als die Flugzeuge in das World Trade Center flogen, die Zahl der Terroristen um ein Vielfaches zugenommen hat. Vielleicht weil man Terrorismus nicht mit Terror bekämpfen kann. So hat der Anti-Terror-Kampf in den vergangenen 15 Jahren bereits 1,5 Millionen Menschen das Leben gekostet.
Anschläge hierzulande sind also eher die Folge dieser zerstörerischen Kriege, die auch weiterhin geführt werden, als die Folge einer in manchen Augen zu laschen Asylpolitik.
DEZ
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.