In die Verlängerung

Geschrieben von: am 16. Dez 2016 um 17:01

Merkel VerlängerungDer Begriff „Verlängerung“ hätte es verdient, zum Wort des Jahres gekürt zu werden. Denn nichts geschah häufiger, als die Festsetzung von Nachspielzeiten ohne politisch nachvollziehbare Begründung. Die Russland-Sanktionen: gerade wieder verlängert. Der Ausnahmezustand in Frankreich: auch gerade wieder verlängert. Die Austeritätspolitik in Europa, insbesondere in Griechenland: sie soll nach dem Willen Schäubles auf jeden Fall verlängert werden. Und Kanzlerin Merkel hat unendlich viel nachgedacht, um dann doch zu dem Schluss zu kommen, noch einmal in die Verlängerung zu gehen. Eine Endlosschleife.

Die Verlängerung ist wie in den Jahren davor die bloße Fortsetzung der neoliberal eingeprägten Formel von einer angeblichen Alternativlosigkeit. Nun ist die Politik offenbar gefangen im eigenen Glauben an den Sachzwang und daher unfähig, sich daraus zu befreien. Sie fürchtet, das Gesicht zu verlieren und geht deshalb lieber in die Verlängerung dessen, was zwar nicht funktioniert, aber bekannt ist und irgendwie mehr Zeit zum abermaligen Verlängern verspricht.

Eingeübte Sätze müssen daher nicht entsorgt, sondern lediglich verschärft und neu vorgetragen werden. Belege braucht es keine. Der Unsinn von gestern wird einfach weiter gepredigt und den Empfängern, die es nicht mehr hören wollen, wird vorgeworfen, sie hätten ein Problem mit den Fakten. Das behaupten ausgerechnet diejenigen, die sehr genau wissen, dass die Russland-Sanktionen nichts gebracht haben, noch je bringen werden, der Ausnahmezustand keine sozialen Probleme löst und die Austeritätspolitik krachend gescheitert ist.

Das behaupten auch diejenigen, die wohl überlegt Sätze aus einem Armuts- und Reichtumsbericht heraus streichen, weil aus ihrer Sicht die wissenschaftliche Aussage nicht zur „Uns geht es doch gut Stimmung“ in der Bundesregierung passt. Wer kann sich eigentlich noch an den Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler von der FDP erinnern, der während der schwarz-gelben Regierungszeit eine ähnliche Zensurorgie im Entwurf des Armut- und Reichtumsbericht der Ministerin von der Leyen veranstaltete? Was haben die Genossen von der SPD da auf ihren Oppositionsbänken herum getobt und empört geschrien. „Wer die Realität ausblendet und ignoriert, kann keine gerechte Politik machen.“

Welche engagierte Kämpferin damals für die Belange der Menschen mit wenig Einkommen eintrat, fragen Sie? Andrea Nahles ist es gewesen, die heute leider – aus staatspolitischer Verantwortung, wie es vor drei Jahren hieß – ihren Dienst als Bundesarbeitsministerin schweren Herzens antreten musste und den aktuellen Bericht mit gestrichenen Aussagen über eine „Krise der Repräsentation“ zu verantworten hat. Aber nicht doch, kontert das Ministerium. Übrigens mit denselben Argumenten wie damals unter Schwarz-Gelb. Eine übliche Ressortabstimmung bringe immer Änderungen an einem vorliegenden Text. Außerdem liege ja noch keine Endfassung vor, die gebe es, Sie ahnen es bereits, erst in der Verlängerung.

Und so wird dem Betrachter schlagartig klar, die FDP, die eine ungerechte Vermögensverteilung immer leugnete, war dank ihres verlängerten parlamentarischen Arms SPD nie wirklich weg. Die neoliberale Politik ist stets geblieben. Sie ist die Konstante von Rot-Grün über Schwarz-Rot und Schwarz-Gelb bis hin zu wieder Schwarz-Rot. Da kann der Wähler wählen oder nicht wählen was er will. Er bekommt die Verlängerung serviert, übrigens auch mit der AfD. Die packt an die übliche Verlängerung lediglich einen Denkzettel dran.

 
Apropos Verlängerung

Das gibt es auch täglich in den Zeitungen zu lesen. Ständig werden komische Dinge wieder und wieder aufgeschrieben. Bei uns in Niedersachsen ist gerade die Haushaltswoche zu Ende gegangen und der zuständige Redakteur für Landespolitik einer täglich erscheinenden Zeitung schreibt in seinem Kommentar am Mittwoch:

Vor zehn Jahren, da war die schwarze Null schon einmal in greifbarer Nähe: Spätestens 2010 wollte die damalige schwarz-gelbe Landesregierung einen niedersächsischen Haushalt ohne neue Schulden auflegen. Doch dann kamen die Weltfinanzkrise, die Konjunkturpakete, die Bankenrettungsprogramme – und das große Ziel löste sich in Luft auf. Nun ist die Null im zweiten Anlauf von Rot-Grün geschafft worden: Für 2017 und 2018 bekommt Niedersachsen erstmals in seiner Geschichte einen Etat, der ohne neue Schulden auskommt. Das Land will nicht mehr Geld ausgeben, als es einnimmt – das hat es seit 1946 nicht gegeben.

Ja, das hat es seit 1946 nicht mehr gegeben. Ein Glück, dass das da steht. Man hätte sonst meinen können, Niedersachsen wie auch jedes andere Land, dass die schwarze Null nie oder nur einmal in 70 Jahren schafft, wäre längst von der Landkarte verschwunden oder dümpele im Elend vor sich hin. Doch dann stellt man plötzlich fest, dass das ja gar nicht so war. Das große Unglück ist stets ausgeblieben, obwohl es schon eine Menge nächster Generationen gegeben hat.

Und dann stellt man weiterhin fest, dass der jetzt nicht mehr zu verbergende Verfall der Infrastruktur und die zunehmende Armut von Menschen nicht Folge unausgeglichener Haushalte oder Schulden ist, sondern die Folge einer zwischen geistig moralischer Wende und Saumagen irgendwo in den 1980er Jahren eingeführten neoliberalen Politik, die Investitionen lieber auf kleiner Flamme hält und ansonsten schwarze Nullen und Schuldenbremsen total klasse findet. Wie schön wäre es doch, wenn sich dieser Unsinn endlich mal in Luft auflösen würde, statt ständig in die Verlängerung geschickt zu werden.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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