Heute ist der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, im Europa-, Haushalts- und Finanzausschusses des Bundestages zu Gast. Wie der Deutschlandfunk meldet, will dessen Vorsitzender, der CDU-Politiker Kriechbaum kritische Fragen an den Chef der EZB stellen. Dabei würde umgekehrt ein Schuh daraus.
Denn mit prognostizierten 310 Milliarden US-Dollar soll Deutschland in diesem Jahr den weltweit höchsten Überschuss in der Leistungsbilanz ausweisen und damit China als Exportweltmeister überholen. Das entspräche fast neun Prozent der Wirtschaftsleistung. Erlaubt sind laut EU-Regeln (Six-Pack) aber nur maximal sechs Prozent Überschuss in der Leistungsbilanz. Der Herr Kriechbaum und seine Kollegen sollten also die Frage beantworten, wie sie gedenken, das unerträgliche Importdefizit abzubauen, das Deutschland seit Jahren billigend in Kauf nimmt und damit die wirtschaftliche Stabilität der Eurozone und Europas gefährdet.
Dem EU-„Six-Pack“ zur wirtschaftspolitischen Steuerung haben alle Mitgliedsstaaten zugestimmt. Deutschland hat seinerzeit sogar dafür gesorgt, das ein Leistungsbilanzüberschuss oder besser Importdefizit von sechs Prozent erlaubt bleibt, während umgekehrt ein Leistungsbilanzdefizit oder Importüberschuss nur maximal vier Prozent der Wirtschaftsleistung ausmachen darf. Ein bewusst eingebautes Ungleichgewicht, das dem notorischen Exportweltmeister nutzt und dennoch nicht reicht, wie die aktuellen Schätzungen zeigen.
Es ist daher schon mehr als seltsam, wenn hiesige Politiker über die Zinspolitik des EZB-Chefs jammern und dafür gern die Not der Sparer bemühen. Dabei ist die Niedrigzinspolitik eine direkte Folge des brutalen Austeritätskurses in der Eurozone, die zu massenhafter Arbeitslosigkeit, weniger Investitionen und einer Rezession geführt hat. Nun beklagen vor allem die CDU-Finanzexperten das Anleiheankaufprogramm der EZB. Es würde dazu führen, dass die bösen Defizitsünder des Südens nun wieder leichter an billiges Geld kämen, ohne die notwendigen Reformen in ihren Ländern einzuleiten.
Dabei hat gerade Griechenland unter dem Druck der Gläubiger einem weiteren sogenannten Reformprogramm zugestimmt, das den Ausverkauf von Wasser- und Gaswerken, Flughäfen, Autobahnen und Häfen zulässt. Die deutschen Haushälter haben dennoch Angst vor neuen Blasen und übersehen dabei das gigantische Vakuum im eigenen Kopf. Die ganze Welt hat inzwischen begriffen, dass der Sparkurs in Europa gescheitert und der wachsende Bilanzüberschuss der Deutschen eine Gefahr nicht nur für Europa, sondern die gesamte Weltwirtschaft ist. Aber Draghi muss sich kritische Fragen gefallen lassen. Das ist so lächerlich.
Was wäre denn, wenn Draghi auf seine geldpolitischen Maßnahmen verzichtet und die Zinsen auf einem hohem Niveau belassen hätte. Mal abgesehen vom Zusammenbruch der Eurozone hätte Bundesfinanzminister Schäuble keine Schwarze Null in seinen Haushalten feiern können. Die kam nämlich nur zustande, da er seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 rund 100 Milliarden Euro an Zinskosten hat einsparen können. Und da der Bundesfinanzminister soviel von Regeln hält, müssten seine Parteikollegen eigentlich ganz still sein und Danke sagen, statt so zu tun, als verstünden sie etwas von Geldpolitik.
SEP
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.