Regierungsauftrag

Geschrieben von: am 19. Sep 2016 um 9:16

160919-ergebnis-wahl-berlinDas mit dem Regierungsauftrag ist so eine Sache. Gestern haben viele, ich eingeschlossen, über die Aussage der SPD gelächelt, sie habe einen klaren Regierungsauftrag vom Wähler erhalten. Bei einem Ergebnis von 21,6 Prozent (minus 6,7 Prozentpunkte) ist das schon eine gewagte These. Dennoch bleibt ja die Frage, wer denn sonst eine Regierung bilden solle, wenn nicht die SPD. Ohne sie ist eine Regierung zwar theoretisch möglich, aber nicht wahrscheinlich. Regieren kann nun einmal nur der, dem es gelingt, eine Mehrheit im Parlament zu organisieren. Fünf Euro ins Phrasenschwein. Die SPD hat nun verschiedene Optionen, die neoliberale Politik fortzusetzen.

Am wahrscheinlichsten sehen viele ein rot-rot-grünes Bündnis. Es hätte mit 92 Sitzen im Abgeordnetenhaus eine komfortable Mehrheit. Möglich wäre aber auch die sogenannte Deutschlandkoalition (rot-schwarz-gelb), die mit 81 Sitzen genau die absolute Mehrheit treffen würde. Für die Ampel reicht es hingegen nicht, dafür aber für eine Koalition aus SPD, CDU und Grünen (96 Sitze). So etwas gibt es ja in Sachsen-Anhalt bereits, wird aber für Berlin nicht diskutiert. Rechnerisch möglich wären auch andere Mehrheiten unter anderem mit der AfD, doch weder die, noch die anderen Fraktionen streben das an.

Gewonnen hat vor allem die Demokratie. Denn mehr Menschen sind zur Wahl gegangen und haben mit ihrem Votum, was noch viel besser ist, die Bildung einer Großen Koalition unmöglich gemacht. Das heißt nun nicht, dass sich jetzt inhaltlich etwas ändern wird. Denn neoliberale Politik wird ja auch in anderen Konstellationen aus dem bekannten „Sachzwang“ heraus umgesetzt. Sollte es auf ein rot-rot-grünes Bündnis hinauslaufen, das die einen als größtes Unglück, das es zu verhindern gilt, betrachten und die anderen als ein Aufbruchsignal verstehen, das auch einem politischen Wechsel im Bund vorsteht, hat die SPD vorsorglich schon mal durchblicken lassen, welchen Flügel innerhalb der Linken sie gerne zum Partner machen möchte. Damit ist die nächste Enttäuschung bereits vorprogrammiert.

Ob Berlin also tatsächlich nach links gerutscht ist, wie viele Kommentatoren meinen, ist mehr als fraglich. Nur weil eine linke Mehrheit auf dem Papier vorhanden ist, heißt das noch lange nicht, dass auch eine linke Politik am Ende dabei herauskommt oder wie die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, träumt, „Eine linke Gesellschaft, die alle von Armut befreit“, möglich wird. Als die Linke in Berlin unter Wowereit mitregierte, trug sie Privatisierungen wie auch einen Sparkurs mit. Sie hat also schon einmal bewiesen, dass eine linke Mehrheit nicht zwangsläufig zu einem Ende der neoliberalen Politik führt.

SPD und Grüne streiten lieber um den freien Platz an der Seite der Union

Im Bund reicht es nach Umfragen ohnehin nicht mehr für eine linke Mehrheit, obwohl diese in der laufenden Legislaturperiode noch immer ungenutzt im Parlament brach liegt. Wäre es SPD, Grünen und Linken also ernst mit einem Politikwechsel und ihrer Kritik an Angela Merkel, könnten sie schon morgen einen neuen Kanzler/In wählen und die verbliebene Zeit bis zur Bundestagswahl nutzen, um zu zeigen, was eine linke Mehrheit bewegen kann. Doch darum geht es offenkundig nicht. SPD und Grüne streiten lieber um den freien Platz an der Seite der Union. Derzeit haben die Sozialdemokraten wieder die Nase vorn. Ohne sie kann Merkel nicht weitermachen. Die schwarz-grüne Option, die vor allem Winfried Kretschmann bevorzugt, hat sich wegen der Schwäche der Union zunächst einmal erledigt.

Und so wird das Geeiere mit Angriffen auf die Kanzlerin von Gabriel und Seehofer bis zur Bundestagswahl weitergehen. Am Ende bleiben alle drei samt ihrer Gefolgschaft im Amt. Je lauter zwischen den Treffen im Kanzleramt gepoltert wird, desto harmonischer dürfte es hinter verschlossenen Türen zugehen. Denn sollte die AfD und vielleicht auch die FDP dem nächsten deutschen Bundestag angehören, reicht es immer noch locker für die Fortsetzung der GroKo. Da Schwarz-Grün und Rot-Rot-Grün als Optionen ausscheiden, wäre die GroKo für alle Beteiligten sogar alternativlos und damit das Weiter so leichter bei den eigenen Anhängern zu vermitteln als nach der letzten Wahl.

Mehr zur Wahl in Berlin gibt es hier…

1

Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
  Verwandte Beiträge

Kommentare

  1. notarfuzzi  September 19, 2016

    Das alles hat aber wohl mit einem Regierungsauftrag, soll heißen Wählerauftrag nicht das geringste zu tun. Es gibt zwar keine gesetzliche Untergrenze für den Irrsinn, der momentan zu sehen und von Ihnen auch anschaulich dokumentiert worden ist, nichtsdestotrotz ist ein Regieren ohne repräsentative Mehrheiten undemokratisch!