Man müsse die Ängste der Menschen ernst nehmen und die richtigen Lehren aus dem Ergebnis ziehen, haben sie nach der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern gesagt. Doch zwei Tage später stellt die schwarze Null im Bundestag fest:
„Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir leben in widersprüchlichen Zeiten. Es geht uns in Deutschland gut; das ist den Menschen auch bewusst. Wirtschaftlich geht es uns so gut wie nie zuvor.“
Es waren die Eingangsworte zur Haushaltsrede, die Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble am gestrigen Dienstag hielt, und sie waren bewusst gewählt. Es geht schließlich darum, bloß keinen Zweifel am Mantra einer „wachstumsorientierten Konsolidierungspolitik™“ aufkommen zu lassen. Das neoliberale Dogma vom Sparen, das auf wundersame Weise zum Wachstum führt, diesen irrigen Eindruck versucht die Bundesregierung weiterhin zu erzeugen. Der Haushalt ohne neue Schulden, soll es beweisen.
Uns geht es doch so gut wie nie, lautet die Botschaft, mit der sich auch die anderen Fraktionen durchaus anfreunden konnten. Offensichtlich will man die AfD noch stärker machen, müsste man deshalb schlussfolgern. Denn gut geht es den Menschen schon lange nicht mehr. Eine tiefe Spaltung zwischen arm und reich durchzieht das Land. Absehbare Altersarmut, steigende Mieten bei immer weniger Lohn, prekäre Beschäftigung und mehr Zuzahlung bei der Krankenkasse. Die Aussichten sind düster. Gesamtgesellschaftlich bröckelt sogar die Substanz. Straßen, Schulen, Schienen. Überall fällt das jahrelange Flickwerk ab und der Sanierungsbedarf immer deutlicher auf.
Das wird wieder teuer, stöhnen die Kommunen. Oder. Wie sollen wir das alles bezahlen? Können wir vielleicht ein Bad schließen, um Personal- und Reparaturkosten zu sparen oder können wir irgendwo höhere Gebühren verlangen? So eine Schwarze Null ist in ihrer Wirkung schon toll. Da spart der Finanzminister seit 2008 rund 100 Milliarden Euro an Zinskosten ein, investiert aber kaum in den Kapitalstock des Landes. Weil: Uns geht es ja allen gut. Damit noch mehr Geld eingespart werden kann, verunsichert der Minister ab und zu die Finanzmärkte mit Äußerungen über die Hausaufgaben europäischer Partner. Ergebnis: Die Zinsen fallen weiter und noch mehr Kapital will in die Bundesrepublik, zuletzt sogar mit Bonuszahlungen.
Statt Wachstum: Strukturreformen und Schuldentragfähigkeit
Nachhaltig ist das alles nicht, was auch der G20-Gipfel in China erneut feststellte. Noch immer ist die lahmende Weltwirtschaft und die Verständigung auf ein Programm zur Stimulierung der Konjunktur das zentrale Problem. Aber eigentlich auch nicht. Denn es herrscht große Einigkeit bei den Partnern vor, dass ein wachstumsfreundlichereres Klima vor allem durch mehr öffentliche Ausgaben und Investitionen geschaffen werden müsse. Nur Deutschland und seine Schwarze Null sträubt sich beharrlich dagegen und ließ in die Abschlusserklärung deshalb einfügen:
Wir betonen, dass unsere fiskalischen Strategien für die Unterstützung unserer gemeinsamen Wachstumsziele ebenso wichtig sind, und unterstreichen dabei die zentrale Rolle von Strukturreformen. Wir nutzen die Fiskalpolitik auf flexible Art und Weise und gestalten Steuerpolitik und öffentliche Ausgaben wachstumsfreundlicher, auch indem wir qualitativ hochwertigen Investitionen Priorität einräumen, während wir gleichzeitig die Widerstandsfähigkeit stärken und sicherstellen, dass der Schuldenstand im Verhältnis zum BIP auf einen tragfähigen Pfad gelangt.
Strukturreformen und Schuldentragfähigkeit. Das bekannte Begriffspaar aus dem Schreckensrepertoire des deutschen Finanzministers. Es sind klar formulierte Vorbehalte, die eine aktivere Rolle des Staates verhindern sollen. Er habe lediglich Anreize zu schaffen, für private Investoren etwa und sich ansonsten herauszuhalten oder noch besser im Rahmen öffentlich-privater Partnerschaften Risikoaufschläge und Rendite des Investors zu zahlen. Auf lange Sicht natürlich, damit nicht sofort auffällt, das eine Verschuldung der öffentlichen Hand doch viel günstiger zu haben gewesen wäre.
Um diese Politik abzusichern, haben GroKos die Schuldenbremse fein säuberlich ins Grundgesetz wie auch in die Verfassungen der Länder geschrieben. Damit auch in Zukunft jeder Abgeordnete wie verantwortliche Minister sagen kann, ihm seien leider die Hände gebunden. Und so steigt das Vermögen der wenigen wie auch die Verunsicherung der vielen, die zudem in eine Auseinandersetzung mit sich selbst getrieben werden. Ein bisschen Steuersenkung soll es dafür als Ausgleich nun geben, um davon abzulenken, dass vernünftige wie einträgliche Erbschafts- und Vermögenssteuerregelungen wie auch eine Finanztransaktionssteuer immer noch fehlen.
Die Bundesregierung setzt damit weiterhin auf Umverteilung von unten nach oben, tut aber so, als ginge es allen gut dabei. Und weil es allen per Regierungsdefinition gut geht, dürfen sie demnächst auch bis 69 arbeiten, obwohl es die meisten nicht einmal bis 65 schaffen oder gar so lange beschäftigt werden. Aber wie es im Kommuniqué der Staats- und Regierungschefs der G20 schon heißt, müssen sogenannte Strukturreformen nun mal zwingend sein, wie albern und abwegig sie auch sein mögen.
SEP
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.