Und wieder sendet die Tagesschau eine falsche Rekordmeldung. Das Sozialbudget 2015 beläuft sich auf über 888 Milliarden Euro. Das sei so hoch wie noch nie. Andere Medien übernehmen die Sprachregelung vom Rekordniveau, die ursprünglich die Bild-Zeitung in die Welt gesetzt hatte. Das macht das Blatt übrigens jedes Jahr. Grundlage ist ein entsprechender Bericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS). Wer da aber hinein schaut, wird schnell feststellen, dass es keinen Rekord gibt.
Gleich auf Seite 8 ist die Tabelle, die die Entwicklung des Sozialbudgets von 1960 bis heute aufzeigt. Erste Feststellung: Die absoluten Zahlen sind beinahe jedes Jahr gestiegen, haben also immer, wenn man so will, einen Rekordstand erreicht. Dass die Zahlen zunehmen, ist also überhaupt nicht ungewöhnlich, sondern die Regel und damit total normal. Die Schlagzeile Rekordniveau ist demnach mindestens irreführend, genau wie die Schlagzeile von den Rekordsteuereinnahmen, die es auch jedes Jahr aufs neue gibt.
Entscheidend ist die Sozialleistungsquote in der dritten Spalte. Sie zeigt die absoluten Zahlen in Relation zum Bruttoinlandsprodukt an. Mit 29,4 Prozent ist die Quote aber nur leicht gestiegen und liegt auch nicht auf Rekordhöhe. Im Jahr 2003 und 2010 lag die Quote bei 29,8 Prozent im Krisenjahr 2009 bei über 30 Prozent. Allerdings muss beachtet werden, dass die Berechnungsgrundlage 2009 geändert worden ist, also ein Vergleich der Quoten vor mit denen nach 2009 nicht statthaft ist, wie das BMAS selber schreibt.
Schaut man weiter in die Statistik ab Seite 10 zum Beispiel, werden die Daten noch weiter differenziert. Betrachtet man die Sozialversicherung allein, also Renten-, Kranken-, Arbeitslosen-, Unfall- und Pflegeversicherung, ist deren Anteil am Gesamtbudget sogar weiter gesunken.
Laut den Medienberichten sei nun besonders auffällig, dass die Ausgaben der Pflegeversicherung erstmals an denen der Arbeitslosenversicherung vorbei gezogen sind. Viele deuten das als Ausdruck des demografischen Wandels. Dabei zeigen die Zahlen etwas anderes. Mit der Umsetzung der Agenda 2010 sind die Ausgaben für die Arbeitslosenversicherung drastisch gesunken und das liegt nicht daran, weil immer mehr Menschen in Jobs sind. Die Politik hat Kürzungen immer wieder angeordnet, vor allem bei den Hilfen für Langzeitarbeitslose. Das ist übrigens rekordverdächtig.
JUN
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.