Sozialbudget: Jedes Jahr eine falsche Rekordmeldung

Geschrieben von: am 30. Jun 2016 um 15:54

Quelle: Tagesschau

Quelle: Tagesschau

Und wieder sendet die Tagesschau eine falsche Rekordmeldung. Das Sozialbudget 2015 beläuft sich auf über 888 Milliarden Euro. Das sei so hoch wie noch nie. Andere Medien übernehmen die Sprachregelung vom Rekordniveau, die ursprünglich die Bild-Zeitung in die Welt gesetzt hatte. Das macht das Blatt übrigens jedes Jahr. Grundlage ist ein entsprechender Bericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS). Wer da aber hinein schaut, wird schnell feststellen, dass es keinen Rekord gibt.

Gleich auf Seite 8 ist die Tabelle, die die Entwicklung des Sozialbudgets von 1960 bis heute aufzeigt. Erste Feststellung: Die absoluten Zahlen sind beinahe jedes Jahr gestiegen, haben also immer, wenn man so will, einen Rekordstand erreicht. Dass die Zahlen zunehmen, ist also überhaupt nicht ungewöhnlich, sondern die Regel und damit total normal. Die Schlagzeile Rekordniveau ist demnach mindestens irreführend, genau wie die Schlagzeile von den Rekordsteuereinnahmen, die es auch jedes Jahr aufs neue gibt.

Entscheidend ist die Sozialleistungsquote in der dritten Spalte. Sie zeigt die absoluten Zahlen in Relation zum Bruttoinlandsprodukt an. Mit 29,4 Prozent ist die Quote aber nur leicht gestiegen und liegt auch nicht auf Rekordhöhe. Im Jahr 2003 und 2010 lag die Quote bei 29,8 Prozent im Krisenjahr 2009 bei über 30 Prozent. Allerdings muss beachtet werden, dass die Berechnungsgrundlage 2009 geändert worden ist, also ein Vergleich der Quoten vor mit denen nach 2009 nicht statthaft ist, wie das BMAS selber schreibt.

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Schaut man weiter in die Statistik ab Seite 10 zum Beispiel, werden die Daten noch weiter differenziert. Betrachtet man die Sozialversicherung allein, also Renten-, Kranken-, Arbeitslosen-, Unfall- und Pflegeversicherung, ist deren Anteil am Gesamtbudget sogar weiter gesunken.

Quelle: Sozialbudget

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Laut den Medienberichten sei nun besonders auffällig, dass die Ausgaben der Pflegeversicherung erstmals an denen der Arbeitslosenversicherung vorbei gezogen sind. Viele deuten das als Ausdruck des demografischen Wandels. Dabei zeigen die Zahlen etwas anderes. Mit der Umsetzung der Agenda 2010 sind die Ausgaben für die Arbeitslosenversicherung drastisch gesunken und das liegt nicht daran, weil immer mehr Menschen in Jobs sind. Die Politik hat Kürzungen immer wieder angeordnet, vor allem bei den Hilfen für Langzeitarbeitslose. Das ist übrigens rekordverdächtig.

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. asisi1  Juli 1, 2016

    und schon wieder läuft die propagandaschau von unseren renten. sie sind noch nie so erhöht worden, in den letzten 20 jahren, wie zum 1.7.2016.
    hierbei wird nicht erwäht, dass die renten mittlerweile auf ca. 50% runtergefahren worden sind und bis 2030 nur noch rund 42% vom netto ausmachen werden.
    außerdem werden renten mittlerweile besteuert , krankenkassenbeiträge und pflegeversicherungsbeiträge werden abgezogen.auch kommen noch rezeptgebühren und medikamente hinzu die nicht von der krankenkasse bezahlt werden.
    wer jetzt noch rumposaunt, dass es eine erhöhung ist, ist nicht mehr zu retten.

  2. Boandlgramer  Juli 1, 2016

    Das Kernproblem ist m.M.n., dass sie ungestraft Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung als Sozialausgaben deklarieren dürfen. Die sind allesamt (bis auf die Rente..) so austariert, dass sie nicht mehr defizitär arbeiten – also vollständig von den „Versicherungsprämien“ getragen werden – also Versicjherungsleistungen.

    Die Propaganda impliziert stets, dass Sozialleistungen so eine Art Geschenke sind, deren Ausreichung stets begrenzt werden müsse. Dabei sind die bezahlte Leistungen, deren Höhe von mehreren Faktoren abhängig sind – zu denen Wohlfahrt aber sicher nicht gehört.

    Sozialleistungen sind Kindergeld/-freibeträge, Ehegattensplitting, SGBII und diverse andere Töpfe… aber die machen in der Summe, wenn ich mich recht erinnere, kaum 100 Milliarden Euro aus – also 5% des BIP, rund ein Viertel des Bundehaushalts (wobei das auch wieder unredlich wäre, weil diese Leistungen ja zu einem guten Teil von den Kommunen erbracht werden und die ja eigene Haushalte haben…).

    Wie man’s dreht und wendet: Die Sozialleistungen sind ein Propagandainstrument. Das Ziel ist die gezielte Verarmung weiter Teile der Bevölkerung. Punkt.