In der Brexit Diskussion zeichnet sich das bekannte zähe EU-Ballgeschiebe ab. Keiner der Beteiligten will das Spielgerät haben, sondern verortet das Leder jeweils beim Gegner. Der müsse sich wiederum bewegen und einen Pass anbringen. Doch genau diese Bewegung wird immer nur angetäuscht. Doch manchmal löst sich urplötzlich ein Fehlschuss aus der Raute im Mittelfeld. Zum Glück sind helfende Wasserträger und inkompetente Medien rasch zur Stelle.
Das Votum der Briten vom vergangenen Donnerstag hat auf der einen Seite eine plötzliche Beschleunigung und auf der anderen Seite ein Bremsmanöver ausgelöst. Während die EU-Kommission sofort Nägel mit Köpfen machen und Kommissionspräsident Juncker das Austrittsgesuch umgehend auf seinem Tisch haben wollte, stellte die britische Regierung, die zuvor aufs Schärfste mit den EU-Gegnern gestritten hatte, in seltener Eintracht mit ebendiesen klar: „Wir haben Zeit.“
Damit ist das Ergebnis des heute und morgen stattfindenden EU-Gipfels ebenfalls klar. Es gibt keins. Großbritannien wird den Austritt nach Artikel 50 nicht erklären. Damit dürfte der Auftakt zum jahrelangen Rosenkrieg besiegelt sein. Der Beton ist angerührt, die Anwälte stehen bereit. Auf der Insel hat David Cameron die seiner Meinung nach „besten und klügsten Köpfe“ schon zusammengetrommelt, um die Abwehr zu stabilisieren. London setzt klar auf Konter und kann hoffen. Denn auf europäischer Ebene gibt es wieder einmal die üblichen Abstimmungsprobleme im Spielaufbau.
So grätschte Angela Merkel ihrem Außenstürmer Frank-Walter Steinmeier unbedacht in die Parade. Der hatte sich mit den Kollegen der Gründerstaaten bereits per Kurzpassspiel auf eine gemeinsame Linie verständigt, als die Mannschaftsführerin plötzlich das Tempo aus der Partie nahm, um zu signalisieren. Ich habe es nicht so eilig. Das wiederum verärgerte die marktkonforme Demokratie, die am Montag umgehend von der komfortablen Tribüne/Ehrenloge nach unten an den Spielfeldrand stürzte, um sich zu beschweren. Natürlich weitgehend unbemerkt von den Medien, änderte die Kanzlerin daraufhin ihre Meinung.
Um ihren Fehlpass nun zu kaschieren, bat sie François Hollande, der für jeden deutschen Missgriff zu haben ist und, Überraschung, Matteo Renzi an ihre Seite. Letzterer dient natürlich nur als impulsiv schmierige Staffage, um Merkel in der Schaltzentrale des Mittelfeldes gut aussehen zu lassen. Die Medien kapierten die Rauten-Taktik der „Dreisten Drei“ natürlich nicht und rätselten, warum denn nun der Italiener plötzlich in der Aufstellung stand. Am Witzigsten war dabei die Erklärung der ARD Tagesthemen in der Halbzeitpause des Brexit-Spiels England gegen Island. Merkel wollte sich halt bewusst mit einem Südeuropäer absprechen, hieß es. Die Kanzlerin mag gedacht haben, drei sind besser als zwei, so Reporterin Tina Hassel.
Wow, diese politische Halbzeitanalyse ist niederschmetternd. Wir wünschen uns den vorzeitigen Abpfiff herbei. Doch es sieht nach Stillstand und Verlängerung aus.
JUN
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.