Rücktritt Nummer drei

Geschrieben von: am 05. Jun 2016 um 13:19

Er will nicht mehr. Joachim Gauck verzichtet nach Informationen des Boulevards auf eine zweite Amtszeit als Bundespräsident. Diese Entscheidung, so sie denn zutreffend sein sollte, käme dann einem weiteren Rücktritt eines Staatsoberhauptes gleich.

Denn die großen Koalitionäre in Berlin hatten mit einer erneuten Kandidatur des ehemaligen Pastors gerechnet, aber nicht weil sie ihn als ersten Mann im Staate unbedingt behalten wollen, sondern weil er das geringste Übel im beginnenden Bundestagswahlkampf darstellt.

Nichts mehr zu sagen

Vermutlich hat Gauck die lustlosen Unterstützungsbekunden der drei Parteichefs gespürt und sich gesagt, ihr könnt mich mal, die Freiheit nehme ich mir. Es könnte aber auch sein, dass der Einthemen-Präsident mit seinem Latein schlichtweg am Ende ist. Der Mann des Wortes hat einfach nichts mehr zu sagen. Er ist unfähig einen geistreichen Gedanken zu einer Wirklichkeit zu formulieren, die immer mehr von Kriegen, Abschottung und Ausgrenzung geprägt ist.

„Freiheit als Bedingung von Gerechtigkeit und Gerechtigkeit als Bedingung dafür, Freiheit und Selbstverwirklichung erlebbar zu machen. […]

Und wir finden dieses Gemeinsame in diesem unseren Staat in Europa, in dem wir in Freiheit, Frieden und in Solidarität miteinander leben wollen.“

Das sagte Gauck zu Beginn seiner Präsidentschaft. Seitdem fiel dem angeblichen Bürgerpräsidenden kaum noch etwas Neues ein. Freiheit hier, Freiheit da, doch die Welt, sie lief an ihm vorbei. So hat er keine Ahnung von Ökonomie und plappert deshalb wie viele andere auch, den neoliberalen Zeitgeist einfach nach. Zuletzt empfahl er dem portugiesischen Präsidenten Marcelo Rebelo de Sousa bei dessen Besuch in Berlin, den Kurs der Reformen fortzusetzen.

Zuvor hatte sich Gauck noch über einen Mangel an Solidarität in Europa beklagt, wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen geht. In Amerika ist er auch gewesen, um nach den Spionageenthüllungen für den Aufbau neuen Vertrauens zu werben. Er tadelte aber nicht die Amerikaner für ihre Verletzung von Gesetzen anderer Staaten, sondern vielmehr die Kritiker aus Deutschland, die Dinge wie das Recht auf Waffenbesitz, die Todesstrafe, Folter in Guantanamo (Gauck sagt: Verhörpraktiken), Kriege (Gauck sagt: militärische Interventionen) und die Spionage der NSA dazu nutzen würden, falsche Schlüsse zu ziehen.

Wenig Verständnis

Gauck hat wenig Verständnis für die erregten und emotional aufgewühlten Deutschen, die seiner Meinung nach zur sachlichen Kritik nicht fähig sind. Schon vor seinem Amtsantritt nannte er Protestbewegungen wie Occupy „unsäglich albern“ oder die Montagsdemos gegen Hartz IV „töricht“ und „geschichtsvergessen“. Der bürgerlichen Mitte, die gegen Stuttgart 21 demonstrierte, hielt er vor, eine abscheuliche Protestkultur zu entwickeln, die nur aufflamme, wenn es um den eigenen Vorgarten gehe. Die deutsche Neigung zu Hysterie und Angst bezeichnete Gauck als „abscheulich“.

Großes Schweigen herrschte nach den Snowden-Enthüllungen. Allenfalls beunruhigend fand er die immer größer werdende Dimension des Abhörskandals, während er die Aussagen des Whistleblowers als „puren Verrat“ denunzierte. Ein Herz für Banker hat er auch, nicht aber für die Verbraucher, die sich seiner Meinung nach nur richtig informieren müssten. Beim Umgang mit Geld hätten die Deutschen halt Nachholbedarf, so Gauck. Schwer zu verstehen fand er auch die Wahl des ersten linken Ministerpräsidenten in Thüringen.

Außerdem teilte er bei seiner Danziger Rede anlässlich des deutschen Angriffs auf Polen vor 75 Jahren vor allem gegen Russland aus. Die Geschichte lehre uns, dass territoriale Zugeständnisse den Appetit von Aggressoren oft nur vergrößern, wetterte das deutsche Staatsoberhaupt, das gleichzeitig mehr internationale Verantwortung von Deutschland verlangte und mehr militärisches Engagement für richtig hält. Im Kampf für Menschenrechte oder für das Überleben unschuldiger Menschen sei es „manchmal erforderlich, auch zu den Waffen zu greifen“, so der Bundespräsident.

Bedrohter Vorgarten

Inzwischen greifen so ziemlich alle zu den Waffen und versuchen die Menschenrechte in Ländern wie Syrien herbeizubomben, mit dem Ergebnis, dass immer mehr Menschen sich auf den Weg in den Teil der Welt aufmachen, der die Menschenrechte per Verfassung und Grundrechtecharta verspricht. Doch dazu meint Gauck dann wieder, die Sorgen und Ängste der Bürger hierzulande ernst nehmen zu müssen und eine Diskussion darüber zu führen, wie viel Hilfsbereitschaft die Deutschen sich leisten können.

Ist diese Haltung angesichts der bisher getätigten Äußerungen über Verantwortung und Jammerkultur nicht unsäglich albern, törricht und geschichtsvergessen? Doch hier geht es ja plötzlich um den eigenen Vorgarten, in dem der vor sich hin wuchernde Neoliberalismus Gefahr läuft, plötzlich kaputt getrampelt zu werden. Gauck, der als unbequemer Präsident bezeichnet werden will, ist ein gescheitertes Staatsoberhaupt, das mit pathetischem Gequatsche über seine eigene Widersprüchlichkeit hinweg zu täuschen versuchte.

Nun ist offenbar Schluss, obwohl über 70 Prozent der Bundesbürger Gauck gern behalten würden. Allerdings haben die keine Stimme, wenn am 12. Februar 2017 die Bundesversammlung zur Wahl eines neuen Staatsoberhauptes zusammentritt. Deshalb läuft bereits munter die Kandidaten-Lotterie. In der Trommel werden die Namen Lammert, Steinmeier, von der Leyen und Schäuble durcheinander gewirbelt. Doch einer fehlt. Christian Wulff, der Gauck im vergangenen Jahr als offizieller Repräsentant Deutschlands bei der Trauerfeier des verstorbenen saudischen Königs Abdullah ibn Abd al-Aziz in Riad vertrat.

Von allen Vorwürfen freigesprochen, müsste er eigentlich seinen Dienst als Staatsoberhaupt wieder aufnehmen, anstatt als Vortragsreisender durch die Lande zu ziehen und dem Steuerzahler mit Ehrensold auf der Tasche zu liegen.

 

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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