Die SPD will wieder Schutzmacht der kleinen Leute sein. Und darauf kommt der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel nur mit Hilfe der CSU. Deren Chef, Horst Seehofer, hatte nämlich zur Verblüffung aller Ende letzter Woche festgestellt, dass die derzeitige Rentenregelung schnurstracks in die Altersarmut führt. Doch neu ist diese Erkenntnis überhaupt nicht. Zumindest für diejenigen nicht, die a) rechnen und b) lesen und zuhören können.
Union freut sich weiter über Wahlkampfhilfe
Dass die Menschen ab dem Jahr 2030 nur noch mit 43 Prozent vom letzten Netto in Rente gehen, ist seit 2004 bekannt, dem Jahr, als SPD und Grüne zur großen Rentenreform ansetzten, die untrennbar mit dem Namen Walter Riester verknüpft ist. Der ist zum Glück ein Sozialdemokrat, was es für die Konservativen einfacher macht, sich jetzt – rechtzeitig zum Ende der Legislaturperiode – gegen die kapitalgedeckte Altersvorsorge und für die gesetzliche Rente in Stellung zu bringen.
Das ist auch kein Problem, da sich ja die SPD noch heute dafür feiert, die Reformen durchgesetzt zu haben. Dazu zählt neben Hartz IV, also der Armut im Erwerbsleben, auch die Riester-Rente, die Armut im Alter. Man kann den Sozialdemokraten daher kaum vorwerfen, keine konsequente Politik betrieben zu haben. Applaus gibt es aber nicht vom kleinen Mann, sondern nur noch von der CDU Bundeskanzlerin, die nicht müde wird zu betonen, welch großartige Leistung ihr Vorgänger im Amt mit der Agenda 2010 vollbracht hat.
Dabei geht es Merkel weniger um die Reformen an sich, als vielmehr um eine Art von Dank für die kolossale Wahlkampfhilfe, die die SPD bis heute für die Union leistet. Schon als Müntefering und Schröder im Jahr 2005 beschlossen, freiwillig die eigene Regierungszeit abzukürzen, griffen sie der CDU-Chefin unter die Arme. Denn damals reichte es nur knapp zur CDU-Führung vor der SPD. Das war eine wichtige Lehre für die neue Kanzlerin, die die CDU zwei Jahre zuvor beim Leipziger Parteitag (2003) auf einen noch radikaleren Kurs in der Sozialpolitik eingeschworen hatte.
Merkel begriff neben dem besoffenen Schröder in der Elefantenrunde schlagartig, dass es vielleicht doch besser ist, eine Agenda lieber zu loben, als sie selber zu machen. Sie wusste, wenn die Menschen ihre beschissene Lage mit der SPD in Verbindung bringen, hat die CDU gewonnen. Deshalb kann Merkel heute auch immer sagen, Deutschland gehe es gut. Und wer das nicht glaubt und kurz vorm Wutausbruch steht, dem ruft sie schnell noch den Halbsatz hinterher, „dank der mutigen Reformpolitik von Gerhard Schröder.“ Damit weiß dann wieder jeder, bei wem er sich zu bedanken hat.
Schmerzhafte Naivität führt zum Dauerabstieg
Leider merken die Spitzensozialdemokraten bis heute nicht, dass sie sich haben bereitwillig einspannen lassen. Beispielhaft dafür ist noch immer der Auftritt von Frank-Walter Steinmeier vor dem Deutschen Arbeitgebertag 2013. Damals spulte der Architekt der Agenda 2010 die geleistete Reformpolitik mit dem Gehabe eines Managers ab, um den anwesenden Arbeitgebervertretern zu beweisen, wie wichtig die SPD-Führung deren Interessen nimmt. Steinmeier verband sein Selbstlob dann noch mit der Verwunderung darüber, dass viele Arbeitgeber sich dennoch lieber bei der Union verorten würden als bei der SPD.
Soviel Naivität ist einfach schmerzhaft. Doch ein Lerneffekt bleibt aus. Noch immer sind Steinmeier und Co im Amt. Mittlerweile wundern sie sich nicht mal mehr über ihr schlechtes Abschneiden. Thomas Oppermann bestand nach dem Debakel bei den Landtagswahlen in der Sendung Maybrit Illner darauf, dass die SPD selbstverständlich noch eine Volkspartei sei, nur mit echten Problemen in Sachsen, in Thüringen, in Sachsen-Anhalt und jetzt auch in Baden-Württemberg und ein bisschen in Bayern. Gelächter im Studio. Für Sigmar Gabriel stand nach der Wahl sogar fest, dass die SPD an ihrem Kurs nichts ändern müsse.
Und nun muss er doch etwas ändern, weil Umfragewerte fallen und Horst Seehofer aus dem fernen Bayern die Altersarmut dramatisch heraufziehen sieht, obwohl das schon lange bekannt ist, aber niemand, einschließlich der SPD, ernsthaft darüber diskutieren wollte. Sicher gab es die Debatte um die Rente mit 63, die aber jenen Gering- und Normalverdienern mit gebrochenen Erwerbsbiografien wenig nutzt, die nach 2030 in den Ruhestand gehen wollen. Nun wird es spannend sein zu sehen – oder auch nicht -, wie die SPD eine Abkehr von ihrer Riester-Rente vollzieht.
Vermutlich wird es die gar nicht geben, wie auch den längst überfälligen Rücktritt der alten Agenda-Garde nicht. Angesichts der noch mieseren Umfragewerte übt sich Sigmar Gabriel lieber in einem schrägen Vergleich. „Das ist wie im Fußball. Bei abstiegsbedrohten Vereinen wird immer über den Trainer diskutiert. Das ist nichts Unehrenhaftes.“ Das stimmt mit Blick auf die SPD nur nicht. Da hat nach über zehn Jahren Abstieg bislang noch kein Spitzengenosse die Verantwortung übernommen und wenigstens den Rücktritt erwogen.
APR
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.