In meiner Bewertung zu den drei Landtagswahlen bin ich ja schon auf das Ergebnis der AfD und den Umstand eingegangen, dass hier viele besorgte Menschen eine Partei gewählt haben, die erstens gar nicht regieren will und zweitens auch nicht die Interessen der eigenen Wähler vertritt, sondern Ängste bestätigt und verstärkt. Glaubt man den Angaben der Wahlforscher, so haben vor allem Arbeiter und Arbeitslose die AfD gewählt. Die Gründe für die Entscheidung, bei der AfD das Kreuz zu machen, sind zum einen Enttäuschung über andere Parteien, was mehr als verständlich ist, die Flüchtlingskrise, aber auch das Thema soziale Gerechtigkeit. Und das wiederum ist so verwunderlich.
Hoher Preis für ein wenig Gehör
Wie der aktuelle Programmentwurf der AfD zeigt (die Redaktion von correctiv hat dazu einen Beitrag gemacht), kommt die „klassische“ Wählerklientel eher schlecht als recht davon. Die Führungsfiguren der AfD selbst gaben nach den Wahlen an, eine „konservative, freiheitliche, bürgerliche und weltoffene patriotische Kraft“ zu sein. Der baden-württembergische Landeschef fügte auf der gestrigen Bundespressekonferenz noch an: „Man darf uns mit Fug und Recht rechtskonservativ oder rechtsliberal nennen.“ Gerade das müsste Arbeiter und Arbeitslose eigentlich alarmieren. Denn es wäre neu, dass eine Partei, die sich einem rechtskonservativen Milieu zurechnet besonders viel übrig hätte für die sozialen und wirtschaftlichen Interessen von Arbeitern und Arbeitslosen.
Was können die also von der AfD erwarten? Zunächst einmal Opposition. Denn nur dazu ist die Partei im Augenblick bereit, da natürlich auch keine anderen Fraktionen mit ihr zusammenarbeiten wollen. In fünf Landesparlamenten kann man bereits beobachten, was die AfD unter Opposition versteht. Im Ergebnis haben sich die Fraktionen entweder selbst zerlegt oder fallen durch mangelndes parlamentarisches Engagement auf. Dort wo sie aktiver ist, will die AfD zum Beispiel wissen, ob es Informationen darüber gebe, wie viele Homo-, Bi- und Transsexuelle im Freistaat Thüringen leben. Wichtiger als dieses befremdliche Vorgehen ist aber etwas anderes.
Der Entwurf des Grundsatzprogramms beinhaltet eine Verschärfung neoliberalen Gedankengutes. Weniger Sozialstaat, mehr Eigenverantwortung und Privatisierung sowie ein Schutz der Vermögenden. Was hat der Arbeiter oder der Arbeitslose davon? In Sachen Hartz IV plädieren AfD Politiker wie Lydia Funke sogar für eine weitere Absenkung des Existenzminimums, „um die Menschen wieder zu fordern, dass sie in Arbeit gehen.“ Da hätten die Arbeiter und Arbeitslosen auch getrost SPD wählen können, die diese Begründung seit Jahren verwendet, um ihren davongelaufenen Wählern klar zu machen, welch wichtige Reform ihnen da gelungen ist.
Konkret fordert die AfD in ihrem Grundsatzprogramm außerdem ein späteres Renteneinstiegsalter, die Streichung des Arbeitgeberanteils beim Arbeitslosengeld I, die Privatisierung der Arbeitslosenversicherung, eine Arbeitspflicht für Langzeitarbeitslose, die Abschaffung der gesetzlichen Unfallversicherung, die Abschaffung der Gewerbe- und Erbschaftssteuer und ein Verbot, Rettungsprogramme für überschuldete Kommunen und Länder aufzulegen. Ob die Arbeiter und Arbeitslosen bereit sind, diesen hohen Preis zu zahlen, weil sie im Gegenzug Gehör und Bestätigung finden, wenn es um ihre Ängste vor einer ungedrosselten Zuwanderung geht?
Die Krise ist Bedingung
Die Flüchtlingspolitik ist das zentrale Thema der AfD. Die Angst vor einer Überfremdung oder vor dem Islam bewegt viele Menschen. Diese Ängste hat die AfD aufgenommen und verstärkt sie mit kruden Thesen, die sie außerhalb des Parlaments unter anderem auf den wöchentlich stattfindenden Demonstrationen besorgter Bürger vorträgt, die den Untergang des christlichen Abendlandes fürchten, obwohl sie selbst mehrheitlich gar keine Christen sind. Der Erfolg der AfD basiert im Grunde darauf, dass es überhaupt eine Flüchtlingskrise gibt. Mit Blick auf kommende Wahlen kann die Partei daher auch kein Interesse an einer Entspannung oder Beruhigung der Lage haben.
Sie braucht die Krise für ihren Erfolg. Nach überstandenem innerparteilichen Machtkampf Mitte 2015 kam der Partei die sich verschärfende Flüchtlingslage gerade recht. Im vorliegenden Programmentwurf taucht dann auch die Forderung auf, das Grundrecht auf Asyl abzuschaffen („Die AfD will das individuelle Asylgrundrecht abschaffen und an seine Stelle die grundgesetzliche Gewährleistung eines Asylgesetzes (institutionelle Garantie) setzen“). Nur warum, wenn alles auf eine Einladung respektive einen Vertragsbruch zurückzuführen ist („Das Dublin-Abkommen und die europäische Asylpolitik sind wegen des Vertragsbruchs der südlichen EU-Länder gescheitert“)?
Wieso sollte man Grundrechte abschaffen oder einschränken? Weil sie es sind, die auf Flüchtlinge anziehend wirken. Denn es sind Grundrechte und Werte, mit denen die Europäer und der Westen in der von ihren Waffen in Schutt und Asche gelegten Welt permanent auf Werbetour gehen. Wenn also etwas als Einladung gelten könnte, dann sind es Grundrechte, von denen wir Europäer sagen, dass sie universell für jeden Menschen zu gelten haben. Die Flüchtlinge, die zu uns kommen, nehmen weniger Merkel, als vielmehr Europa und nicht zuletzt auch unsere Lebensweise beim Wort, wenn sie auf der Einlösung dieses Versprechens bestehen.
Und das will die AfD nun ändern und unterscheidet sich in diesem Punkt kaum von der Bundeskanzlerin, die man in der Zwangsjacke ja abführen will. Vor der Flüchtlingskrise bauten Merkel und Schäuble mit Zustimmung der SPD an einem deutschen Europa und nahmen dafür in Kauf, dass die Grundrechte der Europäer im Süden mit Füßen getreten wurden. Es gibt also politische Verwandtschaften mit den etablierten Parteien vor allem bei der Frage, wie eine Gesellschaft organisiert sein muss. In arm und reich. Im Grunde hat die AfD mit ihrem Programmentwurf auf radikalere Art und Weise die bereits bestehende neoliberale Sperr- und Sparpolitik konsequent zu Ende gedacht.
MRZ
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.