Es ist schon erstaunlich, was als demokratisch gilt und was nicht. Da gibt es die demokratischen Parteien und die AfD. Eine komische Unterscheidung, die offenbar nur dazu dient, das ramponierte Image der Verlierer aufzupolieren. Dann gibt es noch einen eindeutigen grünen Wahlgewinner, der, so will es die in den Köpfen festgeschriebene Logik parlamentarischer Gepflogenheiten, die Regierung zu bilden hat. Wenn dann aber einer der Verlierer überlegt, eine Mehrheit mit einem weiteren Verlierer und einer dritten Fraktion zu schmieden, ist das natürlich undemokratisch oder gar eine grobe Missachtung des Wählerwillens. Stimmt nicht, denn Mehrheit ist Mehrheit und nur der regiert, der eine zustande bringt.
Solange niemand die absolute Mehrheit holt, gibt es eben keine Gewinner und Verlierer, sondern Parlamente mit verschiedenen Möglichkeiten einer Zusammenarbeit von Fraktionen, die Mehrheiten organisieren müssen. So ist es auch wieder in den drei Landtagen, die gestern neu gewählt worden sind. Keine Fraktion hat eine parlamentarische Mehrheit und muss sich um ein Bündnis oder Absprachen mit anderen Fraktionen bemühen, um eine Regierung bilden zu können. Das ist eigentlich ganz einfach und auch normal, wenn Demokraten miteinander reden und gucken, was geht.
Nur wird immer schon vorher kategorisch ausgeschlossen oder präferiert, um das Wählerverhalten an der Urne zu beeinflussen. So wurde in den letzten Jahren immer wieder signalisiert, du kannst zwar wählen, was du willst, im Zweifel gibt es aber immer eine Große Koalition, wenn es zur passenden Mehrheit nicht reicht. Das hatte zur Folge, dass aus Mangel an Alternativen die Wahlbeteiligung immer weiter zurückging und sich Große Koalitionen immer als Gewinner fühlen durften. Gestern hat der Souverän diesem scheinbar ewig anmutenden Mechanismus durchbrochen.
Die übliche Farbenlehre funktioniert nicht mehr. Kreativität ist jetzt gefragt. Nur: Wieso sollte ein Kretschmann automatisch Ministerpräsident werden, wenn es mit den Sozialdemokraten allein einfach nicht reicht? Wieso sollte umgekehrt ein Guido Wolf nicht Ministerpräsident werden, wenn er es schafft, eine Mehrheit aus CDU, SPD und FDP zu organisieren? Daran ist nichts undemokratisches. Ob es auch gut für ein Land ist, steht auf einem anderen Blatt. Aber ist denn ein grüner Kretschmann gut für ein Land, der kein Problem damit hat, Spenden der Rüstungslobby anzunehmen?
Was spricht eigentlich gegen eine Koalition aus CDU und Linken in Sachsen-Anhalt? Rein rechnerisch wäre die Mehrheit klar, allein das Vorstellungsvermögen der selbsternannten „demokratischen Mitte“ reicht für so etwas einfach nicht aus. Bleibt wieder nur eine Option, die es unter Ausschluss von links und rechts bisher noch nicht gab. Eine Koalition aus CDU, SPD und Grünen. In Rheinland Pfalz geht natürlich wieder eine Große Koalition im herkömmlichen Sinn, aber wer will das schon? Um eine andere Mehrheit zu schmieden, muss Malu Dreyer eine Ampel schalten.
Warum kommt die AfD in den Überlegungen nicht vor? Nun. Diese Partei hat nach ihren klaren Ergebnissen ebenso deutlich gesagt, Oppositionsarbeit verrichten zu wollen, also für eine Regierungsbeteiligung nicht zur Verfügung zu stehen, was man bereits undemokratisch nennen könnte, wenn diese Strategie nicht auch schon andere gefahren hätten, die sich demokratische Parteien zu nennen pflegen. Insofern: Mehrheit ist Mehrheit. Das Prinzip funktioniert übrigens auch, und das ist das Tolle an der Demokratie, wenn es keine neue Regierung gibt.
Hessen 2008: Knapp ein Jahr lang bestimmte das Parlament, was die geschäftsführende Regierung zu erledigen hatte. Da wurde der Koch mal kurz zum Kellner gemacht und alle Demokraten bescheinigten hinterher, das war gar nicht so schlecht. Dann gab es noch den 15. Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen, der im Jahr 2010 zusammen trat und weder eine schwarz-gelbe noch rot-grüne Mehrheit nach altem Muster bot. Eine Minderheitsregierung gab es deshalb aus SPD und Grünen, die sich knapp zwei Jahre hielt, bis der Haushaltsentwurf der im zweiten Wahlgang gewählten Regierungschefin Hannelore Kraft keine parlamentarische Mehrheit mehr fand. Neuwahlen waren die Folge.
Demokratie bietet immer noch viele Möglichkeiten. Vielleicht springt am Ende ja auch mal eine bessere Politik dabei heraus.
MRZ
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.