Das ist ja ein tolle Geschichte, die sich Herr Schäuble da mit seinen „Experten“ im Finanzministerium ausgedacht hat und die er der Regierung – der Öffentlichkeit natürlich vorab – als Tragfähigkeitsbericht verkaufen will. Demnach könnten im Jahr 2060 nach Berechnungen der „Experten“ im pessimistischen Szenario 119 Milliarden Euro in der Staatskasse fehlen.
Der Mann, der bekannt für seine Erinnerungslücken ist und bis heute nicht weiß, wo 100.000 DM geblieben sind, will genau oder annähernd genau wissen, welches Loch in 44 Jahren in der Staatskasse klafft. Erstaunlich, dass die angeschlossenen Medienhäuser diesen Unsinn auch noch veröffentlichen, obwohl sie eine Regierung vor sich wissen, die mit beständiger Regelmäßigkeit bei den eigenen Wachstumsprognosen und Wirtschaftsberichten Schiffbruch erleidet.
Aber das ist ja noch nicht einmal das Schlimmste. Die Reaktion in den Medien, die sich vom Ministerium bereitwillig einspannen lassen, zeigt, was in Wirklichkeit beabsichtigt ist. Die Warnung vor „Griechischen Verhältnissen“. Auf welchen absurden Füßen das ganze steht, ist dabei vollkommen egal. Die Drohkulisse ist entscheidend und sie funktioniert. Bloß nicht vom eingeschlagenen Kurs abweichen und schon gar nicht den Eindruck entstehen lassen, das Ausgabenwünsche leicht zu erfüllen wären und üppige Spielräume zur Verfügung stünden.
Wer an der Schwarzen Null kratzen möchte, muss also erklären, wie er „Griechische Verhältnisse“ verhindern und die Schuldenbremse einhalten will. Es ist ein perfides Spiel des Finanzministers, das er immer wieder aufführt, um keine Zweifel an seiner Politik und seiner Person aufkommen zu lassen. Vor dem Beginn der letzten Haushaltsberatungen forderte er seine Ressortkollegen schon einmal prophylaktisch dazu auf, 500 Millionen Euro einzusparen, damit Gelder für die Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen ohne zusätzliche Kreditaufnahme bereitgestellt werden können.
Dazu ist es bekanntlich nicht gekommen. Schäuble stellte seinen Haushalt auch ohne „Mini-Sparpaket“ auf. Eine erwartete Rücklage von sechs Milliarden Euro machte es möglich. Im Januar kam dann noch eine Jubelmeldung, dass für das laufende Jahr gar 12 Milliarden Überschuss angepeilt würden. Da könnte man ja aus dem Vollen schöpfen, befürchtete das Finanzministerium, was letztlich zu der besorgten Nachricht im Februar führte: „Haushalt 2017: Schäuble sieht Schuldenbremse in Gefahr.“
Wie das? Plötzlich sei der Spielraum in nur wenigen Tagen kleiner als gedacht. Wer die Schuldenbremse einhalten und die Schwarze Null verteidigen wolle, dürfe keineswegs nach höheren Ausgaben trachten, sondern sich in Bescheidenheit und Demut vor den haushaltspolitischen Realitäten üben. Die Wissenschaft schüttelte hörbar mit dem Kopf und hielt dagegen. Das IMK stellte letzte Woche irritiert fest: „Angebliche Reduzierung nicht nachvollziehbar – Kreditspielraum des Bundes 2017 bei 12 Milliarden Euro“.
Diese Intervention von Makroökonomen konterte Schäuble umgehend mit dem oben erwähnten Horrorszenario unter dem Stichwort „Griechische Verhältnisse“. Dass die Schulden aus dem Ruder laufen könnten, lässt natürlich alle Alarmglocken schrillen. Das ist eine Top-Nachricht. Belege braucht es dafür keine, es genügt die Analyse und das Wort des Ministers, um ein Szenario für glaubwürdig zu halten, das, mit Verstand betrachtet, nur für den Mülleimer taugt.
Mit einem Schlag oder vielmehr mit einem Papier, das bislang keiner zu Gesicht bekommen hat, ist es Schäuble gelungen, eine Diskussion über sinnvolle Ausgabenpolitik wieder einzufangen. Am Mittwoch soll das ominöse Papier den Kabinettskollegen und damit auch der Öffentlichkeit präsentiert werden, vermutlich mit dem Hinweis des Ministers, dass die Öffentlichkeit bereits mit Sorge auf ein mögliches Haushaltsrisiko reagiert habe und daher weiterhin das Fahren auf Sicht zu empfehlen sei.
Bei soviel gezeigter Um- und Vorsicht – obwohl auf Sicht fahren eigentlich bedeutet, nicht zu wissen, wo es langgeht, nur in der Hoffnung irgendwo anzukommen – dürften dann auch die Beliebtheitswerte wieder steigen und Schäuble an Steinmeier vorbeiziehen. Das ist dann für die Wahlforschung und einige besorgte Bürger auch wichtiger als die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Schuldenbremsen, Schwarzen Nullen und schwäbischer Hausfrauenpolitik.
FEB
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.