Es ist Rosenmontag und noch immer gibt es keine Klarheit im Streit um die Einschränkung des Familiennachzugs für minderjährige Flüchtlinge. Die Regelung, von der die SPD-Minister nichts wissen wollen, ist Bestandteil des Asylpaketes II, dem das gleiche Fachpersonal in der Kabinettssitzung am vergangenen Mittwoch noch zustimmte. In Unwissenheit?
Nach einem Wochenende intensiver Ursachenforschung hat sich nun herausgestellt: „Die Aussetzung des Familiennachzugs für Minderjährige wurde vom SPD-geführten Familienministerium registriert. Die Tragweite der Regelung wurde aber nicht erkannt.“ Beruhigend an dieser tollen Darstellung, wer ihr denn glauben mag, ist, dass jemand die Vorlage tatsächlich gelesen hat. Mehr aber auch nicht.
Nimm du ihn, ich hab ihn sicher, lautet ein berühmter Fußballspruch, um eine Situation zu beschreiben, bei der eine Mannschaft meist bei einem Rückpass versagt und der Gegner überraschend in Ballbesitz und danach zum Torerfolg kommt. So ähnlich muss es auch in Berlin abgelaufen sein, als der Entwurf des Asylpaketes II, verabschiedet durch die Koalitionsspitzen, in die sogenannte Ressortabstimmung ging. Eine Ungereimtheit wurde erkannt, aber nicht für wichtig genug erachtet, um noch einmal nachzuhaken.
Das wird schon so stimmen, was da von den Referenten gekommen ist. In der Sache ist der strittige Punkt auch nicht wirklich weltbewegend. Denn von der Einschränkung des Familiennachzugs für minderjährige Flüchtlinge wären nur sehr wenige Jugendliche betroffen. Im Jahr 2015 erhielten 105 Minderjährige subsidiären Schutz, ist in den Medien zu lesen. Eine Lappalie, die sich doch schnell, ohne viel Aufregung lösen ließe. Denn grundsätzlich besteht ja Einigkeit bei der Aussetzung des Familiennachzuges.
Ohne Aufregung geht es aber nicht, besonders dann nicht, wenn der politische Aschermittwoch noch ins Bierzelt steht. Da müssen sich erst einmal zwei Fachminister zusammensetzen und gemeinsam beraten, wie eine Lösung aussehen könnte. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und Justizminister Heiko Maas (SPD) sollen es nun richten. Zumindest Thomas de Maizière scheint geeignet, hat er doch kürzlich erklärt, was unter Interessenausgleich zu verstehen ist.
Die Union hat Interessen und die SPD hat Interessen. Das ist ein wichtiger Punkt. Schon immer gewesen. Um die Sache geht es dabei nur am Rande. Keinesfalls darf der Eindruck entstehen, einer der verschiedenen Partner in der Großen Koalition könne wie ein Verlierer dastehen. Das Familienministerium hat heute trotzdem zugegeben, einen Fehler gemacht zu haben. Natürlich um den großen Vorsitzenden zu schützen, der offenbar gewollt irrlichternd durch diese Regierung stolpert, erst ja, dann nein und dann wieder ja sagt.
Das Sowohl als Auch ist für Sigmar Gabriel ein Kernelement seines politischen Tuns. Das hat er am vergangenen Freitag in einem Gastbeitrag auf Spiegel Online noch einmal betont. „Es wäre gut und wichtig, wenn Politiker, aber auch Journalisten einfach zugeben würden, dass wir alle diese beiden Seelen in unserer Brust tragen und die darauf entstehende Unsicherheit kennen. Auf nicht wenige Bürger unseres Landes würden wir gemeinsam glaubwürdiger wirken.“
Leider wirkt Gabriel überhaupt nicht glaubwürdig, so lange er sich, seiner Partei und der weiter schwindenden Wählerschaft erzählt, die Große Koalition sei kein Fehler gewesen. Die Tatsache, dass sich um das Schicksal von wenigen 100 Flüchtlingen gestritten wird, obwohl eine noch viel größere Gruppe an Migranten das unstrittige Restpaket in voller Härte zu spüren bekommt, zeigt wie entrückt die Sozialdemokratie von ihrem eigenen humanitärem Anspruch ist.
FEB
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.