Das neue Jahr ist schon ein paar Tage alt und erst jetzt verlangt die Kanzlerin eine harte Antwort des Rechtsstaates. Denn mit Verspätung, wie passend zu einer Bahnhofsgeschichte, hat eine hyperventilierende Öffentlichkeit festgestellt, dass am Silvesterabend auf dem Kölner Hauptbahnhof „Nordafrikaner“, aka „Muslime“, aka „Flüchtlinge“, aka „ach ist doch egal, auf jeden Fall Ausländer“ Angriffe auf „deutsche Frauen“ verübten, diese bedrängten, beklauten und sexuell nötigten. Eine konzertierte Aktion, so grölen es die Patriotischen Europäer sicherlich am nächsten Montag. Und die Politik? Die macht beim hysterischen Wettstreit mit.
Betrunkene Menschenmassen an Silvester sind eigentlich nichts Ungewöhnliches, sondern neben abgerissenen Körperteilen (durch vorsätzlich zur Explosion gebrachten Sprengstoff) Normalität. Dass sich unter den vielen Menschen auch Kriminelle befinden, die sich auf eine sehr bekannte Art und Weise organisieren, um mehrere Straftaten gleichzeitig zu begehen, ist eigentlich auch nichts Neues. Allerdings gibt es da die „Besorgten Bürger“ und deren Wahnvorstellungen, die ein paar Tage später, nachdem der eigene Kater verschwunden, der Rausch aber geblieben ist, zu maßlosen Übertreibungen neigen. Von denen lässt sich dann ein ganzes Land anstecken, von den Medien bis hin zur Politik.
Da ist für jeden etwas dabei, wie ARD Brennpunkt oder ZDF Spezial sicherlich noch ausführlich und zeitnah zusammenfassen werden. Für die einfach gestrickten Gemüter donnert die CSU wie üblich und brüllt irgendwas von „Abschiebung“. Für das Bildungsbürgertum steht Justizminister Heiko Maas mit ernster Mine bereit. Er will eine „neue Dimension organisierter Kriminalität“ erkannt haben und die frühere Bundesfamilienministerin Kristina Schröder schlägt sogar vor, mal ganz grundsätzlich über muslimische Männer zu reden.
Doch das ist alles furchtbar übertrieben und trägt kaum etwas zur Aufklärung bei. Aus den angeblich 1000 Tätern oder waren es 500 oder 100 oder, ach ist doch auch egal, wird vermutlich ein überschaubarer Kreis am Ende übrigbleiben, wenn überhaupt. Noch fehlen ja die Namen. Aber hey, mit überschaubaren Namen können doch die Kollegen aus München dienen, die am Silvesterabend den dortigen Hauptbahnhof sperrten, weil es eine konkrete Anschlagsdrohung gab. Die Behörden wissen genau, wie die mutmaßlichen Täter heißen, aber nicht, ob sie physisch auch existieren. Vielleicht lässt sich das ja irgendwie miteinander verbinden. Fall gelöst.
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PS: Die Links zu der absolut bescheuerten Nachrichtenlage können Sie sich selbst zusammensuchen.
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Ach übrigens: Worüber immer noch nicht geredet oder eine harte Antwort des Rechtsstaates gefordert wird: „Die Zahl der politisch motivierten Delikte gegen Asylunterkünfte ist in diesem Jahr bis zum 11. November 2015 auf 715 nach 203 im Jahr 2014 gestiegen.“
Quelle: Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen.
JAN
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.