Ist der Zusammenhalt wichtiger, als das Verhältnis zu Russland? Spannende Frage, die da einige Unionspolitiker nach dem EU-Gipfel aufgeworfen haben. Auf diesem ging es unter anderem um Nordstream 2. Ein pikantes Projekt, da ja vor einem Jahr Southstream an der Sanktionspolitik der EU, die maßgeblich von Deutschland mitgestaltet worden war, scheiterte. Wenn nun Merkel Nordstream 2 forciert, hat das aus Sicht der Süd- und Osteuropäer ein Geschmäckle. Offener Streit zwischen Renzi und Merkel war die Folge.
Einige CDU-Außenpolitiker kritisieren nun die Kanzlerin, nein den Gabriel, der Merkels Position stützt und werfen die Eingangsfrage auf. Dumm ist nur, dass es den Zusammenhalt in Europa gar nicht mehr gibt, wie die Flüchtlingskrise beweist. Jeder kümmert sich nur noch um sich selbst, das Schengen-Abkommen ist beinahe schon Geschichte, Drohungen zwischen den Europäern Normalität und Abschottung das Gebot der Stunde. Das EU und Eurozonen Mitglied Griechenland wird schlechter behandelt als das Nicht-EU-Mitglied Türkei und die Briten versuchen mit ihrer Drohung eines EU-Austritts der Gemeinschaft Sonderregelungen abzuringen.
Da folgt der Abschottung und der Wiederbelebung nationalstaatlichen Denkens bereits die Spaltung Europas. Also wo ist der wichtige Zusammenhalt, den es zu bewahren gilt? Seit Jahren ist die Politik der Berliner Regierung unter Merkel darauf ausgerichtet, die Mitglieder dieses Europas zu bevormunden, zu disziplinieren und zu bestrafen. Wo waren denn da die Unionspolitiker, die sich um den Zusammenhalt sorgten? Und wie viele CDU-Delegierte haben auf dem Parteitag gegen die Politik Merkels gestimmt? Zwei. Tausend waren dafür, trotz der vielfach geheuchelten Kritik im Vorfeld.
Das Europa heute ist auch das Ergebnis von zehn Jahren Merkel, deren Politik nie erfolgreich war, aber als gelungen immer wieder bezeichnet wird. Vor allem den Medien fehlt weitestgehend der Durchblick. In ökonomischen Fragen nahezu ein Totalausfall springen sie der Bundesregierung bei, hetzen gegen faule Griechen und aggressive Russen. Sie feiern die Leistungsbilanzüberschüsse und verurteilen die Defizite der anderen, obwohl das eine ohne das andere nicht existieren kann. Und nun Nordstream 2.
Auf der einen Seite setzt sich Merkel für eine weitere Verlängerung der Sanktionen gegen Russland ein, auf der anderen Seite versucht sie Ausnahmeregelungen zwischen Deutschland und Russland durchzudrücken. Warum? Die Antwort liegt wohl bei dem Mann im Rollstuhl, dessen finales Lebensziel die Verwirklichung eines deutschen Europas ist. Dafür braucht Deutschland unter anderem den exklusiven Zugang zum russischen Gas, von dem Europa auch in der Zukunft abhängig bleiben wird.
Nur wenn Deutschland und Europa wirtschaftlich erfolgreich und damit auch politisch stark sind, können wir einen Beitrag leisten zur Lösung der Probleme in dieser Welt.
Ja und was ist nun wichtiger. Der Zusammenhalt Europas oder das Verhältnis zu Russland. Die Frage ist leicht zu beantworten. Russland gehört zu Europa. Wer also europäischen Zusammenhalt will, braucht ein gutes Verhältnis zu Russland. Was sicherlich nicht gebraucht wird, ist ein Deutschland, dass von seinen Partnern immer wieder fordert, sich an die Regeln zu halten, die es selbst nur eingeschränkt oder gar nicht befolgt. Mit der fortgesetzten deutschen Arroganz wird ein Zusammenhalt wie auch immer nicht zu haben sein.
Edit 22.12.2015:
Und Renzi legt im Gespräch mit der Financial Times nach:
„The building of a second Nord Stream gas pipeline directly linking Russia to Germany is one of those issues, particularly because the EU was opposed to a separate pipeline deal from Russia — called South Stream — which would have benefited Italy more directly.
“So we say no to South Stream and then all of a sudden, quietly, we discover that there’s Nord Stream,” he says. “Who decided? Is that an EU energy policy choice? At the table, when I raised it, only Germany and Holland defended it. I understand this is important business, fine, I’m not scandalised — but I want to say either the rules apply to everyone, or no one,” he says.“
DEZ
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.