Der Ausnahmezustand

Geschrieben von: am 14. Nov 2015 um 13:18

„Unser freies Leben ist stärker als der Terror“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel an diesem Samstag. Doch in Frankreich (einschl. Korsika) herrscht seit heute der Ausnahmezustand. Den hat der von Präsident Hollande einberufene Ministerrat erklärt. Das Gremium hat auch Sonderregelungen für die Île-de-France (Ballungsraum Paris) beschlossen. Sie erlauben laut Communiqué die Festnahme von Menschen, die Bewaffnung von Sicherheitskräften, eine Ausweitung der Fahndungsmethoden und die Schließung von öffentlichen Orten mit viel Publikum sowie Schulen und Hochschulen.

Ich verstehe daher nicht, warum deutsche Medien sich darüber wundern, dass zum Beispiel Kaufhäuser geschlossen werden, Sehenswürdigkeiten nicht zugänglich sind und die Stadt wie leer gefegt wirkt. Der Ausnahmezustand ist eben genau das Gegenteil des freien Lebens. Außerdem wird von Krieg gesprochen. Der Verteidigungsrat tritt zusammen und 1500 Soldaten sind mobilisiert. Auch das steht in dem Communiqué des Ministerrates, das auf der Seite der französischen Regierung abrufbar ist.

Bedenklich sind die Solidaritätsnoten der befreundeten Staaten, die an jene vom 11. September 2001 erinnern („Der Angriff trifft uns alle“). Angela Merkel sprach vom Kampf wie auch Bundespräsident Gauck. Entschlossene Verteidigung fordert der SPD-Chef. Doch was heißt das? Mehr Bomben, mehr Krieg und mehr Soldaten in Krisengebieten? Nach 14 Jahren Afghanistan noch einmal 14 Jahre Syrien und Irak? Der Westen will offenbar wie 2001 die gleichen Fehler wiederholen. Dabei muss über die Gründe gesprochen werden, wie etwa der IS entstehen konnte, der für die Anschläge von Paris offensichtlich verantwortlich ist.

Bedenklich sind aber auch die Reaktion derjenigen, die die schrecklichen Bilder aus Frankreich für ihre Zwecke nur instrumentalisieren wollen. Die „besorgten Bürger“ zum Beispiel, die in den Anschlägen von Paris ihre Angst vor Flüchtlingen bestätigt sehen und deshalb nachdrücklicher denn je eine Verschärfung des Asylrechts fordern.

Doch die Flüchtlinge sind keine Terroristen, sondern ebenso Menschen, die vor dem Terror fliehen und jenen Schutz suchen, den die westliche Wertegemeinschaft immer beschwört. Doch wenn der Ausnahmezustand gilt, ist das alles Makulatur. Die Stunde der Falken bricht an. Eine Verschärfung von Sicherheitsgesetzen dürfte ebenso bald auf der Agenda stehen und damit den Marsch in den geistigen Ausnahmezustand beschleunigen.

 

Weiteres Beispiel für den geistigen Ausnahmezustand:

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Über den Autor:

André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.
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Kommentare

  1. André Tautenhahn  November 14, 2015

    Weiteres Beispiel für den geistigen Ausnahmezustand:

    https://twitter.com/Markus_Soeder/status/665508235894464512

  2. m. sastre  November 15, 2015

    Herr Tautenhahn,

    daß die nach Deutschland eindringenden Zuwanderer in gewisser Weise auch ein Mittel zur Erreichung anderer Ziele sein könnten, gestehe ich ihnen gerne zu. Mir ist aber gerade deshalb die klare Botschaft und die damit verbundene längst fällige Erkenntnis des Herrn Mattusek lieber, als dieses alberne „Je suis…“-Betroffenheitsgetue, welches man nun überall präsentiert bekommt. Sollte es sich herausstellen, daß auch nur einer der Täter als sog. „Flüchtling“ eingereist sein sollte, dann stellt sich sofort die Frage, wie viele Extremisten bzw. Terroristen es auf diesem Wege bereits geschafft haben, unkontrolliert nach Europa zu gelangen. Es ist mit klarem Verstand nicht mehr zu begreifen, wie die Überwachung der Bürger in Europa überhand nimmt und es dennoch offenkundig möglich ist, gänzlich ohne Papiere an jeden Ort in Europa zu gelangen.

    Einen anderen Aspekt möchte ich sie bitten doch auch zur Kenntnis zu nehmen, nämlich das auch unter den nicht mit terroristischen Motiven Eingereisten oft eine feindselige Haltung gegenüber den Ausfnahmeländern und ihren Rechtsordnungen besteht. Durch ihre Bloße Masse und den Anspruch nach „ihren“ Regeln leben zu dürfen, wird in den kommenden Jahren eine Art Alltagsterror entstehen, der insbesondere für die Schwächeren und für die Angehörigen von Randgruppen ein Klima der Angst und der öffentlichen Zurückhaltung erzeugen wird. U.a. Schwule, Lesben, deutsche Schüler an Brennpunktschulen und Frauen an sich werden unter anderem den schleichenden atmosphärischen Wandel in Deutschland auf sehr negative Weise zu spüren bekommen. Dies alles ist keine reine Zukunftsvision – es ist bereits jetzt zu konstatieren.
    In ihrem in der Konsequenz rücksichtslosen Wunsch auf Biegen und Brechen nur Gut zu sein, erzeugen diese Verfechter einer ungeregelten und unbegrenzten Zuwanderung einen Druck auf dieses Land, der es letztendlich zu einem Vielvölkerstaat machen und es innerlich zerreissen wird. Und dies innerhalb weniger Jahre.
    Wir haben es also letztendlich mit einer doppelten Gefahr zu tun. Erstens mit der Veränderung unserer Gesellschaft durch die offenkundige Transformation in einen Polizeistaat oder, besser gesagt, in eine softe Diktatur seitens der Politik und gleichzeitig mit der Gefahr einer inneren Auflösung und Verdünnung der gewachsenen europäischen Kulturen und der sie tragenden Nationalstaaten. All dies verheisst keine hoffnungsvolle Zukunft.

    • André Tautenhahn  November 15, 2015

      Ich teile Ihre Sorgen nicht. Zunächst einmal bin ich kein Verfechter einer ungeregelten und unbegrenzten Zuwanderung. Ich stelle nur fest, dass diese nicht aufzuhalten ist. Wer Kriege führt oder unterstützt, Waffen in Krisenregionen liefert oder die Hilfsgelder kürzt, mit denen die Nahrungsmittel für Flüchtlinge in Anrainerstaaten bezahlt werden, muss damit leben, dass sich diese Menschen zu uns auf den Weg machen. Wir müssen auch mit der Zuwanderung von Menschen leben, die kommen, weil ihnen durch europäische Gesetzgebung in Sachen Wirtschaftspolitik die Existenzgrundlage in ihren Ländern genommen wird.

      Wie wollen Sie die Menschen aufhalten. Mit Zäunen, Mauern, Schusswaffen?

      Auch ich sehe einen Alltagsterror, aber nicht, weil Flüchtlinge Regeln missachten, sondern weil Einheimische beinahe täglich Unterkünfte anzünden. Wer hält sich da eigentlich nicht an die bestehende Rechtsordnung? Ich hoffe nicht, dass Sie das tolerieren oder rechtfertigen.

      Dass Ihnen die Aussage von Herrn Matussek gefällt, ist Ihre Sache. Ich finde den Tweet schlimm, wie im Übrigen auch die Redaktionskollegen von Matussek.

  3. cource  November 15, 2015

    wenn der geheimdienst versagt hat bzw. nicht in der lage ist uns zu schützen, dann müssen wir auf gewalt versichten um gegengewalt zu verhindern

  4. H.Ewerth  November 16, 2015

    Um es vorweg zu sagen: Meine Anteilnahme gilt den Opfern, den Toten, den vielen Verletzten und den unzählbaren Angehörigen der Opfer der Terroranschläge von Paris. Kein politisches Ziel, keine Ideologie ist es Wert, dass dafür Menschen ihr Leben lassen müssen. Jedes Menschenleben, dass durch Gewalt ausgelöscht wird, ist ein Menschenleben zu viel.
    Aber die Arroganz des Westens ist einfach nur noch unerträglich. Wenn ich im Westen in aller Regelmäßigkeit höre, und lese, wenn man von feigen Anschlägen spricht. Ja, stimmt, aber was sind dann Drohnen Einsätze, und Völkerrechtswidrige Kriege? Hier werden zu sehr Ursachen und Wirkung verwechselt, dass aber kann man in der Mehrheit den Bürgern im Westen nicht vorwerfen. Denn sie werden von den Verantwortlichen in Politik und Medien einseitig informiert. Erinnert sich noch ein Bürger im Westen daran, dass nur auf Grund einer Lüge ein völkerrechtswidriger Krieg im Irak begann?

    Solange aber der Westen mit gerade einmal 10% der Weltbevölkerung, den Rest der welt als seine Kolonien betrachtet und auch so behandelt, braucht sich niemand über Terrorismus und Flüchtlinge beschweren. Denn die Ursachen liegen in erster Linie an der imperialen aggressiven Kolonial Politik des Westens. Warum wird denn nicht gegen Waffenexporte im Westen protestiert? Warum nicht gegen Drohnen Einsätze? Warum nicht gegen völkerrechtswidrige Kriege des Westens? Warum nicht gegen Folter und Entführungen durch den Westen? Warum nicht gegen Guantánamo? Die reichen Länder schicken Drohnen, die armen Länder Terroristen.

    Warum nicht gegen die Destabilisierung von Ländern protestieren? Warum nicht gegen die Sanktionen des Westens protestieren? Warum nicht gegen das leer fischen der Meere durch westliche Fangflotten? Warum nicht gegen einseitige Handelsabkommen des Westens? Warum nicht gegen Landraub/Landgrapping? Warum nicht gegen die Privatisierung von Trinkwasser? Die Ursachen solcher Anschläge, liegen in den zum Teil o.g. Gründen.

    Die Menschen welche einem Terroranschlag zum Opfer gefallen sind, scheinen mehr Wert zu sein, als Menschen aus anderen Kulturkreisen, wenn das anders wäre, dann würde man die Millionen Tötungen und Ermordungen, durch den Westen, im Westen an den Pranger stellen? Was sind mehr als eine Million tote, seit dem „War on Terror“ des Westens, im Irak, Afghanistan, Libyen, Syrien usw.?
    Täglich sterben einhunderttausend Kinder an Hunger und deren Folgen von Hunger auf dieser Welt, während der Westen täglich Tonnenweisen Lebensmittel wegwirft. Die Erderwärmung durch den Klimawandel, in erster Linie durch den Westen verursacht, aber zuerst die ärmsten Regionen der Welt zerstört?

    Wie sagte schon Jean Ziegler in seinem Buch sehr treffend: DER WESTEN EIN IMPERIUM DER SCHANDE“ Dem kann ich nur zustimmen. Würden die Medien und Verantwortlichen im Westen ihrer Verantwortung gerecht, dann würde man die Bürger im Westen darüber informieren, und in der Mehrheit nicht nur Terroranschläge verurteilen, aber deren Ursachen nicht.

    • André Tautenhahn  November 16, 2015

      „Die reichen Länder schicken Drohnen, die armen Länder Terroristen.“

      Vielen Dank für den sehr treffenden Kommentar.

  5. Eike  November 17, 2015

    Die Reaktion von Hollande war zu erwarten. Sie ist politische Strategie. er will versuchen, vor dem nächsten Wahlgang, der NF dort noch etwas Wind aus den Segeln zu nehmen. Leider ist sowohl die Politik, wie auch das Geschäftsgebaren in der EU nur noch der kurzfristigen Mitnahme des persönlichen Vorteils gewidmet. Leider erfolgt das auch ohne Rücksicht.

    • André Tautenhahn  November 17, 2015

      Ich glaube auch, dass Hollande als „Kriegspräsident“ seiner innenpolitischen Schwäche etwas entgegensetzen will. Es sind ja bald Regionalwahlen. Möglicherweise gehört das auch zum Kalkül bei der Ausweitung des Ausnahmezustandes. Gleichzeitig ist Hollande auch ein Getriebener des bürgerlichen Lagers, das noch härtere Positionen nach den Anschlägen vertritt. Unterm Strich dürfte das Ganze aber den radikalen Kräften auf Seiten des FN nutzen.

  6. Eike  November 17, 2015

    Dabei gibt es doch kluge Köpfe unter seinen Verbratern, will heißen: Beratern. Aktionismus ist natürlich auch sehr medientauglich, wie man im TV bestaunen konnte. Ob ein neuer Krieg dort diesmal etwas anderes zeitigen wird, als die Bisherigen? Vermutlich müsste man mal gänzlich neue Modelle denken und wagen. Nur kostet das Zeit.