„Unser freies Leben ist stärker als der Terror“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel an diesem Samstag. Doch in Frankreich (einschl. Korsika) herrscht seit heute der Ausnahmezustand. Den hat der von Präsident Hollande einberufene Ministerrat erklärt. Das Gremium hat auch Sonderregelungen für die Île-de-France (Ballungsraum Paris) beschlossen. Sie erlauben laut Communiqué die Festnahme von Menschen, die Bewaffnung von Sicherheitskräften, eine Ausweitung der Fahndungsmethoden und die Schließung von öffentlichen Orten mit viel Publikum sowie Schulen und Hochschulen.
Ich verstehe daher nicht, warum deutsche Medien sich darüber wundern, dass zum Beispiel Kaufhäuser geschlossen werden, Sehenswürdigkeiten nicht zugänglich sind und die Stadt wie leer gefegt wirkt. Der Ausnahmezustand ist eben genau das Gegenteil des freien Lebens. Außerdem wird von Krieg gesprochen. Der Verteidigungsrat tritt zusammen und 1500 Soldaten sind mobilisiert. Auch das steht in dem Communiqué des Ministerrates, das auf der Seite der französischen Regierung abrufbar ist.
Bedenklich sind die Solidaritätsnoten der befreundeten Staaten, die an jene vom 11. September 2001 erinnern („Der Angriff trifft uns alle“). Angela Merkel sprach vom Kampf wie auch Bundespräsident Gauck. Entschlossene Verteidigung fordert der SPD-Chef. Doch was heißt das? Mehr Bomben, mehr Krieg und mehr Soldaten in Krisengebieten? Nach 14 Jahren Afghanistan noch einmal 14 Jahre Syrien und Irak? Der Westen will offenbar wie 2001 die gleichen Fehler wiederholen. Dabei muss über die Gründe gesprochen werden, wie etwa der IS entstehen konnte, der für die Anschläge von Paris offensichtlich verantwortlich ist.
Bedenklich sind aber auch die Reaktion derjenigen, die die schrecklichen Bilder aus Frankreich für ihre Zwecke nur instrumentalisieren wollen. Die „besorgten Bürger“ zum Beispiel, die in den Anschlägen von Paris ihre Angst vor Flüchtlingen bestätigt sehen und deshalb nachdrücklicher denn je eine Verschärfung des Asylrechts fordern.
Immerhin: @Welt-Autor Matthias Matussek ist guter Laune. pic.twitter.com/I3CKpi5myk
— Stefan Niggemeier (@niggi) November 14, 2015
Doch die Flüchtlinge sind keine Terroristen, sondern ebenso Menschen, die vor dem Terror fliehen und jenen Schutz suchen, den die westliche Wertegemeinschaft immer beschwört. Doch wenn der Ausnahmezustand gilt, ist das alles Makulatur. Die Stunde der Falken bricht an. Eine Verschärfung von Sicherheitsgesetzen dürfte ebenso bald auf der Agenda stehen und damit den Marsch in den geistigen Ausnahmezustand beschleunigen.
Weiteres Beispiel für den geistigen Ausnahmezustand:
#ParisAttacks ändert alles. Wir dürfen keine illegale und unkontrollierte Zuwanderung zulassen
— Markus Söder (@Markus_Soeder) November 14, 2015
NOV
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.