Bundespräsident Gauck ist auf Pilgerreise in den USA. Er besucht die heiligen Stätten der Demokratie, heißt es in einem Bericht meiner Tageszeitung von heute, die Gauck zitiert. Sanft streichelt das deutsche Staatsoberhaupt die Freiheitsglocke in Philadelphia und bemüht sich um eine Vertiefung der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Andere Medien sprechen von Gauck als mahnenden Gast. Doch mahnt er nicht.
Zwar wies das Staatsoberhaupt vor Studenten der University of Pennsylvania auf Missstände in der US-Politik hin, er tadelte aber nicht die Amerikaner dafür, sondern vielmehr die Kritiker aus Deutschland, die Dinge wie das Recht auf Waffenbesitz, die Todesstrafe, Folter in Guantanamo (Gauck sagt: Verhörpraktiken), Kriege (Gauck sagt: militärische Interventionen) und die Spionage der NSA dazu nutzen würden, falsche Schlüsse zu ziehen.
In seiner Rede vor den Studenten sagte Gauck:
Ich kann nachvollziehen, dass sich mancher Amerikaner fragt, warum wir Deutschen, statt uns zu erregen, nicht selbst mehr tun zur Abwehr des Terrorismus; warum wir uns im Zweifel lieber auf die amerikanischen Dienste verlassen – nur um sie am Ende zu kritisieren. Aber erlauben Sie mir umgekehrt die Frage, warum Telefon-Verbindungsdaten deutscher Minister – offenbar auch von Landwirtschaftsministern – in Listen amerikanischer Dienste auftauchen und was das mit Terrorismusabwehr zu tun hat? Und warum deutsche Bürger den Eindruck gewinnen, ein Angriff auf ihre Privatsphäre sei die demokratisch nicht kontrollierbare Folgewirkung der Abwehr einer terroristischen Bedrohung? Hier scheint mir ein tragfähiger Ausgleich unserer Interessen noch nicht erreicht zu sein. Hier hätten die Vereinigten Staaten ihrerseits eine gute Gelegenheit, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.
Die Sprache ist verräterisch. Was aussieht wie eine Kritik an den USA stellt sich bei näherer Betrachtung anders dar. Gauck hat Verständnis, die Deutschen hingegen sind erregt, also emotional aufgewühlt und zur sachlichen Kritik offenbar nicht fähig. Gauck verweist zwar auf die absurden Abhörpraktiken der NSA, weil die sich ohnehin nicht mehr leugnen lassen, spricht aber dann lediglich von Eindrücken der Bürger und nicht von Grundrechtsverletzungen, was die offengelegte Spionage nun einmal ist. Stattdessen übernimmt der Pastor das falsche Gerede von der Terrorismusabwehr und empfiehlt, verlorenes Vertrauen zu erneuern.
Wie? Vermutlich mit der Vermittlung einer glaubwürdigen terroristischen Bedrohung. Denn laut Gauck habe sich die Welt nach dem Fall des eisernen Vorhangs nicht in ein Zeitalter des Friedens bewegt, sondern dem Bösen Raum für eine Renaissance gegeben.
25 Jahre nach der Vereinigung Deutschlands und dem Ende der kommunistischen Herrschaft über große Teile Europas sieht die Welt anders aus, als wir es uns damals erträumt hatten. Zu einem Zeitalter des Friedens ist es nicht gekommen. Auch nicht zu einem Dominoeffekt der Demokratisierung, den zwar Europa nach 1989 erlebt hat, der dann aber kaum weiter reichte.
Stattdessen erleben wir neben dem partiellen Fortbestehen der kommunistischen Ideologie den Aufstieg von Weltanschauungen, Banden und Regimen, denen gemein ist, dass sie das pluralistische Lebensmodell verachten und offensiv bekämpfen. Es sind Fundamentalisten, Terroristen und Nihilisten, die Gewalt schüren, Konflikte anzetteln, Menschen in die Flucht treiben und Instabilität hineintragen in unsere Gesellschaften. Und es sind Autokraten, die, lange Zeit in der Defensive, nun ihre Muskeln spielen lassen. Das alles geschieht weltweit und sogar im Osten des demokratischen Europa.
Hier betreibt der Bundespräsident pure Geschichtsfälschung, indem er die Entstehung von Konflikten auf den Ort des Geschehens reduziert. Geopolitische Interessen der Amerikaner und deren permanente Einmischung in die inneren Angelegenheiten fremder Staaten erkennt er nicht, bedauert aber die Folgen dieser Politik, die sich im Zerfall und in den Fluchtbewegungen äußert. Ganz blind ist der Mann ja nicht. Doch verweigert sich Gauck aber einer Analyse, was an seinen Äußerungen über enttäuschte Träume und dem Gerede über kommunistische Ideologien, Banden, Regime usw. deutlich wird.
Ohne Analyse aber keine Erkenntnis. Und das führt den Redner zu den vermeintlich einfachen Lösungen zurück. Einer Stärkung des militärischen Bündnisses, das die Guten vor den Bösen schützt. Denn nur die dunkle Seite der Macht, die Gauck sogar im demokratischen Osten Europas entdeckt hat, lässt ihre Muskeln spielen. Das Gute hingegen muss sich verteidigen und wieder zueinander finden. Er umgarnt seine Haltung wie immer mit blumigen Worten über Tradition, gewachsene Bindungen und natürlich mit dem Gauckschen Freiheitsbegriff. Über 30 Mal, allein in dieser Rede.
Dieser inflationäre Gebrauch eines Begriffs ist weder ein Zeugnis von Klugheit noch bedeutet er ein Gespür für das große Ganze, das dem Bundespräsidenten immer wieder unterstellt wird. Gauck hat nichts von Bedeutung zu sagen, noch beeindruckt er mit dem was er sagt. Deshalb fällt sein Besuch bei den Amerikanern auch gar nicht weiter auf.
OKT
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.