Die Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit sind noch nie in so einem grotesken Licht erschienen wie in diesem Jahr. Unter dem Motto „Grenzen überwinden“ feiert sich ein Politestablishment, das gerade das Gegenteil beschlossen hat. Ausgrenzung, Armut und Abschottung stehen derzeit ganz oben auf der politischen Agenda. Das Motto „Grenzen überwinden“, kann in diesem Zusammenhang nur als schlechter Scherz verstanden werden.
Während sich der deutsche Innenminister de Maizière gestern noch über das Benehmen von Flüchtlingen mokierte, stellt Bayerns Finanzminister Markus Söder heute schon das Grundrecht auf Asyl infrage. „Grenzen überwinden“, hier passt das Motto in seiner unappetitlichsten Form. Doch auch die gut gemeinte Interpretation ist nicht mehr als die Verklärung einer Realität, die man sich zu solchen Anlässen immer wieder zurechtbastelt.
Ein emotionsloser Tag
Der 3. Oktober ist aber ein emotionsloser Tag. Schon der erste Feiertag vor 25 Jahren wurde deutlich verhaltener von den Menschen begangen. Die Tagesschau meldete damals: Die Menschen genießen das schöne Wetter, Deutschlandfahnen waren nur vereinzelt zu sehen.
Am 31. August 1990 fand die Unterzeichnung des Einigungsvertrages (kurz: EinigVtr) statt. Der 3. Oktober taucht in diesem Schriftstück unter Kapitel 1, Artikel 2, Absatz 2 auf. Dort steht der überschwängliche Satz, der bis heute gilt: „Der 3. Oktober ist als Tag der Deutschen Einheit gesetzlicher Feiertag.“ Warum? Weil es der nächstmögliche Termin war, die Bürger der DDR noch rechtzeitig zu Wählern eines einheitlichen Deutschlands zu machen.
Was hat es gebracht? Wolfgang Schäuble, der damals für die Bundesrepublik als Innenminister unterschrieb, ist heute immer noch ein Strippenzieher gesamtdeutscher Politik. Seit diesem Jahr ist klar, er ist der heimliche Kanzler, der nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa nach seinen Vorstellungen umzubauen versucht. „Grenzen überwinden“, auch hier trifft das Motto in einer grotesken Art und Weise zu.
Der hässliche Deutsche
Die Einheit Europas ist durch diese Bundesregierung für beendet erklärt worden. 25 Jahre Deutsche Einheit, das hat vor allem ein erbärmliches Diskussionsniveau hervorgebracht mit Aussagen wie: „Der Grieche hat jetzt lang genug genervt.„ Thomas Strobl, der diese Bemerkung in diesem Sommer vom Stapel ließ, ist immer noch CDU-Vize und Schäuble-Schwiegersohn. „Grenzen überwinden“ und sei es nur beim guten Geschmack, das wird eben auch in den Politikerfamilien dieses Landes gelebt.
Thomas Strobl kann aber noch mehr Grenzen überwinden, um klar zu machen, dass es für andere Grenzen gibt. In der Woche vor dem 3. Oktober sagte er im Bundestag: „Verkauft nicht Euer Haus und Euer Auto, um den Schlepper und den Schleuser bezahlen zu können. Wir werden Euch schnell wieder zurückschicken, und Ihr werdet schnell wieder da sein, wo Ihr hergekommen seid, nur Ihr werdet noch ärmer sein.“ Der hässliche Deutsche, er ist gleich mehrfach zurückgekehrt.
Er spielt sich als Kassenwart der Eurozone auf, hätte am liebsten ein Mitspracherecht bei den nationalen Haushalten südeuropäischer Staaten bis hin zu Frankreich, um auch dort eine bornierte Vorstellung von Wirtschafts- und Sozialpolitik zwangsweise umzusetzen. Er nimmt aber auch brav die unterwürfige Rolle eines Anhängsels der fallenden Weltmacht USA ein, die in ihrer Not einen neuen Ost-West-Konflikt vom Zaun gebrochen hat.
Totenglocke statt Freiheitsglocke
25 Jahre nach der Deutschen Einheit ist das Land in der Mitte Europas selbst wieder zu einer Bedrohung für seine Nachbarn geworden, aber auch für Menschen, die in ihm Zuflucht suchen. Es brennt an allen Ecken. Im Norden, Osten, Westen und im Süden. 25 Jahre nach der Einheit tobt ein Klassenkampf im Armenhaus, angeheizt durch eine Politik, die nur beschönigt und verklärt, während sie den Reichtum der wenigen schützt. 25 Jahre nach der Einheit ist der Slogan „Grenzen überwinden“ selbst zu einem Widerspruch geworden.
Während sich das vereinigte Deutschland feiert und ein Bundespräsident mal wieder nichts intelligenteres zu sagen hat, als pastoral von Freiheit zu quatschen…
- Auf Menschen, deren Freiheitswille Diktaturen ins Wanken brachte, in Danzig, Prag und Budapest.
- Am 3. Oktober denken viele von uns an den Klang der Freiheitsglocke, an die Freudentränen nicht nur vor dem Reichstag, an die Aufbruchsstimmung, ja: an großes Glück.
- Sie hatten Freiheit errungen.
- Wir Deutschen können Freiheit.
- Deutschland hat in Freiheit zur Einheit gefunden – politisch, gesellschaftlich, langsamer auch wirtschaftlich und mit verständlicher Verzögerung auch mental.
- Von Freiheit nicht nur zu träumen, sondern Freiheit in der Freiheit tatsächlich zu gestalten.
- Neue Freiheit bietet neue Möglichkeiten, aber sie verlangt zugleich die Übernahme neuer Verantwortung, auch Selbstverantwortung.
- Statt weiterer Siege von Freiheit und Demokratie erleben wir vielerorts das Vordringen autoritärer Regime und islamistischer Fundamentalisten.
- Wir sehnten uns nach Freiheit und Menschenrechten, nach Rechtsstaat und Demokratie.
- Wir kennen keine andere Gesellschaftsordnung, die dem Individuum so viel Freiheit, so viele Entfaltungsmöglichkeiten und so viele Rechte einräumt wie die Demokratie.
- Ein Leben – wie es unsere Nationalhymne beschreibt – in Einigkeit und Recht und Freiheit.
…gerät die jüngere Geschichte, die bis heute andauert in Vergessenheit. Am 3. Oktober 2013 starben über 300 Menschen vor der Festung Europa beim Versuch auf einem Boot von Afrika aus in jene Freiheit zu gelangen, die ihnen Zuhause verwehrt blieb. Seitdem ertrinken jedes Jahr Tausende auf dem Mittelmeer, weil es keine sicheren Fluchtrouten, dafür aber immer mehr Abschottung gibt. Was gibt es also zu feiern?
OKT
Über den Autor:
André Tautenhahn (tau), Diplom-Sozialwissenschaftler und Freiberuflicher Journalist. Seit 2015 Teil der NachDenkSeiten-Redaktion (Kürzel: AT) und dort mit anderen Mitarbeitern für die Zusammenstellung der Hinweise des Tages zuständig. Außerdem gehört er zum Redaktionsteam des Oppermann-Verlages in Rodenberg und schreibt für regionale Blätter in Wunstorf, Neustadt am Rübenberge und im Landkreis Schaumburg.